Zurück zur Figur: Neue Kunst in der Düsseldorfer Sammlung Philara
Wenn die Blogger und Journalist*innen mit ihren Smartphones anrücken, lässt sich der Chef nicht blicken. Gil Bronner (61), Immobilienentwickler und Gründer der privaten Sammlung Philara in einer umgebauten Glasfabrik, hält sich zurück und vertraut ganz seiner jungen Direktorin Julika Bosch. Nach der Neuordnung der Auswahl zeitgenössischer Werke gibt es in der spannendsten Düsseldorfer Kunsthalle jetzt noch eine Sonderausstellung mit Neuerwerbungen: „I’ve Only Got Eyes for You“, ich habe nur Augen für dich.
Der Titel ist geklaut von einem kleinen frechen Objekt der Schweizer Video-Starkünstlerin Pipilotti Rist. 1996 montierte sie ein Nacktfoto von sich in kauernder Stellung („Pin Down Jump Up Girl“) vor einen knallblauen Klein-Fernseher. Verschwunden wie die damals übliche Klotzform der Geräte ist auch die Unbefangenheit, mit der Pipilotti posierte. Es geht jetzt um schmerzhafte Themen wie „Dekolonialität und Posthumanität“. Die Arbeiten „verhandeln“, so Julika Bosch, politische Probleme wie „stereotype Genderdarstellungen“ oder „Macht und Gewalterfahrungen“. Zum Glück haben sie auch Power und einen ästhetischen Reiz.
Bloß nichts Abstraktes
Wie die amerikanische Malerin Amy Sillman mit ihrer Maskenzeichnung haben sich auch die 20 beteiligten Kolleg*innen von der Abstraktion verabschiedet. Die Gegenwart fordert offenbar figurative Darstellungen, die eine Aussage machen. Gleich am Eingang hängt eine rote geduckte Gestalt, an deren Kopf eine schussbereite Hand den Revolver hält. Die Schweizer Malerin und Rubenspreisträgerin Miriam Cahn (73) beschäftigt sich von jeher mit Themen wie Krieg, Flucht, Schmerz. Dabei leuchten ihre Farben wie das Leben selbst.
Auch der in Berlin und Algier lebende Franzose Kader Attia, 1970 als Kind algerischer Eltern bei Paris geboren, will Verletzungen zeigen. Seine Vorlage waren Fotografien von extrem vernarbten Veteranengesichtern des Ersten Weltkriegs, die er von afrikanischen Kunsthandwerkern in Holz hat schnitzen lassen. Vor goldbrauner Wand, auf einem Eisengerüst, steht jetzt eine Büste mit zerlöchertem Gesicht – Denkmal des Mitgefühls für die Opfer auf den Schlachtfeldern der Welt.
Der Sinn des Malens
Bunt und expressiv ist die Tuchmalerei von Kresiah Mukwazhi aus Simbabwe. Ihre Figuren stehen für die Resilienz und den Zauber der Frauen, die sie als Heldinnen ihres Schicksals sieht. Theresa Weber, die bis 2021 bei Ellen Gallagher an der Akademie Düsseldorf studierte, hat ihren eigenen Kopf – und besonderes Material. Sie benutzt für ein Wandobjekt unter anderem künstliche Fingernägel, die sie selbst auch an den Fingern trägt und die, wie sie bereits in der Schau „Attempts to be Many“ erklärte, in anderen Kulturen ein Zeichen von Würde und Emanzipation seien.
Jede*r hat einen eigenen Blick. Der 1993 in Istanbul geborene Murat Önen, der 2012 als Erasmus-Student nach Deutschland kam, einen Abschluss an der Dresdner Hochschule für Bildende Künste machte und sich jetzt noch an der Düsseldorfer Akademie weiterentwickelt, sucht seine Inspirationen zwischen klassischer Aktmalerei und schlüpfrigen Magazinen. Sein Bild zeigt eine Gruppe nackter Männer, durcheinander purzelnd, aus der Fasson gebracht. Ganz spontan zog er einem von ihnen einen weißen Sneaker an. „Malerische Gründe“, sagt er. Warum nicht?
Körper und Natur
Dem queeren schwarzen Körper huldigt der Amerikaner Jonathan Lyndon Chase mit einem schönen bärtigen Akt. Der leicht verdrehte Körper ist geschmückt mit Glitzerrosen. Auch die 1965 geborene Düsseldorferin Anys Reimann, „deutsche Tochter eines westafrikanischen Mannes und einer ostpreußischen Frau“, Diplom-Ingenieurin, die erst spät ein Kunststudium absolvierte und jetzt ungeheuren Erfolg hat mit ihren einzigartigen Malcollagen, präsentiert eine Mischfigur. Eine Frau, halb hell, halb dunkel, mit geheimnisvollen Foto-Augen, hockt da rücklings mit emporgestreckten Beinen auf einem Stuhl. Die Lehne könnte ihr Schutz sein oder ihr erotisches Spielzeug. „Picaboo“ heißt das Bild, was so viel heißt wie „Kuckuck“ – ein provozierendes, unwiderstehliches Werk.
In den Sälen gegenüber sind die Figuren aus der Natur verschwunden. Zum Neu-Arrangement der Sammlung unter dem Titel „Breathing Water, Drinking Air“ (Wasser atmen, Luft trinken) gehört eine Videoarbeit des 40-jährigen Berliners Julius von Bismarck, auf der sich schwarze Wogen ganz langsam verändern: „Den Himmel muss man sich wegdenken“. Aus dem Nebenraum klingt es von sieben Plattenspielern wie Walgesänge. Die schottische Künstlerin Susan Philipsz (58) hat Töne aus der alten Komposition „Seven Tears“ von John Dowland (1563-1626) auf wassergefüllten Gläsern spielen und aufnehmen lassen. Keine Melodie ist das, sondern ein schwebendes Klagen. Sieben Tränen der Zeit.
Was, wann und wo?
Die Ausstellung „I’ve Only Got Eyes for You“ im Erdgeschoss der Sammlung Philara, Birkenstr. 47a wird am Freitagabend, 24. März, eröffnet (18 bis 21 Uhr) und ist dann bis zum 1. Oktober zu sehen. Bis zum 25. Juni wird in den übrigen Räumen des Hauses eine aktuelle Auswahl der über 1800 Stücke umfassenden Sammlung von Gil Bronner gezeigt: „Breathing Water, Drinking Air“. Geöffnet am Wochenende: Freitag 16 bis 20 Uhr, Samstag/Sonntag 14 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei, Spenden werden gern gesehen („Pay what you wish“). www.philara.de