Kunstsinn: Tony Cragg bei den Düsseldorfer Jonges
Soll noch mal einer sagen, beim Heimatverein ging es nur um Bier und Klüngel! Nach der Verleihung ihres Kunstpreises an den Foto-Virtuosen Andreas Gursky haben die Düsseldorfer Jonges jetzt wieder einen weltberühmten Künstler empfangen. Der Bildhauer Sir Tony Cragg (74), hoch dekorierter Engländer aus Wuppertal, Mitglied der Royal Academy in London, Chef eines eigenen Skulpturenparks, emeritierter Rektor der Düsseldorfer Akademie und engagierter neuer Vorsitzender des Künstlervereins Malkasten, erklärte den Herren, warum Kunst „eine große wichtige Funktion“ hat. Es wurde ungewöhnlich still zugehört.
Der Henkel-Saal ist nicht schön. Kahle Tische, fleckige Stühle, kalte Beleuchtung. Trotzdem hat der Saal als Schauplatz der Heimatabende für die Jonges eine behagliche Bedeutung. Alles Material, sagt Cragg, ist für den Menschen mit Emotionen aufgeladen. In der Kunst wird diese Erkenntnis verdichtet. Craggs Skulpturen, deren anmutige Schwünge in Bronze verewigt sind und manchmal eine Figur oder ein Gesicht andeuten, setzen unübersehbar ihre Energie in den Raum – oder im Wuppertaler Park „Waldfrieden“, wo sie wie selbstverständlich zwischen den Bäumen stehen.
Weg der Zeichnung
Aber Tony Cragg ist niemand, der das eigene Werk lobt. Er spricht humorvoll und bescheiden von seinem Leben, seinen Erfahrungen, seiner Wertschätzung der Kunststadt Düsseldorf. Der Großvater war noch Bauer in Südengland, der Vater wurde Luftfahrtingenieur und „glaubte bedingungslos an Wissenschaft und Technologie“. Auf sein Drängen hin arbeitete der junge Anthony zunächst als Forschungslaborant in der Gummi-Industrie: „Dort roch es übel.“ Um sich abzulenken, fing er an zu zeichnen – mit wachsender Begeisterung und Entschiedenheit. Sein Talent brachte ihn über Kunstschulen ans Royal College of Art: „Mein Vater war extrem wütend.“
Tony hatte seinen Weg gefunden. Übernahm 1976 schon einen Lehrauftrag in Metz. Und er lernte eine Wuppertalerin kennen, wegen der er 1977 für ein Jahr nach Deutschland ziehen wollte: „Irgendwas ist schiefgegangen“, schmunzelt er, „ich bin immer noch hier“. Sein Wohnsitz ist und bleibt Wuppertal, aber in Düsseldorf entfaltete sich seine Kunst. Der damalige Rektor Norbert Kricke, ein Meister der filigranen abstrakten Bildhauerei, gab ihm 1979 eine Dozentenstelle und förderte ihn. Sein Werk verfestigte sich, wuchs als Skulptur in den Raum: „Es hat mich mitgerissen.“
Einmalig in der Welt
Anders als Kollegen, die im Rückblick gerne alles besser wissen, äußert sich Cragg begeistert über die Düsseldorfer Akademie, die seit 250 Jahren „immer wieder neue Generationen“ bedeutender Künstler hervorgebracht habe. Von Schadow bis Beuys, von Achenbach bis Richter: „So etwas gibt es sonst nirgendwo auf der Welt.“ Der Ruf der Kunststadt Düsseldorf ist bis heute vielleicht größer, als die Düsseldorfer selbst glauben. Die Wirtschaft scheint in dieser Stadt oft übermächtig, aber erst die Kultur bereichert das Leben, hinterfragt die Verhältnisse, gibt Gefühlen und Gedanken eine ästhetische Form. Cragg: „Kunst ist eine Überlebensstrategie.“
Das gilt natürlich erst recht für die Maler und Bildhauer selbst, die nach dem Studienabschluss oft den direkten Austausch mit den Kolleg*innen vermissen. Deshalb, so Cragg, sei es so wichtig, „einen Künstlerverein zu haben“. Schon vor 175 Jahren, als der „Malkasten“ gegründet wurde, ging es um die Kraft der Gemeinschaft, die gegenseitige Inspiration – und die gesellschaftliche Rolle der Kunst. Nach großen Zeiten mit legendären Aktionen und Festlichkeiten war der Malkasten Ende des letzten Jahrhunderts veraltet und auf seinen Lorbeeren eingeschlafen. Tony Cragg verschweigt das vornehm. Aber er will die Verbindung zur Akademie reaktivieren, bedeutende Ausstellungen machen und die Öffentlichkeit neu begeistern. Denn: „In einer Welt ohne Kunst und Kultur sind wir verloren.“