Kopfkunst: Andrea Büttner im Düsseldorfer K21
Keine Angst, keine Scham, keine Verwirrung: Das ist der Menschheit zu wünschen. „No Fear, No Shame, No Confusion“ lautet der Untertitel zur Ausstellung von Andrea Büttner im Düsseldorfer K21. Die 1972 in Stuttgart geborene, in London promovierte, in Berlin lebende und in Kassel lehrende Professorin für „Kunst im zeitgenössischen Kontext“ ist, so Chefkuratorin Patrizia Dander, „konsequent tiefgründigen Themen auf der Spur“. Bedauerlicherweise versteht die edle Absicht nur, wer eine Führung mitmacht oder den bleischweren, in Zusammenarbeit mit dem Baseler Museum herausgegebenen Katalog fleißig studiert.
Das Buch zeigt immerhin den großen Überblick, die Düsseldorfer Schau kommt in drei Räumen sehr abgemagert daher – auch wenn in den Augen von Patrizia Dander „die bedeutendsten und schönsten Werke“ zu sehen sind und Kuratorin Isabelle Malz darüber „wahnsinnig glücklich“ ist. Ein Publikum, das sich nicht jahrelang mit der akademischen Position von Andrea Büttner beschäftigt hat, wird diese Euphorie kaum nachvollziehen können. Denn da erschließt sich gar nichts von selbst. Die Kunst will auf keinen Fall spielen. Nur denken.
Keine Heilung
Es gibt keine Heilung durch Kunst. Das ist in etwa die These des ersten Raums, wo Andrea Büttner allerlei Übles in der Welt vorführt, das sich ihrer Ansicht nach nicht kulturell bewältigen lässt. Zwei Fotografien einer Wiese mit seltsamen Mauerresten zeigen Beetfundamente aus dem sogenannten „Kräutergarten“ des einstigen Konzentrationslagers Dachau, wo die SS biologisch-dynamische Agrarforschung betrieb. Unter anderem wollten die Nazis ein rein deutsches Vitamin C aus Gladiolen gewinnen, worauf wiederum eine Installation kreativ gestalteter Knubbelvasen hinweisen soll. Darauf muss man erst einmal kommen.
Im Video gegenüber geht es um die im Krieg zerbombte Londoner Coventry Cathedral, deren Ruinen – ähnlich wie die Berliner Gedächtniskirche – zum Gedenken stehen blieben und mit einem Neubau ergänzt wurden. Büttner, erfährt man, glaubt nicht an den „Versuch, das Trauma der Moderne mit schönem Design zu heilen“. Überhaupt empfindet sie ästhetische Bemühungen oft als verlogen. Zum Beispiel auch viktorianische Tapetenmuster mit ländlichen Idyllen, die im 19. Jahrhundert das Elend der Industrialisierung verdrängen sollten. Ein Video über dieses Thema hängt vor einer blauen Fensterbespannung, die, danke für den Hinweis, aus Arbeitshosen-Stoff geschneidert wurde.
Keine Entschuldigung
Auch die von bayrischen Schnitzern nach Büttners Konzept gefertigten Spargelstangen aus Holz, die daneben auf dem Tisch liegen, haben mit Sozialkritik zu tun. Sie entstanden in der Corona-Zeit als Hommage an ausgebeutete Spargelstecher, die sich trotz Ansteckungsgefahr in engen Unterkünften drängten und auf den Feldern schufteten, damit die Bürger weiter ihr Lieblingsgemüse genießen konnten. Nun, verrotten lassen wäre auch keine gute Alternative gewesen. Aber Professor Büttner duldet keine Entschuldigungen, wenn es ihr um Missverhältnisse geht. Wie im zweiten Raum, wo sie eine Reihe abgedruckter Bettler-Darstellungen (von Rembrandt bis Fragonard) als hoch gehandelte Objekte des Kunsthandels vorführt. Ein, wie sie findet, zynisches Phänomen.
Nun, sie selbst wird auf dem Markt der künstlerischen Bedeutung auch nicht gerade billig verkauft. Ihre eigenen großen Holzschnitte mit skizzenhaften Bettler-Händen markieren den zweiten Raum wie Heiligenbilder, während am Boden ein moosbedeckter Tuffstein auf das zu Unrecht als mickrig und niedrig betrachtete Leben hindeuten soll. Der Betrachter fragt sich eher, wann die Pflänzchen in der Museumsluft vertrocknet sein werden und wundert sich dann über die monumentale Vergrößerung des mehrseitigen Programms eines Kolloquiums zum Thema Armut in der Kunstgeschichte. Die amerikanische Wissenschaftlerin Linda Nochlin veranstaltete die Tagung 2011 in New York.
Keine Verlockung
Das interessiert wohl vor allem die Künstlerin selbst, die sich ähnlichen Forschungen wie die Kollegin Nochlin widmet und ihre Doktorarbeit über „Shame“, die Darstellung von Scham in der Kunst, schrieb. Passend dazu zitiert Andrea Büttner im letzten Raum historische Grafiken zum Thema öffentliche Bestrafung – eine „Kreuzigung“ von Schongauer zum Beispiel oder die „Justitia“ von Bruegel. Als kaum sichtbare Schattendrucke erscheinen die Bilder an der Wand, während sich eine Dia-Projektion der Geschichte des Bückens in der Malerei widmet. Natürlich sind es hauptsächlich Mägde und Arbeiter, die sich krumm machen.
Die Frage ist nur, wie weit die Beschäftigung mit Kunst schon Kunst sein kann. Die Ausstellung bietet gewiss Material für inhaltliche Diskussionen, aber wer keine Lust darauf hat, wird achtlos vorüberlaufen. Ganz anders ist das Erlebnis im Souterrain des Hauses, wo der britische Filmkünstler Isaac Julien (siehe Kritik vom 1. Oktober) mit seinen betörenden Video-Installationen die Aufmerksamkeit fesselt.
Was, wann und wo?
Die Ausstellung „Andrea Büttner: No Fear, No Shame, No Confusion“ ist bis 18. Februar 2024 im Düsseldorfer K21, Ständehaustr. 1, wird am Freitag, 27. Oktober, um 19 Uhr mit der Künstlerin eröffnet. Bis 18. Februar Di.-So. 11 bis 18 Uhr. Ein Katalogbuch über das Gesamtwerk mit 368 Seiten ist im Hatje Cantz Verlag erschienen und kostet 48 Euro. Katalog www.kunstsammlung.de