Aufgeblasen: Kunstpalast Düsseldorf untersucht die Größe in der Fotografie
In jener Zeit, als es noch keine Online-Zeitungen gab, hatten wir in der Redaktion einen Fotografenkollegen, der uns folgenden Layout-Tipp gab: „Ein schlechtes Bild muss man groß drucken.“ Wir lachten, aber es war durchaus ernst gemeint. Die Größe einer Abbildung hebt die Bedeutung, schärft die Aufmerksamkeit. Das Kleine muss sehr stark sein, um Beachtung zu finden. „Size Matters“, auf das Format kommt es an, stellt die neue Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast fest. Mit 90 Stücken aus der Sammlung und ergänzende Leihgaben hat Foto-Chefin Linda Conze eine nicht allzu bedeutende, aber sehr reizvolle Schau zusammengestellt.
Das Plakat fällt auf im Straßenbild: Ein riesiger angebissener grüner Apfel liegt da neben einem Baum, der kaum größer wirkt als ein Zweig. Auf einem anderen Bild der Berliner Fotokünstlerin Kathrin Sonntag klebt eine gigantische rosa Tasse an einer Eingangstür. „Dinge im Hintergrund“ heißt die amüsante Serie. Kein Hexenwerk mehr. Die digitale Technik macht solche Effekte jederzeit möglich. Vorbei die Zeiten, als die Fotografie als Beweis für das Tatsächliche galt – wie im Archiv des Bayrischen Nationalmuseums, woraus ein mit Zentimeterskala ergänztes Foto einer Rüstung aus dem 16. Jahrhundert stammt. Zur Begrüßung des Publikums wurde das gute Stück noch einmal reproduziert und mannshoch abgezogen.
Kein Beweis mehr
Die Insekten neben Münzen, die Wikimedia Commons zum Größenvergleich ins Netz stellt, könnten genauso gut gepfuscht sein. Der Fotografie ist nicht (mehr) zu trauen. Das gilt natürlich erst recht für ein geheimnisvolles Konzert-Bild von Andreas Gursky („Madonna“, 2001), von oben betrachtet, zwei mal drei Meter groß, neu ausgedruckt. Lichter und Personen verflimmern in der nächtlichen Szene zu einem Rätsel. Gegenüber hängt das winzigste Bild der Düsseldorfer Sammlung: die zwei mal drei Zentimeter kleine Luftaufnahme eines Platzes mit Brunnen und Menschen, die 1935 entstand. Wahrscheinlich, glaubt Linda Conze, handelt es sich um den Schnipsel einer Postkarte.
Und wir reagieren, wie wir es gewohnt sind. Um das Bild genauer zu sehen, fotografieren wir es mit dem allzeit bereiten Smartphone und zoomen, bis die Figuren groß genug werden. Leider unscharf. Typisch. Mit dieser alltäglichen Enttäuschung spielt Morgaine Schäfer in ihrer Serie „maginify“ (Vergrößerung), bei der sie Bilder aus dem Familienalbum mit dem Handy abfotografiert und in unscharfen Vergrößerungen ausdrucken lässt. Unkenntliche Köpfe von Urlaubern im Wasser – verschwommen wie die Erinnerungen.
Lauter Gespenster
Manche Überbleibsel fotografischer Art sind überhaupt nicht mehr mit Erinnerungen verbunden – wie die gesammelten Privatfotografien fremder Leute in einer Rauminstallation des niederländischen Künstlers und Agenturchefs Erik Kessels. Zu Gespenstern werden all die unbekannten Kinder und Herrschaften auf verblichenen, stark vergrößerten Aufnahmen. An der Wand stapeln sich bröselige Alben. Historische Medaillons in einer Vitrine zeigen Miniaturporträts von Liebsten, die gewiss längst verstorben sind. Auf einem Klappständer erscheinen Mutti am Hortensienbusch, blaustichig, und Vati auf der Couch, zu rötlich, als große, feste Drucke. Das Format macht unbeachtete alte Schnappschüsse zu rätselhaften Kunstwerken.
