Schwerelos: Virtuelle AR-Biennale vor dem NRW-Forum Düsseldorf
Wie Sie sehen, sehen Sie nichts. In der schnöden Wirklichkeit. Aber wer sich ein bisschen Mühe gibt und für 7,99 Euro auf dem Smartphone die richtige App herunterlädt, kann im Hofgarten und am Rhein virtuelle Pflanzen, Figuren und Erscheinungen scannen und erkennen. Und sogar dazwischen umherwandeln, als sei’s ein Parallel-Universum. Das Düsseldorfer NRW-Forum lädt zum zweiten Mal zur Biennale der „Augmented Reality“ (AR), der erweiterten Realität aus dem Geist der neuen Technik, die uns, so der Titel, eine „Hybrid Nature“ präsentiert. Denn, so der künstlerische Leiter Alain Bieber: „Wir werden immer mehr zu hybriden Wesen.“
Auf jeden Fall gucken wir sowieso ständig aufs Handy. Und können dabei bis zum Herbst zehn immaterielle Werke aufspüren. Das ist nicht gerade viel für eine „AR-Biennale“. Der erste Versuch vor zwei Jahren war, ehrlich gesagt, spektakulärer. Es gab 35 Stationen. Da schwebte ein außerirdischer Riesenwurm über dem Dach des NRW-Forums, man konnte mit witzigen Luftsprüchen spielen, und Ballerinen der Rheinoper tanzten als virtuelle Feen durch den Park. Ein keimfreier Spaß in der Pandemie. Jetzt gibt es also eine bescheidenere Auswahl. „Konzentriert“ nennt es Kuratorin Sonja Wunderlich. Das schafft man leicht bei einem kleinen Spaziergang.
Modulare Gewächse
Gleich vor dem Eingang des NRW-Forums hat der junge Düsseldorfer Felix Giesen (geboren 1999), eigentlich Maler expressiver Bilder, auf dem Rasen einen digitalen Kleingarten installiert: „Parzelle 4“. Da hockt eine schwarze Gestalt in einen dieser Standard-Plastikstühle, irgendwo wächst eine Grünlilie, und es schweben dunkle Flattergeister umher – wie lebendige Pinselstriche von Giesens Bildern. An der Hofgartenmauer hinten rechts wächst und verändert sich, ebenfalls sehr malerisch, ein „Unendlich Modularer Baum“ zum Synthesizer-Sound des Luxemburger Künstlers Filip Markiewicz. Links über der Wiese lässt die Australierin Lauren Moffatt (40) ein blumiges Wesen den „Rückwärts-Sprung“ üben.
Auch Nadine Kolodziey (35), „Visual Artist“ mit Domizilen in Frankfurt und Berlin, schafft virtuelle Gärten. „Verpflanzt“ sind die ballonartigen Gewächse, die über den wahren Gänseblümchen im Hofgarten erscheinen. Auf dem Bildschirm öffnen sie sich dem Flaneur mit dem Handy und formieren sich neu zu leichter Musik. Das Werk ist das erste in einer ganzen Serie, in der Nadine, wie sie sagt, „die landschaftliche Erweiterung des Hier und Jetzt“ erprobt.
Würfel und Wanzen
Manche mögen es lieber abstrakt. Eine „Generative Komposition“ aus Kreisen, Zylindern, Würfeln und Dreiecken treibt wie Staubkörner durch die Luft, dorthin gezaubert von den Düsseldorfer Akademie-Absolventen Giulia Bowinkel und Friedemann Banz, kurz Banz & Bowinkel. Was der Grieche Theo Triantafyllidis mit dem Düsseldorfer MIREVI Lab entwickelt hat, ist irgendwie gemeiner: eine „Wanzen-Simulation“, bei der sich ein pinkfarbener Insektenbau mit knisternd-pfeifenden Geräuschen von der Wiese auf den Gehweg bewegt. Die Hochzeitsgesellschaften, die wegen der Nähe zum Standesamt dort posieren, merken davon nichts. Man kann die virtuelle Realität auch komplett ignorieren. Das tun wir aber nicht und suchen noch den schwarzen „Obi“, eine vieläugige Figur, die, programmiert von dem afrikanischen Designer Nana Opoku alias Afroscope, in einer Art Becken sitzt und meditiert.
„Das Echo der Quallen“ von Mélodie Mousset & Eduardo Fouilloux muss auch noch irgendwo versteckt sein, finden wir beim nächsten Mal. Jetzt geht es erst einmal in einem Bogen zurück Richtung Rhein. Denn dort, über dem Wasser, nahe dem Fortuna-Büdchen, steigt schrecklich-schön ein Atompilz empor, mit dem die Amerikanerin Nancy Baker Cahill für bedrohliche Visionen sorgt. „Was man sät“ ist Plastikmüll, den die in München lebende Amerikanerin Tamiko Thiel und ihr deutscher Software-Entwickler namens „/ p“ vom Himmel über den Rheinpark regnen lassen. Blaue Flip-Flops, rotes und gelbes Einwegbesteck, Zeug, das sich vermehrt und zu farbenfrohen Korallen wird. Zu dekorativ, um kritisch zu wirken.
Kunstpalast wie neu
Wer mal wieder die Fülle der fassbaren Kunst genießen will, darf sich freuen: Am 21. November wird nach jahrelanger Schließung endlich der umgebaute Sammlungsflügel des Museums Kunstpalast mit einem großen Bürgerfest neu eröffnet. Von den rund 130 000 Objekten aus allen Epochen und Gattungen ist eine Auswahl von 800 zu sehen. Versteckte „Kunstkammern“ sollen auch Kinder zum Besuch verlocken. Generaldirektor Felix Krämer möchte „Niederschwelligkeit“ im Haus: „Mehr denn je soll der neue Kunstpalast ein Ort sein, an dem alle Menschen – unabhängig von Alter und Vorbildung – wohlfühlen und Neues entdecken können.“
Bis dahin bleibt der Ausstellungsflügel mitten in der Baustelle weiter geöffnet. Man kann es kaum glauben, wenn man die Container, Zäune und Verhüllungen sieht. Aber: Da ist ein Eingang. In diesem Jahr kamen bereits 200 000 Besucher in den halben Kunstpalast. Und nach Abschluss der zauberhaften Präsentation von Ölstudien („Mehr Licht“) und der virtuellen Installationen von Refik Anadol wird derzeit die „Große Kunstausstellung NRW“ aufgebaut (3. Juni bis 9. Juli).
Was, wann und wo?
Die AR-Biennale 2023 mit dem Titel „Hybrid Nature“ kann im Hofgarten, im Rheinpark und im Park vor dem NRW-Forum, Ehrenhof 2, erlebt werden. Jeden Tag bis zum 29. Oktober von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Die dafür nötige App „AR-Biennale 2023“ (mit Lageplan und Werkliste) ist für 7,99 Euro im App-Store des Smartphones erhältlich und darf beliebig oft benutzt werden. Offizielle Eröffnung am Japantag, 13. Mai, ab 14 Uhr: www.nrw-forum.de. Informationen über den Umbau die Wiedereröffnung des Sammlungsflügels und kommende Aktivitäten im Kunstpalast: www.kunstpalast.de