Brücke der Herzlichkeit: Kunstschau in der Werfthalle Düsseldorf-Reisholz
Immer dieser Song! „Über sieben Brücken muss du gehen“. Kaum hat Kurator Klaus Fischer den Ohrwurm erwähnt, da wird man ihn nicht mehr los. Dabei geht es in der wildromantischen Kunsthalle an der Reisholzer Werftstraße gar nicht um einen mühseligen Weg (obwohl die Location ziemlich abgelegen ist), sondern um die Brücke als Metapher der Verbindung. „Ost-West: Brücken bauen – nach innen wie außen“ ist der etwas umständliche Titel einer Ausstellung von 15 Künstler*innen, die Ulrich Mennekes und sein sozial engagierter Verein XU Kulturprojekt Düsseldorf zusammenbrachten. Mit Jazz von Norbert Hambloch and Friends und viel Begeisterung wurde die Schau eröffnet.
Eine Brücke gibt’s dort auch. Aus Pappe. Mitten im Raum hat der Maler Georg H. Schmidt mit dem „café creativ“ der Diakonie ein imponierendes Objekt aufgebaut. Schöne Bögen, Blumendeko. Besucher, besonders Kinder, sind aufgerufen, zusammen weiter daran zu bauen, bis die Brücke steht. Denn das Gemeinsame zu suchen, ist die soziale Absicht der Kunstaktion, die auch Raum hat für die leidenschaftlichen Werke von talentierten Besucher*innen der Diakonie-Tagesstätten, wo mittel- und wohnungslose Menschen eine Zuflucht finden.
Gäste aus Meck-Pomm
Mit den Profi-Künstlern teilen die creativ-Leute jetzt den Schauplatz und die Wertschätzung – eine herzerwärmende Aktion. So wollte es der Initiator Wilfred H. G. Neuse, Fotograf und Multimedia-Künstler. Ein Wunsch zu einem besonderen Geburtstag, aber das soll man nicht verraten. Neuse verwandelt Fotografien und Vorlagen älterer Meister mit alchimistischer Digitaltechnik in neue, geheimnisvolle Bilder auf glänzender Aluminiumplatte. Der „Wanderer über dem Nebelmeer“, Ikone des Caspar-David-Friedrich-Jahres, geistert da durch ein aufgelöstes Universum: „What would Caspar say today?“ fragt der Titel.
Vor einiger Zeit war Neuse zu Gast in der Kunstszene Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern) und hat eine Gegeneinladung versprochen. Brückenschlag. So kommen zwei junge Künstler aus dem deutschen Osten nach Düsseldorf-Reisholz. Mit ganz verschiedenen Positionen. Paul Raddatz ist ein Meister des 1line-painting, das heißt, er zeichnet Räume, Figuren und Landschaften aus einer fließenden Linie. Es entstehen klare, bunte Kompositionen, die gute Laune machen, wie der „Kunstpalast“, in den Raddatz zeichnerisch seine eigenen Bilder gehängt hat, oder der „Samstagabend“ mit Bierchen, Plaudern und Sonnenschirm.
Unendliche Umarmung
Raddatz’ Malerkollege Tom „Tomu“ Wollenberg hat melancholischere Inhalte. Seine gestisch expressiven Bilder wirken aus der Ferne abstrakt, aus der Nähe erkennt man Dinge und Figuren, eine „Unendliche Umarmung“ oder „Zerbrochene Brücken“. Wollenberg kann auch ganz akademisch zeichnen: Mit Kohle auf Holz würdigte er „Die Trümmerfrauen aus Neubrandenburg“, die aus Ruinen neue Häuser bauten. Er hat die Zeichnung bewusst nicht fixiert, sie darf mit der Zeit verschwinden wie die Erinnerung. Und ist umso kostbarer.
