Was ist Kunst? Akademieklassen in der Sammlung Philara Düsseldorf
Fans der Sammlung Philara wissen es: In den markanten Räumen der einstigen Glasfabrik sieht jeder Kram bedeutend aus. Auch banale Dinge wirken wie Skulpturen. Und manchmal, da sind sie es tatsächlich. Wie der Wäscheständer, auf den der Bildhauer Sven Dirkmann einen alten weißen Bettbezug gehängt hat. Hübsch bestickt. Allerdings nicht mit Omas Initialen, sondern mit Zitaten aus Gruselfilmen: „I see dead people“. Geisterhafte Idee aus der Corona-Häuslichkeit. 49 Studierende und Absolventen der Klassen von Franka Hörnschemeyer und Sabrina Fritsch zeigen ihre Kreativität bei Philara. Eine weitere Aktion zum 250-jährigen Bestehen der Düsseldorfer Kunstakademie.
Eine Auswahl gab es nicht. Wer sich beteiligen wollte, durfte dabei sein, sanft gelenkt von Direktorin Julika Bosch und Gastkuratorin Nele Kaczmarek. Das hat funktioniert. Anders als beim Rundgang in der Hochschule, wenn die Fülle und der Prüfungsdruck für Stress sorgen, ist hier eine gewitzte Ausstellung für das Publikum entstanden. Zum Wundern und zum Schmunzeln. Gearbeitet und gespielt wurde dabei mit der Umgebung, wandelbar. Die Schau ist nicht in Stein gemeißelt, denn, so Nele Kaczmarek: „Die Idee des abgeschlossenen Werks verschwindet immer mehr.“
Kann wieder weg
Drum ist der Titel eine Art bange Frage: „What Is Steady Anyway?“ Ja, was bleibt überhaupt noch? Jedenfalls nicht das Werk von Anna Shpak, die einfach eine Bodenklappe geöffnet und in den Keller versenkt hat. Durch die Luke, mit einem Geländer gesichert, guckt man hinunter auf ein Arrangement von Stangen, Kisten und den alten Firmenbuchstaben der Glasfabrik. Gefundenes Zeug, das Anna Shpak neu sortiert hat. Das ist Kunst, kann aber trotzdem irgendwann wieder weg.
Andere Ideen lassen sich verlagern. Wie die zarten metallischen Ranken mit Tier- und Pflanzmotiven von Marie Schubert, die hier und da sehr zauberhaft eine Ecke markieren. Oder die drei gewaltigen, dramatisch gefalteten Stoffobjekte, die Erik Mikaia an die Decke gehängt hat. Erinnern an zusammengeklappte Sonnenschirme in einem verlassenen Gartenlokal. Nicht ohne Grund. Die Kuratorin verrät, dass der Kunststudent als Kellner gearbeitet hat und sich verschlissene Schirmstoffe als „gefundene Malerei“ besorgt hat.
Auftritt und Rückzug
Kommilitone Philipp Krabbe hat sein Werk umgekehrt ins Praktische überführt. Mit handwerklicher Akkuratesse und blau gestalteten Kissen konstruierte er ein gewaltiges gelbes Sofa. Ein Nasenring an der Vorderseite erklärt den Titel: „Stier“. Eine Skulptur, gewiss, aber man darf auch Platz nehmen. Höchstens zu zweit. Und vorsichtig, bitte! Das Leben mischt sich munter ein in die junge Kunst. Rosa Weiland, die auf einem Reiterhof arbeitet, nutzte Striegel, Bandagen, Pferdedecken für eine abstrakt wirkende Wandcollage. Linda Skellington hat ein Rednerpult in den Lagerraum gestellt. Mit Kuli, Wasserglas, Lexikon in verborgenen Fächern. Und einem Kuschelfell in der Schublade. Da geht’s um Auftritt und Rückzug.
Psychologie spielt immer eine Rolle. Fynn Bierik hat das Karussellpferd der Kindheit in einem schrägen Kabuff auf die Seite gelegt. Ist es tot mitsamt der Idylle? Man weiß es nicht. Ein Geheimnis wahrt auch Hannah Linden mit teils historischen, teils gegenwärtigen Schwarzweiß-Fotografien tänzerischer Gebärden, die sie wie Stelen in einem Raum verteilt hat – gegenüber einer gestisch bewegten Wandmalerei von Hannah Malka Papendieck.
Aufgelöste Grenzen
Vorbei an dem „Portal“ von Anna Orlinski, die transparente Flügel aus Fiberglas an die stählernen Treppenpfeiler des Hauses montiert hat, geht es hinauf zu anderen Experimenten für die Wahrnehmung. Aus einem spiegelnden Trichter von Lilli Lake hört man ein rätselhaftes Klirren. Ein Leporello mit Aquarellen von Nura Afnan-Samandari lappt wie ein Objekt über den Boden. Sophia C. Aiona Weische spannt figurative Zeichnungen auf Transparentpapier in die Fensterchen eines hölzernen Paravents.
Die Grenzen von Malerei und Skulptur wurden aufgelöst. Dem Bildnerischen ist oft nicht zu trauen. Was wie Tuschzeichnungen wirkt, sind Ausdrucke winziger Bildschirm-Kritzeleien („phone drawings“), die Christian Leicher an Bildergitter im Lagerraum gehängt hat. Aber zum Glück gibt es auch noch eindeutige Malerei. Zwischen fluiden Installationen bewähren sich Gemälde wie „Split“ von Konrad Weichs, in der er sich selber, krank und verliebt, in einer träumerischen Szene porträtiert. Und oben, an der letzten Wand, hängt eine windzerzauste Landschaft, die Hyorim Kim mit konzentrierten Pinselstrichen in ein Gefühl verwandelt hat.
Was, wann und wo?
„What Is Steady Anyway?“ Studierende der Akademieklassen Sabrina Fritsch und Franka Hörnschemeyer in der Sammlung Philara, Düsseldorf, Birkenstr. 47a. Eröffnung am Freitag, 20. Oktober, 18 bis 21 Uhr. Danach bis 25. Februar 2024 immer Fr. 16 bis 20 Uhr und Sa./So. 14 bis 18 Uhr. Parallel läuft weiter die Ausstellung „See Yourself As Lovers See You“ mit Arbeiten von William N. Copley und Dorothy Iannone (siehe Bericht vom 10. August). Eintritt frei. Spenden willkommen. www.philara.de