Wenn der Postmann nicht mehr klingelt –Brief- und Paketboten lernen den Umgang mit aggressiven Hunden
Der aus postgelben Kunststoffboxen erbaute Übungs-Gartenzaun ist für Clip überhaupt kein Hindernis. Aus dem Stand fliegt der Vierbeiner auf den Paketboten zu und verbeißt sich in das dunkelbraune Paket, das binnen Sekunden völlig zerfetzt ist. Längst hat der angegriffene Überbringer der Warensendung diese aufgegeben und den Rückzug angetreten. „Was war der Fehler?“ will der Hundesachverständige Michel Pfaff von den Umstehenden wissen? „Der Kollege war eindeutig zu nah dran am Hund. Der Gartenzaun bedeutet keinen Schutz für ihn!“
1800 Hundebisse gegen Postbotinnen und – boten pro Jahr
Gute zehn Brief- und Paketzusteller haben die Übung mit verschränkten Armen verfolgt. Kein Wunder: Als zu Beginn dieser zwei Stunden im Briefverteilzentrum Langenfeld gefragt wurde, wer von ihnen denn schon einmal von einem Hund gebissen wurde, flogen beinahe sämtliche Finger in die Höhe. Rainer Ernzer, Sprecher der Deutsche Post DHL Group in Düsseldorf hat die Zahlen dazu: „Im vergangenen Jahr wurden unsere Zustellerinnen und Zusteller deutschlandweit rund 1800 Mal gebissen.“ Das macht pro Werktag im Durchschnitt sechs Übergriffe von Hunden auf die Postboten. „In rund 1000 Vorfällen davon folgte auf den Biss eine mehrtätige Krankmeldung“, listet Ernzer auf.
Training zum gegenseitigen Verständnis
Deshalb sollen sich Postzusteller und Hunde bei diesem Training besser kennenlernen. Gleich zu Beginn gibt Michel Pfaff die wichtigste Losung des Tages aus: „Bringt Euch nicht selbst in Gefahr. Wenn ein Hund bellt und aggressiv wird, nehmt ihr die Sendung wieder mit und stellt sie einfach nicht zu.“
Kläffer am besten ignorieren
Langsam tauen die auf, die es tagtäglich mit kläffenden, die Zähne fletschenden, knurrenden Hunden zu tun haben, die ihr Territorium gegen vermeintliche Eindringlinge verteidigen wollen. Gemeinsam mit seinem Hundesachverständigen-Kollegen Uwe Graute will Michel Pfaff vermitteln: „Der überwiegende Teil der Hunde sind Blender. Mit der richtigen Körpersprache bekommt man sie in den Griff.“ Und mi dem Grundsatz, die tobenden Vierbeiner am besten zu ignorieren: „Oftmals werden zwei Gruppen von Euch gebissen: die vermeintlichen Hundeflüsterer und jene, die große Angst vor Hunden haben.“
Uneinsichtige Hundebesitzer
Doch wie kriegt man diese Angst in den Griff, will eine Zustellerin wissen, die seit neustem immer ein Pfefferspray gegen übergriffige Fiffis in der Tasche hast. Auf ihrem täglichen Botenweg gebe eine Adresse, vor sie regelrecht Angst hat – und von den Hundebesitzern keinerlei Unterstützung bekomme.
Pfefferspray ist keine gute Idee
Vom Pfefferspray rät Seminarleiter Michel Pfaff ab: Ersten würde das Reizgas in der Panik oftmals gegen den Wind abgefeuert und treffe einen selber, anstatt den angreifenden Hund. Zudem müsse das Tier schon sehr nah sein, damit eine Pfefferspray-Ladung wirke: Da die Wirkung aber nicht sofort einsetzt, verpufft ein solcher Stoß oftmals.“ Pfaff rät stattdessen zur Verteidigung per Wasserpistole: „Das erschreckt die Hunde meist, sodass sie sich zurückziehen.“ Eine selbstgebaute Rassel aus einer Plastikflasche mit einigen Kronkorken– helfe auch sehr zuverlässig: „Der Hund weiß nicht, was jetzt kommt, ist dadurch verunsichert und lässt von seinem Tun ab.“ Wichtig dabei sei begleitende eine dominante Körpersprache.
Abstand halten!
Nach einige Lehrvideos und Erklärungen geht es auf ein für das Training abgesperrtes Gelände. Und hier zeigt sich, dass einige Boten nicht sofort umsetzen, was sie vor wenigen Minuten erfahren haben. Wieder gehen sie zu nah ran an einen kläffenden Hund, anstatt in einige Entfernung stehen zu bleiben und den Besitzer aufzufordern, das Tier wegzusperren. Und wenn Besitzer dem nicht nachkommen? „Dann schalten Sie ihre Vorgesetzten ein, die sich dann um solche Hundebesitzer kümmern müssten.“ Notfalls unter Hinzuziehen des Ordnungsamtes, das völlig uneinsichtigen Besitzern mit eine Gefährderansprache. Letztes Mittel der Deutschen Post: Wenn sich die Situation zwischen Hund und Postbote nicht bessere, würde die betreffende Adresse eben aus der Tour gestrichen. „Dann muss sich der Hundebesitzer seine Post selbst abholen.“