Düsseldorf Oberbilk: Ein Rundgang gegen das Vergessen
Bis zum 17. April 1945 war Düsseldorf Frontstadt. Dann rückten die Amerikaner nach sieben Wochen Belagerung und Beschuss bis in die Innenstadt vor: Die Nazis waren besiegt. Doch ihr Schreckensregime hatten die Nazis bis hin zu Mord und Totschlag bis wenige Stunden vor ihrer Niederlage aufrechterhalten. So wurde der 72-Jährige Klempner Moritz Sommer noch am 15. April am Lüftungsschacht des Bunkers am Oberbilker Markt von Nazi-Schergen aufgehängt. Sommer stand bei der „Heeresstreife Kaiser“ im Verdacht, Deserteuren geholfen zu haben. Die pure Vermutung reichte, um in der Nazi-Ordnung sofort ermordet zu werden.
Moritz Sommer war die Hauptperson des geführten Rundgangs durch Oberbilk am Samstag (15.4.), der an einige der Nazi-Opfer erinnerte. „Oberbilk – Ein Stadtteil voller Geschichte! Voller Identität!“ lautete das Thema des von Timon Mario Ayden Turban geleiteten Rundgangs. „Wir wollen in die Geschichte des Stadtteils eintauchen und darüber informieren. Genauer gesagt, in der Zeit des Nationalsozialismus“, erläuterte Ayden Turban. „Gerade im industriell geprägten Arbeiterviertel Oberbilk war der Widerstand stark. Es gab mutige Menschen, vom Ringer bis zur Arbeiterin. Viele stellten sich den Verhaftungen und dem Morden entgegen.“
Wer waren Else Gores, Moritz Sommer, Heinrich Rondi, Familie Brodt oder Waldemar Spier? Heute erinnern noch Stolpersteine und einzelne Plaketten an ihre Geschichten. Für viele Menschen sind ihre Namen in Vergessenheit geraten und ihre Taten nicht mehr bekannt. Damit ihre Stolpersteine und Erinnerungstafeln keine nichtssagenden urbanen Elemente werden, führt die Gruppe „Rise Up for Justice“, zu der Ayden Turban gehört, die Führung durch.
Er hat sich bei der Mahn- und Gedenkstätte, bei der Aktion Oberbilker Geschichten und in den Büchern „Die Nicht erschossene Frau“ von Doris Bender-Diebels und „Der Junge mit den blutigen Schuhen“ von Dieter Forte über die Gräueltaten der Nazis kundig gemacht. Beim Rundgang berichtete er, dass der Halbjude Moritz Sommer im ehemaligen Gewichtheber, Ringer und Tauzieher Heinrich Rondi einen verlässlichen Freund hatte. Rondi galt einst als stärkster Mann der Welt. Er betrieb eine Kneipe an der Linienstraße, über der Sommer wohnte. Fragte jemand in der Kneipe nach Sommer, gab es als Antwort den Rausschmiss. Wenn die Übermacht der Streifen zu groß war, gab es ein Klingel und der vorgewarnte Sommer konnte über die Oberbilker Dächer verschwinden.
Ayden Turban erzählte auch von Else Gores, die zwei Fahnenflüchtige aufgenommen hatte. An die „Heeresstreife Kaiser“ verraten, wurde sie „für ein halbes Stündchen“ mitgenommen. Einen Tag später wurde sie schwer verletzt mit durchschossenem Hals im Eller Forst gefunden. Anwohner fanden sie und brachten die verletzte 30-Jährige Frau in ein Haus. Doch sie alarmierten die Polizei und so wurde Gores wahrscheinlich von denselben Männern abgeholt, die sie zuvor angeschossen hatten. Sie verschwand für immer.
Die Teilnehmenden des Rundgangs erfuhren außerdem, dass August Kaiser – der Namensgeber der Heerestreifen – und sein „Feldwebel“ Adolf Stender nach dem zweiten Weltkrieg wegen ihrer Taten verhaftet und verurteilt wurden. Allerdings kamen sie nach wenigen Jahren wieder frei und lebten noch lange in Freiheit in Düsseldorf.