Schlag nach bei Shakespeare: Was das Schauspiel Düsseldorf plant
Die Zeiten haben sich geändert. Panzer der Unversöhnlichkeit zerstören das nette Gefühl eines selbstverständlichen Friedens. So kommt es, dass Luxusprobleme wie unser Gezeter um eine gendergerechte Sprache weniger wichtig werden. Und ein Stück wie Wolfgang Borcherts fast vergessenes Kriegsheimkehrer-Drama „Draußen vor der Tür“ auf der großen Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses geprobt wird. In der kommenden Saison werden einige Lehren aus der Vergangenheit gezogen. Und das, sagt Generalintendant Wilfried Schulz, ist kein Zufall.
Schließlich geht es gerade weltweit wieder um Repression, um „Trauma und Hoffnung“, formuliert Schulz. Theater muss da hinsehen. Das zweisprachige Ukraine-Festival mit seinen Schreien und Gesängen aus einem geschundenen Land hat über 5000 Zuschauer angezogen, 40 Prozent davon waren ukrainische Geflüchtete, die übrigen kamen aus Interesse und Empathie. In jedem Fall wird das Theater zu einem geschützten Raum, der das Verschiedene zulässt – in der Kunst und in der Diskussion. Spaß darf es auch geben, nicht zu knapp. Passend zur Europameisterschaft wird noch in dieser Saison Open Air der Fußball gefeiert. Schulz: „Wir versuchen, das Haus zu öffnen.“
Wilsons Moby Dick
Partys und Yoga-Sessions im Foyer gehören im Pfau-Bau dazu. Aber, um eine Fußballweisheit zu gebrauchen, wichtig ist auf’m Platz, beziehungsweise auf der Bühne. Und da gibt es sehr viel in der neuen Spielzeit, worauf man gespannt sein darf. Gleich zu Beginn, am 7. September, präsentiert der große amerikanische Regie-Guru Robert Wilson seine Version von „Moby Dick“. Mit Musik der Britin Anna Calvi. Wilson hat Düsseldorf immer wieder herausgefordert und verzaubert. „In Deutschland sind wir sein Haus“, sagt Schulz mit berechtigtem Stolz. In der Dramatisierung des Melville-Romans um die Jagd auf den mächtigen Wal spielt ein Männerensemble. Nur der besessene Kapitän Ahab wird von einer Frau dargestellt: Rosa Enskat („Der Besuch der alten Dame“).
Keine Travestie gibt’s bei Shakespeares „König Lear“, dem alternden Tyrannen, der sich die Liebe seiner Töchter erkaufen will. Charakterstar Burghart Klaußner kommt dafür wieder einmal aus Hamburg nach Düsseldorf. Auf die Inszenierung von Evgeny Titov, der bereits mit „Macbeth“ und „Richard III.“ die Bühne beben ließ, muss man allerdings bis Anfang 2025 warten. Davor gibt es den Borchert (5. Oktober, siehe oben), und „Der Geizige“ von Molière zelebriert am 2. November seinen Kult um das geliebte Geld (Regie: Bernadette Sonnenbichler), sehr passend in der Kapitalisten-City Düsseldorf. Zu Weihnachten darf sich die Familie auf Kästners Kinderkrimi „Emil und die Detektive“ freuen. Für Erwachsene inszeniert ein Jungregisseur, Anton Schreiner, ein neues Stück von Marius von Mayenburg, den Psychothriller „Ellen Babíc“.
Oscar Wildes Märchen
André Kaczmarczyk, Tragöde, Polizeiruf-Kommissar und Publikumsliebling, will sich im Frühjahr 2025 als Regisseur mit dem Prozess um Oscar Wilde beschäftigen: „Die Märchen des Oscar Wilde erzählt im Zuchthaus zu Reading“. Das Stück wird noch entwickelt. Dass Kaczmarczyk selbst mitspielt, bleibt zu hoffen. Zwei Stoffe aus dem Repertoire der klassischen Moderne gibt es noch im Großen Haus: „Jeder stirbt für sich allein“, Falladas herzzerreißende Geschichte um die Zivilcourage einfacher Menschen in der NS-Zeit (Regie: Nora Schlocker), und Brechts „Heilige Johanna der Schlachthöfe“ (Roger Vontobel).
Im Kleinen Haus heißt es: „Man muss sich Mephisto als einen glücklichen Menschen vorstellen“. Jan Bonny bringt am 12. Oktober sein Spiel um Klaus Manns Gründgens-Roman „Mephisto“ heraus. Weiter auf dem Plan der kleineren Bühne stehen Ibsens „Nora“, Boris Vians „Schaum der Tage“ und gleich drei Uraufführungen: „Liv Strömquists Astrologie“ nach einer Graphic Novel, „Der blinde Passagier“ von Maria Lazar und ein neues Stück der gefeierten indisch-rheinischen Autorin Mithu Sanyal: „Antichristie“.
Bin gleich fertig
Das Junge Schauspiel, unter der bewährten Leitung von Stefan Fischer-Fels, feiert nächstes Jahr mit einem Tanztheaterstück („Freedom is a Dancer“) seinen Abschied von der Bühne an der Münsterstraße und plant den Umzug ins Central am Hauptbahnhof. Zu Anfang der Saison wird Goethes „Faust 1+2+3“ von Felix Krakau an den Teenager-Geschmack angepasst (15. September), für die Kleinen geht’s ums Trödeln am Morgen: „Bin gleich fertig!“ Später sollen auch „Pinocchio“ und ein „Wolf“ ihre Rollen spielen. Robert Gerloff inszeniert schließlich im Studio für über 14-Jährige die Kindheitserinnerungen von Holocaust-Überlebenden: „Blindekuh mit dem Tod“.
Auch das Stadt:Kollektiv hat Großes vor. Im Kleinen Haus gehört der professionell geführten Laientruppe sogar die erste Premiere der Saison: „Romeo und Julia“, frei nach Shakespeare, inszeniert von Bassam Ghazi. Wie Kollektiv-Chefin Birgit Lengers sagt, geht es allerdings weniger um romantische Liebe als um die Feindschaft der Familien, Häuser, Clans oder Länder. Für „Die Verwandlung“ nach Kafka, ebenfalls im Kleinen Haus, wird nach Mitspielern gesucht, die ihren Körper verwandelt haben – durch Training, Tattoos, Piercings, Beauty-Medizin, was auch immer. Drittes Projekt ist das Thema „Waffennarren“. Ein heikles Feld. Doch das Theater fürchtet sich nicht.
Spiel und Vernetzung
Zur Spielzeit 2024/2025 erscheinen zwei frei erhältliche Publikationen, gestaltet von der jungen Grafikerin Meltem Kalayci: ein Textheft mit dem Spielplan und den wichtigsten Informationen zu den Stücken und ein wunderschönes Bildheft mit Fotos von Thomas Rabsch. Die Mitglieder des Ensembles präsentieren sich darin ganz zwanglos an ihren bevorzugten Theaterorten. Lou Strenger posiert mit Engelsflügeln auf dem Dach, Manuela Alphons lugt aus der Maskenwerkstatt, Rainer Philippi und sein Hündchen Shoku lernen Text in der Lieblingsbar Rheinton. Auch um die Vernetzung des Theaters geht es. Die kostümierte Sophie Stockinger hockt beim Oberbürgermeister Stephan Keller im Rathaus, Sebastian Tessenow als „Woyzeck“ lässt am Schreibtisch von Kulturministerin Ina Brandes die Beine baumeln. Weitere Informationen: www.dhaus.de