Ein Lied wie ein Schrei: Ukraine-Festival Düsseldorf
Der Mensch gewöhnt sich an alles. Auch an Katastrophen wie den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. „Zeit verschleißt Empathie“, bemerkte Generalintendant Wilfried Schulz ein bisschen traurig bei der Eröffnung des Festivals „Fokus Ukraine“ im Schauspielhaus. Umso wichtiger ist es ihm, das Theater für „Authentizität und Menschlichkeit“ zu öffnen. „777 Tage“ (so der Titel) tobt die Schlacht, sieben Tage widmet sich das Düsseldorfer Theater ganz dem Land, das zu einem freien Europa gehören möchte.
Zahlreiche Geflüchtete waren gekommen, in erster Linie Frauen, hübsch gemacht, in freudiger Aufregung. Das Festival ist auch eine große Party für sie. Sie waren begeistert vom nächtlichen Rockkonzert der Kiewer Frauenband Dakh Daughters im Großen Haus und blieben nachher noch im Foyer, wo der ukrainische DJ Nikolay Karabinovych auflegte. Schulz sieht das Getümmel mit väterlichem Vergnügen. Er will den Geflüchteten das Gefühl geben, „Teil unserer Gesellschaft“ zu sein. Und er will ukrainische Künstler unterstützen. „Ein Traum“ ist das für Generalkonsulin Iryna Shum, die sich erhofft, dass man so „die Herzen erreichen“ kann.
Stimme der Frauen
Oberbürgermeister Stephan Keller, der sich vehement für eine unverminderte, auch militärische Unterstützung der Ukraine einsetzte, lobte die Bemühung, den Geflüchteten „eine Stimme“ zu geben. Die Stimme des Festivals ist übrigens eine vorwiegend weibliche, „die Stimme der Frauen“, wie es Festivalchefin Birgit Lengers ausdrückt. Dass es da nicht um liebliche Töne geht, zeigte gleich darauf die erste Vorstellung im Kleinen Haus: „Mothers – A Song of Wartime“ („Mütter – ein Lied für Kriegszeiten“).
20 Protagonistinnen stehen auf der Bühne, stumm, breitbeinig, mit grimmig entschlossenen Mienen. Ein Mädchen kommt hinzu. Spot auf Reihe 12. Dort erhebt sich eine zierliche brünette Person: die polnische Theatermacherin Marta Górnicka, aktiv am Berliner Maxim Gorki Theater. Es ist ihr Stück, das im vergangenen Herbst Premiere in Warschau hatte. Górnicka dirigiert selbst mit kraftvoller Geste den Chor auf der Bühne, eine in Polen von einer Stiftung gegründeten Formation mit geflüchteten Frauen aus der Ukraine und Belarus.
„Es tut so weh“
Sie kennen zartfühlende Lieder – von Schwalben und von Liebe. Sie erzählen von einem ukrainischen Frühlingsritual, bei dem Frauen singend von Tür zu Tür ziehen. Aber die friedlichen Zeiten sind vorbei, es herrscht Krieg. Und so agieren die Chormitglieder wie Soldaten, marschierend, in strenger Formation. Sie singen nur gelegentlich, sprechen meistens im Chor, rhythmisch, laut, wütend. Es geht um die Zerstörung der Zivilisation, Vergewaltigung, Mord an Zivilisten. Und, vor allem, um die Gleichgültigkeit der Welt, die sie zur Weißglut treibt.
„Da gibt es nichts zu lachen“, übersetzt die Leuchtschrift an der Wand. Schmerzvolle Sätze erscheinen da wie: „Mama, es tut so weh!“ Immer wieder wird das in ihren Augen zu schlappe Europa angeklagt. Dann schwillt der Sound an zum Höllengeschrei, die Grenze des Erträglichen wird anvisiert. Mehr innere Verbindung stellt sich ein, als sich die Frauen einzeln mit ruhiger Stimme vorstellen, von ihrer Familie, ihren Ängsten, Verlusten und Sehnsüchten berichten: Natalia, die Musiklehrerin, ihre Chor-Freundinnen Svitlana, Yuliia, Maria.
Weiter geht’s
Der Applaus am Ende fühlt sich an wie eine Demonstration. Man ist erschöpft und sucht etwas Trost in einer rührenden Nachtveranstaltung: Ein kleines Konzert von einem Knabenchor wird live aus dem ukrainischen Lwiw (einst Lemberg) übertragen und auf die Fassade des Schauspielhauses projiziert. Acht Kinder singen in einem abgedunkelten Raum von Nachtigallen und Patriotismus. Sie sehen blass und müde aus. Das Konzert ist kurz, denn sie müssen noch einzeln nach Hause gebracht werden. In Sicherheit. Hoffentlich.
Informationen
Bis zum 17. April feiert das Schauspielhaus Düsseldorf noch den „Fokus Ukraine“ mit täglich wechselnden Vorstellungen: mehrsprachiges Schauspiel, Musik, Tanz, Diskussionen. Unter anderem zeigt das Left Bank Theatre aus Kiew seine vom Krieg unterbrochene Hamlet-Produktion „HA*L*T“ (14. April, Kleines Haus), im Großen Haus spielt zuvor das Jewish Chamber Orchestra „Kofflers Schicksal: Die Goldberg-Variationen“, eine Inszenierung der Münchner Kammerspiele. Die Tickets für alle Vorstellungen kosten 7 Euro, ukrainische Mitbürger*innen zahlen nur einen Euro. Das Festivalzentrum im Foyer des Schauspielhause am Gründgens-Platz ist täglich ab 15 Uhr geöffnet. www.dhaus.de