Fest der Malerei: Chaim Soutine und Cornelius Völker in Düsseldorf
Der Sommer war sehr groß. Und ziemlich verregnet. Nach den Herausforderungen des kulturellen Outdoor-Programms freut sich der Mensch auf die Ausstellungen des Düsseldorfer Herbstes. „Ein Fest der Malerei“ verspricht Felix Krämer, der Direktor des städtischen Kunstpalastes. Er zeigt das expressiv-realistische, auf Anhieb betörende Werk von Cornelius Völker, einem Düsseldorfer mit Lehrauftrag an der Akademie Münster. Durchaus passend dazu huldigt die Landesgalerie K20 einem modernen Klassiker: Chaim Soutine (1893-1943), dem leidenschaftlichen Realisten und Außenseiter in der alten Pariser Avantgarde.
Soutine war das zehnte Kind eines Flickschusters aus Smilovitschi, einem Schtetl im heutigen Belarus. In frommer Armseligkeit wuchs er auf. So wenig Beachtung wurde dem Jungen Chaim geschenkt, dass er später bei seiner Einreise nach Frankreich das eigene Geburtsdatum nicht genau nennen konnte. Immerhin hatte man ihn zum Zeichenunterricht nach Minsk und Vilnius gehen lassen, und seine Sehnsucht nach der damaligen Kunsthauptstadt Paris war so zwingend, dass er 1913 die Reise wagte. Obwohl er vollkommen mittellos war und nur Jiddisch sprach, schrieb sich Chaim Soutine bei der École des Beaux-Arts ein und suchte Anschluss bei den Kollegen vom Montparnasse.
Kippende Landschaften
Es müssen elende Jahre gewesen sein. Soutine musste so oft hungern, dass er ganz besessen war vom Thema Essen, weiß Kuratorin Susanne Meyer-Büser. Die drei mageren Heringe auf einem Bildchen von 1915 waren vermutlich schon ein Festmahl für den ewig magenkranken Soutine. Um die gleiche Zeit ging es ihm finanziell schon etwas besser, weil sein neuer Freund Amedeo Modigliani, Italiener in Paris, den Kunsthändler Zborowski überredet hatte, den armen Schlucker aus dem Osten zu unterstützen. Zur Erstellung von Landschaften wurde Soutine in die Pyrenäen geschickt, nach Céret. Doch in seinen Augen schwankte die Idylle. Er malte schwankende, kippende Wälder und Dörfer. Die Häuser auf dem Hügel verrenken sich wie in einem grotesken Tanz.
So sah Soutine auch die Menschen, ohne festen Halt, „verformt, verbeult, fließend“, wie die Kuratorin sagt. Und doch von wilder Schönheit. In den 1920er-Jahren entstanden Porträts von den Unbeachteten, den Arbeitenden – Pagen, Köche, Zimmermädchen, mit ernsten, asymmetrischen Gesichtern. Er feierte sie, am liebsten in Rot. Und er würdigte sie, auch als er selbst durch die Anerkennung und die Dollars des schwerreichen amerikanischen Kunstsammlers Albert C. Barnes in die Kaste der Erfolgreichen aufstieg. Wie quälende Visionen malte er außerdem gar nicht stille Stillleben mit geschlachteten Tieren. Aufgebahrte Fasane, ein Poulet wie einen Erhängten, gekreuzigte Rinderleiber. Soutines Pinselstriche gleichen Hieben.
Schwindende Zeit
20 Jahre waren Soutine noch vergönnt, er machte Kuren und hatte Amouren. Doch zuletzt musste er als Jude noch die Nazis und ihre Kollaborateure fürchten. 1943 starb er nach einem dramatischen Krankentransport und einer Notoperation. Sein Werk spricht von Leben, Schmerz und der davon eilenden Zeit. Das gilt auch für die Bilder von Cornelius Völker, dem es allerdings als anerkanntem Maler der wohlgenährten Gegenwart grundsätzlich besser geht. 1965 im fränkischen Kronach geboren, studierte er von 1989 bis 1995 an der Düsseldorfer Akademie – als Schüler von A. R. Penck und Dieter Krieg. Und blieb, weil er die „Weltoffenheit“ und „heitere Gelassenheit“ der Rheinländer zu schätzen weiß.
