Narren der Macht: „Johann Holtrop“ im Düsseldorfer Schauspielhaus
Im „Reich des Todes“ war’s kaum auszuhalten. Von Krieg, Foltermethoden und der Zerstörung des Humanismus nach dem Attentat auf das World-Trade-Center handelt das Stück des Münchner Büchner-Preisträgers Rainald Goetz (68). Sein Partner am Theater, der Kölner Regisseur Stefan Bachmann, hatte die Uraufführung 2021 in einem gnadenlosen Stakkato an der Schmerzgrenze inszeniert. Jetzt geht es noch einmal mit Goetz und Bachmann in die Nuller-Jahre. Wieder wurde die Bühne von Olaf Altmann mit Fäden der gesellschaftlichen Verstrickung bespannt. Wieder mimen Frauen fiese Männer. Wieder ähnelt die Aufführung im Düsseldorfer Schauspielhaus einer irren Sprechoper. Aber: Diesmal macht es Spaß. „Johann Holtrop“ ist eine brillante Satire über die Narren der Wirtschaftsmacht.
Am Ende wird Dr. Johann Holtrop zermalmt. Man hat kein Mitleid mit dem Anti-Helden eines Goetz-Romans von 2012, den Bachmann für die Bühne aufs Wesentliche reduziert hat. Dieser Holtrop ist ein typischer westlicher Erfolgsmensch, gierig, konsequent, berauscht von der eigenen Herrlichkeit und Skrupellosigkeit: „Wissen Sie, ich denke immer in Möglichkeiten!“ Ohne Zögern entlässt er 2001 einen Komplizen, Thewe, den Chef der ostdeutschen Niederlassung jener Medien AG, die von Holtrop zur Größe gemanagt wurde. Thewe, „mutlos, unwichtig, alt“, wird sich auf klägliche Weise umbringen, aber das bremst Holtrop nicht. Er jettet weiter durch die Weltwirtschaft, verzockt sich, verliert alles, bricht zusammen, rappelt sich auf, übersteht Krisen, profitiert von Aufschwüngen, fällt furchtbar.
Kichern erlaubt
Die schöne Melanie Kretschmann, Star des Kölner Schauspielhauses (es handelt sich wieder um eine Koproduktion), spielt diesen Holtrop. Im azurblauen Anzug. Breitbeinig, weizenblond, strahlendes Lächeln, volle Anspannung. Die Karikatur eines Gewinners, ganz anders als der erbärmliche Thewe, mit Schmerbauch und schütterem Herrenhaar von Ines-Marie Westernströer gegeben, die sich aparterweise auch in die hübsche Gattin Holtrops verwandeln kann. Lea Ruckpaul zappelt als PR-Berater Leffers treffsicher durch die vertikal gespannten Fäden des Bühnenbilds. Cennet Rüya Voß gibt neben anderen Herren den windigen Finanzberater Mack mit kleinem Schnauzbart und rheinischer Jemütlichkeit.
Zwischendurch erscheinen die Damen auch mal als Honoratioren, die beim Empfang der aufgetakelten Eignersgattin (Anja Laïs) das Selbstbewusstsein des alten Geldes verkörpern. Ein bisschen albern, das darf so sein. Durch die Travestie werden die männlichen Gesten entlarvt. Die Posen. Lächerlich. Lauter Clowns sind da im Spiel, eine Narrenkappe wird umhergereicht. Es darf gekichert werden. Dabei geht es letztendlich um Existenzen, um Leben und Tod. „Der Kapitalismus leuchtet hell und wild wie nie“ – und frisst seine Kinder.
Liebliche Musik
Und die Live-Musik spielt dazu, die ganze Zeit. Liebliche Streicher, perlendes Klavier. Heimtückisch harmonisch gibt die Komposition von Sven Kaiser den Rhythmus vor für den Text von Rainald Goetz, der sich in der Realität bedient und das Vorgefundene als Groteske entlarvt. Manchmal – wie im Chor der Putzleute – wird die Prosa durch versartige Betonung zur Lyrik. Das hat sie durchaus schon im Originalbuch in sich: „Mitternacht schlug eine Uhr von fern …“. Die Sätze zu verstehen, ist mitunter anstrengend, zumal sich die acht Spielerinnen zwischen den vertikalen, vor den Augen flirrenden Fäden auch hoch künstlich bewegen – in einer Art Tanztheater.
Gerade noch rechtzeitig vor dem Weghören wechselt der Ton. „Unsinn!“ klingt wie ein Schlachtruf, und kuriose Feststellungen entfalten sich klar: „Die Unbemerkbarkeit der äußeren Welt war der Luxus im Inneren einer High-End-Limousine.“ Danach ist man wieder bereit für neue Stimmakrobatik. Aufmerksam, amüsiert, gespannt folgt das Premierenpublikum der rasanten Performance. Großer Applaus.
Weitere Vorstellungen
„Johann Holtrop – Abriss der Gesellschaft“. Der Roman von Rainald Goetz wurde in Koproduktion mit dem Schauspiel Köln von Stefan Bachmann für die Bühne eingerichtet und inszeniert. Dauer: zweieinviertel Stunden, keine Pause. Die nächsten Vorstellungen im Großen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses am Gründgens-Platz sind am 17. und 30. März, am 4. und 26. April, am 19. Mai und 12. Juni. Tickets und Informationen unter www.dhaus.de