Cooler „Reigen“ im Untergrund des Schauspielhauses Düsseldorf
Es war ein Skandal, ganz herrlich. Als „Schmutz und Schund“ wurde der „Reigen“ des sonst so hochverehrten österreichischen Schriftstellers Arthur Schnitzler nach der Uraufführung 1920 in Berlin bezeichnet. Denn es geht nur um Sex in zehn Szenen mit insgesamt zehn Personen, die jeweils einmal den Partner ihrer amourösen Begegnungen wechseln. Ein pikanter Spaß mit subtiler Gesellschaftskritik für spätere Theater-Generationen. Im Untergeschoss des Düsseldorfer Schauspielhauses hat der junge Regisseur Anton Schreiber nun eine ganz neue, coole Version auf die Bühne gebracht.
„Bitt’ schön, junger Herr?“ So redet heute halt kein Mensch mehr, oder wenn, dann nur im Wiener Kaffeehaus. Und die Standesunterschiede sind nicht an die Geburt, sondern an den Erfolg gekoppelt. Schreiber hat – „Hey, du!“ und „Krass!“ – die Sprache angepasst, ohne sie gänzlich zu vulgarisieren. Er verschiebt die Geschlechterrollen geschickt, mischt die Verhältnisse, macht aus dem Soldaten eine Soldatin beim Online-Dating, tauscht Stubenmädchen, Graf, Dirne und das süße Mädel gegen heutige Typen wie die Influencerin, den Top-Manager, den Coach in Sachen Verführung (das nennt man Pickup-Artist) sowie ein Callgirl, das eigentlich Klimaaktivistin ist.
Ein bisschen Bauhaus
Das klingt ein bisschen albern, und das darf’s auch sein. Das Publikum amüsiert sich sehr. Alexandra Lukas und Thomas Kitsche bewältigen alle Rollen in skulptural-clownesken Kostümen (Juliane Molitor) und mit großem Vergnügen. Ihre Performance auf der von Susanne Hoffmann mit phallischen Säulen und Kugeln eingerichteten Bühne erinnert an die theatralischen Experimente im guten alten Bauhaus. Verspielt, aber mit strengen formalen Regeln. Der Geschlechtsakt, bei Schnitzler kunstvoll angedeutet, bleibt auch hier im Abstrakten und gleicht einem mechanischen Ballett.
Bei allem Spaß lässt die Produktion keinen Zweifel daran, dass die Mechanismen von Anziehung und Abstoßung, Begierde und Enttäuschung zwischen Mann und Frau gleich geblieben sind. Auch versuchen die balzenden Herren immer noch, eine überlegene Position einzunehmen. Doch die Frauen wehren sich. Das wird besonders deutlich, als der verheiratete Chefredakteur die süße Influencerin verführen will, sie aber unbeirrt mit ihren Online-Selfies in der Selbstliebe verharrt.
Mal die Rollen tauschen
Dabei ist die Influencerin gar nicht so doof, muss in der nächsten Szene der arrogante Dichter mit dem pinkfarbenen Plastik-Hipster-Bart erfahren. Und dann kommt auch noch die Schauspielerin, die ihn zwingt, bei der Probe nur mal so den grünen Rock anzuziehen und den von ihm (und Schnitzler) verfassten Text der Frau zu sprechen. Was dem Intellektuellen überaus peinlich ist. Das Bewusstsein hat sich verändert, aber es gibt sie immer noch, die Machtinstinkte des männlichen Geschlechts.
Das Schauspielerduo wechselt mühelos die ulkigen Verkleidungen und die Charaktere. Naiv oder herrisch, sanft oder zickig, grob oder kleinlaut. Einen raffinierten Reigen hat das junge Team in der intimen Atmosphäre des kleinen Werkstatt-Theaters im Kellergeschoss des eleganten Schauspielhauses inszeniert. Es gibt herzlichen, von Freunden geradezu frenetischen Applaus.
Weitere Vorstellungen
Der „Reigen“ nach Arthur Schnitzler in einer Version und unter der Regie von Anton Schreiber wird noch zwei Mal im Unterhaus des Schauspielhauses am Gründgens-Platz gespielt: 28. April und 16. Mai, jeweils 20 Uhr. Alexandra Lukas und Thomas Kitsche spielen jeweils fünf Rollen. Die Vorstellung in zehn kurzen Szenen dauert anderthalb Stunden ohne Pause. www.dhaus.de