Auch Ulrich Mennekes arbeitet mit Erinnerungen, die nicht präzise sind. Eher Hinweise, Assoziationen für jeden von uns. Quelle seiner Inspiration sind Fotografien aus dem Familienalbum, die er benutzt, vergrößert, in Installationen präsentiert. Eine „Silberhochzeit“ in Holthausen 1932 wurde so zum Monumentalbild. Rechts am festlichen Tisch legt Opa Ferdinand Mennekes den Arm um die Gattin Margarete. Aber das muss man nicht wissen. Wer die Menschen sind, die sich feingemacht hatten im Jahr vor der Nazi-Machtergreifung, welche Beziehungen sie hatten, Ansichten, Streitigkeiten, darf geraten werden – und verglichen mit der eigenen Familien-Vergangenheit.
Ein bisschen Hölderlin
Die Gegenwart wurzelt in den Kriegen und Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Das betont Mennekes auch mit weiteren Objekten. In altmodischen Dia-Guckern, die Neugier wecken, zeigt er Fotografien von der Wehrmacht und von eigenen Kunstprojekten in der gleichen Schwarz-Weiß-Ästhetik. Fotografien von Kriegsruinen erscheinen auf Leuchtschirmen zur Betrachtung von Röntgenbildern. Nicht vergessen, will das sagen: Hinsehen! Die Welt ist wieder gefährdet. Doch: „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Die von Mennekes zitierte Hölderlin-Zeile könnte auch für diese Kunstaktion gelten, die Menschen zusammenführt.
Menschen wie den syrischen Künstler Yahia Alselo, dessen fantasievolle Mosaikcollagen nach der Flucht jetzt in Düsseldorf entstehen, und den 85-jährigen drusischen Maler Ovadia Alkara, der mal in Düsseldorf, mal im israelischen Künstlerdorf Ein Hod lebt. Alkaras subtil verschachtelte Kompositionen scheinen aus der Fläche herauszutreten, drängend wie Gefühle von Angst und Mut. Aus Ein Hod kommt auch der Multimedia-Artist Avraham Eilat mit fotografischen Porträt-Collagen von „People I met“. Dazu gehört Konrad Klapheck, der inzwischen verstorbene Düsseldorfer Maler und Akademie-Professor.
Feine Gesellschaft
Maria Gilges sorgt für die witzigsten Stücke der Ausstellung. Sie übermalt gefundene Fotografien mit kuriosen Farben und Accessoires. So entstand die „Feine Gesellschaft“ mit ihren tütenförmigen Hüten und türkis-pinken Gesichtern auf dem Katalog-Cover. Die Verwandlungskünstlerin kann auch Plastiktüten in Skulpturen verwandeln. Sie schneidet sie in Streifen und häkelt daraus spitznasige „Wächter“ oder „Trophäen“ für die häusliche Wand.
„Can you see me?“ fragt aus der hinteren Ecke der großen Halle ein malerisch vernebeltes Schriftbild der Düsseldorfer Designerin und freien Künstlerin Gabi Konczak. Wie eine Antwort darauf macht Karin Dörre aus Mülheim Menschen sichtbar. In der Serie „angekommen“ porträtiert sie sehr einfühlsam Frauen mit Migrationshintergrund. Sie zeigen Präsenz auf großen aquarellierten Zeichnungen. Olga aus der Ukraine und Razeea aus Mauretanien, gucken uns freundlich an, Sano aus Estland sieht zur Seite, auf ein Meer der Träume. Wenn es still ist im Raum, kann man die Frauen auch erzählen hören, Karin Dörre hat ihre Stimmen und Geschichten aufgenommen. Auch eine Art von Brückenschlag.
Was, wann und wo?
Die Ausstellung „Ost-West: Brücken bauen – nach innen wie außen“ ist bis 23. Juni in der Kunsthalle Werft 77 in Düsseldorf-Reisholz zu sehen. Leider nur Sa./So. 14 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung. Der Eintritt ist frei, eine Katalogbroschüre kostet fünf Euro. Kostenlose Führungen samstags um 15 Uhr, sonntags Kunstaktionen und zum Schluss, am 23. Juni, 15 Uhr, eine Podiumsdiskussion zum Thema „Welchen Beitrag kann Kunst zum Gelingen einer friedlichen Koexistenz in einer demokratischen Gesellschaft leisten?“ Zusätzliche Führungen für Senioren, Schulkassen und Vereine nach Anmeldung (Tel. 0173 5420606). Informationen unter www.xu-kulturprojekt.de/ostwest