Das hört man gern. Und gern sieht man die zum Teil monumental großen Gemälde Völkers, die, wie Kurator Kay Heymer über seine letzte Düsseldorfer Ausstellung sagt, mit ihrem „leidenschaftlichen Ausdruck“ ein breites Publikum erreichen: „Sie brauchen nichts zu wissen.“ Der Künstler weiß umso mehr – über barocke Stillleben zum Beispiel oder die Himmelsdarstellungen der Romantik. Wie bei den alten Meistern handelt seine Malerei, so der überaus poetische Titel des Katalogs, „Vom Erscheinen und Verschwinden der Dinge“.
Das Schöne und das Fiese
Ja, es geht um Vergänglichkeit. Aber auch um Schönheit, Lust und Farbe und Humor. Im ersten Raum der Ausstellung sieht man ein „Verdächtiges Paket“ im Großformat sowie eine ausgequetschte Salbentube neben einer leicht unheimlichen Wolke, weiß auf Rot. Völker malt, was immer ihn fasziniert: Menschen im Business-Anzug oder im Unterhemd und „Meerschweinchen“, denen er eine ganze Serie kleiner Bilder gewidmet hat. Die Fellstrukturen könnten auch Teil einer abstrakten Komposition sein, genau wie, weiter hinten, die aufgesteckten Haare von Frauen. Gar nicht abstrakt sind die „Versuchungen“ vor spiegelndem Dunkel: Likörflaschen, Amphetamin-Pillen wie bunte Bonbons, ein Häufchen Koks, eine Tafel Schokolade, schimmernde Revolver.
Immer nur das Hübsche oder Lustige ist von Völker nicht zu erwarten. Seine Motive wechseln jederzeit vom Hinreißenden zum Fiesen, langweilig wird’s nie. Da gibt es genau betrachtete Kratzer, suspekte Flecken, sogar blutige Tampons (die allerdings Ähnlichkeit mit einer saftigen Himbeere haben). Neben unscharfen „Porno“-Heften auf pinkfarbenem Glanzlaken malt Völker auch Stapel von Kunstbüchern, ganz Bildungsbürger. Vor schimmernden Gurkengläsern und anderem „Eingelegtem“ lässt er Kerzen niederbrennen – eine neue Interpretation des alten Memento Mori. In monumentalem Format erscheint ein Zweig in glühenden Herbstfarben. Gefallene Blütenblätter spiegeln sich auf undeutlichem Wasser. Das Vergehende kann ja so reizvoll sein.
Was, wann und wo?
Trotz der laufenden Umbauarbeiten ist der Kunstpalast Düsseldorf, Ehrenhof 4-5, offen für das Publikum und zeigt in Kooperation mit dem niederländischen Museum MORE (Modern Realism) bis zum 7. Januar nächsten Jahres 88 Ölgemälde sowie Arbeiten auf Papier von Cornelius Völker. Geöffnet Di.-So. 11 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Der prächtig gestaltete Katalog aus dem Verlag Schirmer/Mosel kostet 29,80 Uhr. www.kunstpalast.de
Im K20 am Grabbeplatz wird am Freitagabend, 1. September, 19 Uhr, die Ausstellung „Chaim Soutine: Gegen den Strom“ eröffnet. Bis 14. Januar 2024. Di.-So. 11 bis 18 Uhr. Der Audio-Guide, besprochen von Schaupieler André Kaczmarczyk, ist im Eintrittspreis enthalten. Katalog im Hatje-Cantz-Verlag: 32 Euro. Kinder- und Beiprogramm unter www.kunstsammlung.de