Liebster Tanz: Demis Volpis Abschied von der Rheinoper
Was hat das Ballett nur, dass uns immer wieder betört? In Zeiten von Krisen, Kriegen, Shit-Storms? Vielleicht brauchen wir es ja gerade gegen die Grobheit, die Feindseligkeiten, die eigene Erstarrung. Wie wunderbar zu sehen, dass jeder Fingerzeig, jeder Schritt, selbst ein Schulterzucken zum Tanz werden kann, zur Musik des Körpers! Dass man die Anstrengung vergisst! Dass auch das Traurige und Schmerzvolle sich in Schönheit verwandelt! Wortlos. Stürmisch applaudierte das Publikum dem scheidenden Ballettdirektor Demis Volpi in der ausverkauften Rheinoper, wo er nach großen Dankesworten seine „Favourite Things“ präsentierte.
Aber was heißt schon „liebste Dinge“? Volpi, der nach vier Jahren in der Düsseldorfer Chefposition hochgelobt als Nachfolger von John Neumeier nach Hamburg wechselt, hätte gern noch viel mehr aus seinem Repertoire gezeigt. Ein bisschen aus der neu erzählten „Giselle“ zum Beispiel oder das großartige Gesamtkunstwerk „Surrogate Cities“ (Kritik vom 27. April). Aber, so scherzt er, das Management habe ihm klargemacht, dass ein Programm nicht sieben Stunden dauern könne. Drei Stunden sind`s immerhin geworden mit zehnerlei Choreografien, für die es Jauchzer und Bravorufe gab. Ob Volpi die kühlen Norddeutschen auch so begeistern kann, ist die Frage.
Kuss für die Welt
Zu himmlischer Bach-Musik startet die Truppe mit einem ihrer Lieblings-Tanzstücke von William Forsythe, „Artifact II“ (wie das Online-Spiel). Zackig-geometrische Gesten gehören dazu wie hingebungsvolle Ausbrüche, die das Maschinenhafte auflösen. In Hans van Manens „Solo“ beweisen Kauan Soares, Daniele Bonelli und Orazio Di Bella, dass männliche Kraft und Anmut keine Widersprüche sind. Rot sind die Kleider und feurig die Pas de Trois über Trennung und Anziehung in einem Ausschnitt aus Dominique Dumais’ „Kiss to the World“. Der Liebe huldigt auch Neshama Nashman mit ihrer ersten eigenen Choreografie zu einem hypnotischen Song von David Lang: „And My Beloved“. Paula Alves und Daniele Bonelli, beschnuppern und umgarnen sich da und zelebrieren Verschmelzung, atemlos.
Der letzte Vorhang
Doch die meisten Stücke sind vom erst 39-jährigen Meister selbst. Er zeigt Bewährtes wie „The Thing with Feathers“, ein Tanz über Verlust, Hoffnung, das ewige Suchen nach Verbindung. Es gibt Überraschendes wie einen Film aus den Davoser Bergen, wo Lara Delfino und Damián Torio während des Klimakongresses einen schmelzenden Pas de Deux in den Schnee setzten. Doch am rührendsten ist das Ende: „Final Curtain“, der letzte Vorhang, eine Uraufführung. Mit jedem einzelnen Mitglied der Compagnie, über 40 Tänzer*innen, wollte Volpi noch einmal proben. Sie alle haben jetzt ein Solo, das zu ihnen passt: die Clowns und die Prinzen, die Elfen, die Königinnen und die Kobolde. Dazu hört man Lester Bowie Trompete: „Yes, I’m a Great Pretender“, ich bin ganz groß im Vorspielen. Goldenes Konfetti regnet herab, die Düsseldorfer Show ist aus.