Familienbande: Israelisch-deutscher Roman im Schauspiel Düsseldorf

Das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 war noch nicht geschehen, die Debatte um den Gaza-Krieg hatte noch nicht begonnen, da erschien im vergangenen Sommer das „Gewässer im Ziplock“. Die 1996 geborene Berlinerin Dana Vowinckel reüssierte mit ihrem Debütroman über die Zerrissenheit einer jüdischen Familie zwischen Berlin, Chicago und Jerusalem. Ganz normales Drama mit viel Streit und Herz und Liebe. Ein Stoff, der Nähe schafft. Ehe die Stadt und das Theater ganz im sommerlichen Fußballrausch versinken, bringt das Düsseldorfer Schauspielhaus die Dramatisierung auf die Bühne und liefert so seinen Beitrag im Kulturkampf gegen dumpfen Antisemitismus.
Gewässer? Im Ziplock? Was soll das heißen? Also: Ein Ziplock ist ein Plastikbeutel mit Zippverschluss, den man gern bei Flugreisen für die Fläschchen mit Flüssigkeiten benutzt. Flüge gibt es einige in diesem Roman. Mit dem Gewässer will die junge Autorin noch höher hinaus – ins Himmlische. Sie zitiert dadurch Psalm 93: „Mehr aber als die Stimmen großer Gewässer, mächtiger als die Meeresbrandung ist der Ewige in der Höhe.“ Mit solcher Heiligkeit hat Margarita, die 15-jährige Heldin der Geschichte, ihren Stress. Denn der Vater Avi ist ein Chasan, Kantor in der jüdischen Gemeinde. Was er macht? Singen und Beten, auch zu Hause. Das ist natürlich uncool für eine Berliner Schülerin in den Wogen der Pubertät.
Zum Fürchten gut
Während Avi zu Hause wieder mal singt und betet und seine Seelenruhe sucht (der deutsch-israelische Schauspieler Jaron Löwenberg hat eine herzergreifende Stimme), hockt Margarita bei den Großeltern in Chicago und ekelt sich. Es gibt Joghurt mit fiesen Kirschstückchen, Grandma ist grau und vertrocknet, Grandpa schlürft und schmatzt bei jedem Bissen. Friederike Wagner und Thomas Wittmann mussten für die Rollen auf alt geschminkt werden und neigen zur schlurfenden Karikatur. Man wünscht sich Ensemblemitglieder, die der richtigen Generation angehören. Aber das sei nur am Rand bemerkt.
Es ist ja nie ganz leicht, mit Prosa lebensecht zu spielen. Und aus einer detaillierten Geschichte von 362 Seiten ein zweistündiges Konzentrat zu machen. Dramaturg David Benjamin Brückel hat für seine Dramatisierung die neutrale Perspektive verlassen. Er lässt Margarita und ihren Vater in der Ich-Form erzählen. Die 24-jährige Caroline Cousin verwandelt sich in eine heranwachsende Göre, die Dummheiten macht und deren kindliches Empfinden nicht so recht zur wachsenden Frechheit passen will. Sie mault und lümmelt herum, zum Fürchten gut. Das Publikum, bei dem sie sich beschwert, wird ihr Komplize. Und teilt zugleich die Sorge um sie.
Unstete Verhältnisse
Die überforderte Familie beschließt, dass die Kleine nach Israel zu ihrer Mutter Marsha geschickt wird (herbe Schönheit: Cathleen Baumann). Marsha, die früh aus Margaritas Leben verschwand, war angeblich die Schuldige bei der Trennung der Eltern. Jetzt gibt sie sich Mühe, plant eine Israelreise, dringt aber nicht vor zu ihrem Mädchen, das davonläuft und mit einem Jungen (Abdul Aziz Al Khayat) rummacht, der sie bald schon kränkt und von sich stößt. Margarita ist ganz aufgelöst vor Liebeskummer, Wut und Orientierungslosigkeit. Zu Hause erlebt ihr „Aba“ derweil ebenfalls eine verkorkste Amour und leidet in seiner Einsamkeit.

Caroline Cousin und Cathleen Baumann, Foto: Sandra Then
Das alles wechselt sehr schnell in der Inszenierung von Bernadette Sonnenbichler. Links Berlin, rechts Chicago, überall ein bisschen Israel. Sandige Hügel deuten die dortige Landschaft an, die Möbel für die Schauplätze hängen an Stahlseilen (Bühne: David Hohmann) und werden gelegentlich herabgelassen. Dann schweben sie wieder empor. Unstet wie die Verhältnisse der Familie. Am Ende wird noch einmal geflogen. Alle eilen nach Chicago, weil Grandma verunglückt ist und im Koma liegt. Das Unglück scheint Versöhnung zu bringen. Aber das Ende bleibt offen. Sehr herzlicher Applaus.
Weitere Vorstellungen
Die Uraufführung von „Gewässer im Ziplock“ nach dem Roman von Dana Vowinckel in einer Bühnenfassung von David Benjamin Brückel wurde im Kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses von Bernadette Sonnenbichler inszeniert. Weitere Vorstellungen am 14. und 27. Juni, 20 Uhr. www.dhaus.de