Düsseldorf: Sind Klimaaktivisten Straftäter?
NRW-Innenminister Herbert Reul legte am Mittwoch (10.1.) die Abschlussbilanz der Ermittlungskommission Lützerath vor. Darin betont er „Wir wissen sicher: Unter den Klimaschützern tummelten sich auch radikale Klima-Chaoten“ und verweist auf insgesamt 594 Straftaten im Zusammenhang mit der Räumung von Lützerath, davon allein 271 am 14. Januar 2023. Da in den wenigsten Fällen Personalien aufgenommen wurden, erfolgte seit Februar 2023 die Auswertung von Bild- und Videodaten. Das ergab für den 14. Januar das Verfassen von 271 Strafanzeigen, von denen 134 Straftäter im Verfahren identifiziert und bis zum 10. Januar 2024 72 Straftaten aufgeklärt wurden, eine Aufklärungsquote von derzeit 27 Prozent. Ein sehr großer Aufwand für die Ermittler und nun folgt noch die juristische Verfolgung der Delikte.
Innenminister Herbert Reul: „Am Ende hat fast niemand mehr über Klimaschutz geredet, sondern nur noch über die Gewalt, die dort stattfand. Mit akribischer und teils kleinteiliger Ermittlungsarbeit hat die Polizei nun dafür gesorgt, dass diese Form von Protest rechtliche Konsequenzen hat und viele Täter identifiziert wurden. Straftaten und Angriffe auf Polizisten sind mit der Demonstrationsfreiheit nicht vereinbar. Auch das wichtige Thema Klimaschutz legitimiert keine Straftaten. Und noch weniger hilft diese Form von Protest unserer demokratischen Gesellschaft, die ihr Zusammenleben durch Gesetz und Recht ordnet.“
Straftäter oder Klimaaktivist?
Soweit der Bericht des Innenministers. Doch wer gehört zu den Menschen, die von Reul als „Straftäter“ bezeichnet werden? Zum Beispiel Johannes Dörrenbächer, Streetworker bei fiftyfifty und engagierter Klimaschützer. Er war mit seinen Kolleg*innen von fiftyfifty und weiteren Tausenden von Demonstrierenden am 14. Januar 2023 in Lützerath. Ihnen ging es nicht um Krawall, sondern darum, dass das Klimaziel von 1,5 Grad überlebenswichtig für nachfolgende Generationen ist. Schon heute zeigen die Hochwasserkatastrophen, Hitzewellen und andere Umweltereignisse, wie sich das Klima wandelt und Menschenleben kostet.
Ein großes Polizeiaufgebot versuchte die Demonstrierende von ihrem Marsch abzuhalten. Dabei kam es auch zum Einsatz von Pfefferspray. In diesem Zusammenhang zeigte Dörrenbächer gegenüber den Einsatzkräften der Polizei den „Stinkefinger“ und zog anschließend mit der Masse weiter. Hubert Ostendorf, Geschäftsführer von fiftyfifty, war ebenfalls vor Ort und berichtet „Es hat sich angefühlt wie Krieg“, aber die Menschen hätten gemeinsam friedlich ihren Weg gesucht, gleich neben ihm sei ein katholischer Geistlicher aus Krefeld gegangen. Vermummt war keiner von ihnen.
Identifizierung von Demonstrierenden
Die von Reul gelobte Auswertung der Videoaufnahmen wurden Dörrenbächer zum Verhängnis. Da er durch seine Arbeit vielfach in den Medien erwähnt wird, gehörte er zu den identifizierten „Straftätern“. Ende 2023 erreichte ihn eine Anzeige wegen Beleidigung. Nachdem sein Anwalt Johannes Pausch Akteneinsicht genommen hat, stellt sich die Sachlage so dar, dass sich der Polizist, dem das Handzeichen galt, nicht beleidigt gefühlt hat. Um trotzdem gegen Dörrenbächer vorgehen zu können, hat stellvertretend der Gruppenleiter der Einsatzeinheit die Strafanzeige gestellt. Damit aber nicht genug. Im Dezember erhielt Dörrenbächer einen weiteren Brief. Nun wird ihm zusätzlich schwerer Landfriedensbruch gemäß Paragraph 125a Strafgesetzbuch mit einem Strafmaß zwischen sechs Monaten und zehn Jahren vorgeworfen. Der Paragraph besagt, dass ein besonders schwerer Fall in der Regel vorliegt, wenn der Täter eine Schußwaffe bei sich führt, eine andere Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, durch eine Gewalttätigkeit einen anderen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder plündert oder bedeutenden Schaden an fremden Sachen anrichtet. Dabei machen sich auch diejenigen schuldig, die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften vorgehen, als Täter oder Teilnehmer beteiligt oder wer auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern. Allein die Tatsache, dass es einzelne gewaltbereite Teilnehmende am 14. Januar in Lützerath gab, führt nun dazu, dass Menschen, die identifiziert werden können, ebenfalls mit einer Anklage rechnen müssen.
Da die Ermittlungen der Polizei längst noch nicht abgeschlossen sind, ist damit zu rechnen, dass demnächst noch mehrere Teilnehmende Post bekommen. Mithilfe spezieller Software-Programme, beispielsweise einer Gesichtserkennungssoftware, werden weiterhin Videos, Bilder und Kameraaufnahmen durchsucht und tatverdächtige Straftäter*innen identifiziert, heißt es seitens der Polizei.
Solidarität mit den Klimaaktivisten
„Die neuen Ermittlungsverfahren gegen Klimaaktivist*innen sind haltlose Einschüchterungsversuche. Statt gegen die Verursacher der Klimakrise vorzugehen, kriminalisiert man jetzt engagierte, junge Menschen. Ich finde das höchst demokratiefeindlich und gefährlich“ sagt Hubert Ostendorf.
Künstler Klaus Klinger, sein Jahrzehnten im politischen Protest engagiert, hat 100 Kunstobjekte geschaffen, die nun verkauft werden, um die juristische Vertretung von Dörrenbächer und anderen Aktivisten zu finanzieren. Neben dem gelben Kreuz, dem Symbol für den Erhalt von Lützenrath und dem stilisierten Bagger, ist auf den Ziegelsteienen das Zitat „Der Dialog mit der Jugend wird fortgesetzt“ zu sehen. Wie Klinger erklärt, stammt dieses aus Frankreich, wo 1968 die Proteste der Jugend eskalierten. Die Kunstwerke sind für 100 Euro über die fiftyfifty-Galerie zu bekommen.