Im nächsten Raum sieht man ganz scharf – und weiß doch nichts. Auf Thomas Ruffs berühmt gewordenen Porträts aus den 1980er-Jahren wird so wenig wie möglich preisgegeben. Vor hellem Hintergrund ließ der aufstrebende Fotokünstler die Abgelichteten ruhig und ernst gucken. Posieren und Lächeln verboten. Die Gesichter sind größer, viel größer als im Leben. Jede Pore ist genau zu erkennen, auch die diskreten Pickelchen am Kinn einer sehr hübschen jungen Frau mit kurzen blonden Haaren. Alles Oberfläche. Was sie fühlt? Keine Ahnung. Es gibt wahrhaftig schönere Porträts, aber wenige, die den Betrachter so faszinieren.
Sichtbar machen
Auch die Dinge verändern sich durch die Fotografie. Zwei ordinäre Löffel, schon ziemlich verkratzt, werden auf Monumentalaufnahmen des Franzosen Patrick Tosani zu raffiniert beleuchteten Objekten, die Gebrauchsspuren zu Charakteristika. „Size matters“ – besonders in der Vergrößerung. Sonst würde man die winzige Föhren-Spinne gar nicht wahrnehmen, die 1856 in 3000-facher Vergrößerung fotografiert wurde. Aus einem Mikro-Universum stammt dieses Wesen – wie die Plankton-Teile, die Claudia Fährenkemper 2005 im Zoologischen Forschungsmuseum Bonn festhielt. Aliens aus dem Wasser.
Zwei seltsame silbern glänzende Stahlskulpturen, die an Blubberblasen erinnern, entstanden ebenfalls aus einer (extremen) Vergrößerung. Der Brite Simon Starling nutzte dafür mikroskopierte Silberpartikel von der Oberfläche einer historischen Fotografie von chinesischen Arbeiterinnen vor einer amerikanischen Schuhfabrik in den USA, um 1875. Diese Partikel sind sozusagen das Modell für die plastische Form. Komplizierte Vorgehensweise für ein eher dekoratives Ergebnis.
Das Datenmonster
Nachdenklicher stimmen einige Arbeiten, die mit Internet-Material arbeiten. Der Isländer Kristleifur Björnsson kommentiert die Aneignung von Bilddateien, indem er monumental große Porträts der Schauspielerin Parminder „Mindi“ Nagra aus Din-A4-Abzügen von Details collagiert. Erinnert an den Bravo-Starschnitt, nur aus dem Netz geklaut und irgendwie erschreckend. Genau wie der letzte Raum, der über und über mit den Bilddateien tapeziert ist, die der Amerikaner Evan Roth seit 2019, als seine Tochter geboren wurde („Since you were born“), aufgerufen hat.
Im sogenannten Cache des Internetbrowsers werden diese Klicks als Kopie gespeichert: eine wüste Mischung aus Urlaubsbildern, Werbung, Recherche, Schnickschnack aus sozialen Medien. Der Künstler hat vor, das Werk weiter wuchern zu lassen, größere Räume damit einzunehmen, keine Lücke zu lassen. So lässt er uns fühlen, dass auch das Kleine und Verborgene monströs groß werden kann und die Bilddaten uns längst verschlungen haben.
Was, wann und wo?
„Size Matters. Größe in der Fotografie“: bis 20. Mai im Kunstpalast Düsseldorf, Ehrenhof 4-5. Di.-So. 11 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Der ungewöhnliche Katalog mit Detailausdrucken in der Größe des jeweiligen Originals ist im Distanzverlag erschienen und kostet 29,80 Euro. Wer Lust hat, selbst mit dem Größenverhältnis von Motiven zu spielen, Dinge oder Menschen auf Bildern zu verändern, kann seine Fotografie per E-Mail an gewinnspiel@kunstpalast.de schicken. Die besten Einsendungen werden auf einem Bildschirm am Ausgang der Schau gezeigt.