Teufelsgeld: „Der Besuch der alten Dame“ im Schauspiel Düsseldorf
Vergessen wir mal Elisabeth Flickenschildt. Wie sie in der Dürrenmatt-Verfilmung von 1959 mit Stock und Haltung den teuflischen „Besuch der alten Dame“ zelebrierte. Vergessen wir die anderen Stars in der Rolle, von Ingrid Bergman bis Christiane Hörbiger. Natürlich muss man heute einen neuen, frischen Zugang zu dem Lehrstück aus der Nachkriegszeit finden. Laura Linnenbaum, der freien Regisseurin, die in Düsseldorf bereits „Maria Stuart“ liftete, ist das gelungen. Stehende Ovationen bei der Premiere im Großen Haus.
Nichts ist mehr so wie es war in der bürgerlichen Gesellschaft. Das sieht man schon daran, dass eine junge schwarze Frau, Fnot Taddese, hier den Schweizer Dramatiker Friedrich Dürrenmatt (1921-1990) mimt. Mit dicker Brille und Bauchkissen unter der Weste eines tadellosen Herrenanzugs zitiert sie ihn am Bühnenrand: „Jedes Kunstwerk braucht zu seinem Inhalt Distanz.“ Okay, hier geht es nicht um das täuschende Abbild der Wirklichkeit, sondern um Erkenntnis. Und das Thema der „tragischen Komödie“ ist leider zeitlos: die Macht des Geldes über die Moral. Aus Gier und Schwäche wächst die Bosheit. Unter Heuchelei versteckt sich die Schuld. Wie immer.
Bitteres Unrecht
Wir befinden uns am Bahnhof des verkommenen Ortes Güllen. Man sieht eine Wellblechbaracke mit Klotüren unter einer schadhaften Leuchtreklame, die einmal „Paradies“ hieß. Die Bäume des viel gerühmten Waldes sind nur noch kahle Gerippe. Irgendwo liegt eine abgestürzte Gondel (Bühne: Daniel Roskamp). Die Leute, die da warten, tragen schmuddelige Kleidung. Sie sind ruiniert, seit die örtlichen Werke geschlossen wurden. Aber jetzt naht Hoffnung. Claire Zachanassian wird kommen, eigentlich Klara Wäscher, eine Tochter der Gemeinde, die draußen in der Welt durch die Ehe mit einem verstorbenen Milliardär schwerreich wurde. Und der alten Heimat gewiss Gutes tun will.
In der Tat verspricht die Besucherin den Bürgern viel Geld. Eine Milliarde soll es geben, verteilt auf die Gemeinde und jeden Einzelnen. Eiskalt verlangt sie dafür eine Gemeinschaftsleistung: die Ermordung ihres Jugendfreundes Alfred, der ihr 35 Jahre zuvor bitteres Unrecht tat. Als sie damals schwanger wurde, verleugnete er die Beziehung und fand falsche Zeugen für Klaras Zügellosigkeit, um frei für eine Heirat mit Mathilde vom Krämerladen zu sein. Die verstoßene Klara verlor ihr Kind und landete im Bordell, wo sie den Mann fand, dessen Vermögen ihr nun Vergeltung ermöglicht.
Diva der Rache
Rosa Enskat gibt die gar nicht so alte Dame als exaltierte Diva. Ihr Auftritt ist eine Show – mit ausladenden Gesten und Gesang. Blutrot wie ihre Perücke und ihr Abendkleid sind die Schuhe und die Accessoires, die sich die braven Bürger von Güllen alsbald leisten. Denn obwohl sie das tödliche Geschäft zunächst empört von sich weisen, hat die pure Vorstellung des großen Geldes die vom Lehrer beschworene „humanistische Tradition“ schon vergiftet. Claire Zachanassian muss nur warten. Sie hockt als Racheengel in ihrem roten Kleid hinter der Leuchtreklame. Unten bewaffnet man sich, um Jagd auf ihren entlaufenen schwarzen Panther zu machen. Oder auf Alfred. Der will fliehen, doch fügt sich am Ende in sein Schicksal. Er muss sterben. Das Verbrechen wird von der verlogenen öffentlichen Meinung in einen Akt der Gerechtigkeit verwandelt.
Auf dem Sarg, den die Besucherin gleich mitbrachte, hockt der Pfarrer (Thomas Wittmann) in einer neuen rot leuchtenden Soutane und spielt Klavier. Korrumpiert ist auch Alfreds scheinheilige Gattin (Cathleen Baumann), die ihr schäbiges Dirndl gegen ein rotes Cocktailkleid tauscht. Alfred, der Sündenbock, kann einem nur leid tun. Heiko Raulin spielt ihn treuherzig, dann mit wachsendem Entsetzen. Flucht ist dem Mann unmöglich, er rennt im Kreis, der Schweiß bricht ihm aus. Ausgerechnet bei der gnadenlosen Claire sucht er Trost, lehnt den Kopf an ihren Busen. Dann resigniert er, und die Welt geht unter in einem goldenen Konfetti-Regen.
Die nächste Vorstellung von Dürrenmatts tragischer Komödie „Der Besuch der alten Dame“ am 8.Oktober im Großen Haus ist schon ausverkauft. Eine zusätzliche Aufführung gibt es am 21. Oktober (statt „Dorian“). Weitere Termine sind am 27. Oktober sowie am 3., 10. und 14. November, jeweils 19.30 Uhr. Zwei Stunden ohne Pause. www.dhaus.de