Von Schmerz und Liebe: „Odyssee“ der Ukrainerinnen im Schauspiel Düsseldorf
Dieses Stück ist so nah am Leben, am Schmerz der Beteiligten, dass man es nur mit Rührung und Anteilnahme betrachten kann. Das Stadt:Kollektiv und der ukrainische Dramatiker Pavlo Arie erzählen eine „Odyssee“ mit ukrainischen Frauen und zwei Kindern, die am Rhein ihre Zuflucht vor dem Krieg gesucht haben. Sieben hiesige Frauen kommen dazu. Und der aus Kiew stammende Regisseur Stas Zhyrkov sorgt auf der kleinen Bühne des Düsseldorfer Schauspiels für eine präzise, professionelle Inszenierung – zweisprachig, anstrengend. Und doch auch betörend wie die Lieder, die da klingen.
„Es war eine Odyssee!“ Das seufzen wir schon, wenn wir auf dem Nachhauseweg mal in eine Umleitung geraten. Ein strapazierter Begriff, der natürlich eher passt, wenn es um die existentiellen Unsicherheiten geht, die Menschen auf der Flucht erleben. Ukrainische Frauen zum Beispiel. Anders als Penelope, die Gattin des Odysseus, der nach dem Trojanischen Krieg zehn Jahre lang nicht den Heimweg fand, warten sie nicht zu Hause auf die Rückkehr des Mannes. Darauf, dass alles gut wird. Sie erreichen selbst auf Irrfahrten die Inseln vermeintlicher Sicherheit.
Bahnhof des Schicksals
Dass die von Paulina Barreiro entworfene Kulisse eine Haltestelle am Hauptbahnhof ist, macht also Sinn. Entwurzelte Familien erreichen an solchen Orten ein Zwischenziel. Dort ergreifen die Frauen das Wort. Größtenteils in ihrer Muttersprache, die auf dem Bahnanzeige-Display übersetzt wird. Sie sprechen von ihrem Schicksal. Schnell, leidenschaftlich, doch in der Disziplin einer dramatischen Inszenierung. Das Publikum konzentriert sich sehr, um den Geschichten zu folgen. So viel Wahrhaftigkeit spürt man selten im Theater.
Da ist die schöne Yuliia Birzul aus Kiew, eine zweifache Mutter, deren Mann in den ersten Tagen des Angriffskriegs vor einem Jahr aus ihrem Leben verschwand. Seither kämpft er irgendwo, sie hat hier Zuflucht gefunden. Und: „Unser Leben ist ein einziges Warten.“ Iryna Marchenko wartet nicht auf ihren Mann. Er starb schon vor dem Krieg. Sie ist allein in der Fremde mit ihrem 14-jährigen Sohn, eine temperamentvolle, warmherzige Person, die sich freut, auf einer Bühne zu stehen, wie sie es sich als Mädchen erträumte. Neben ihr: Tetiana Kuleba aus Dnipro, deren Mann sie zwingen musste, mit den Kindern auf die Flucht zu gehen.
Gesang der Verzweiflung
Sie wollten nicht gehen. Sie mussten. Hastig zusammengerafft wurden notwendige Dinge: Dokumente, Medikamente, bequeme Kleidungsstücke. Das Meiste ließen sie zurück. Die junge Musikerin Vasylysa Furmanova kam in einem Evakuierungszug, so überfüllt, dass man sich kaum regen konnte, nicht zur Toilette konnte. 16 Stunden dauerte die Alptraumfahrt. „Ich dachte, ich werde verrückt“, sagt sie, nein, singt sie. Und so, wie ihre Stimme klingt, voller Power und Pein, und so, wie sie Gitarre spielt, sollte man sie gleich engagieren. Auch die entzückende Oleksandra Dolobovska kann inbrünstig singen. Sie erzählt von Verzweiflung, Familiendrama und der Begeisterung, als sie nach neuntägiger Autofahrt in Düsseldorf aussteigen durfte, in der Zeit, als die Mohnblumen am Wegesrand blühten.
Ziemlich gut deutsch spricht Olha Fish, die schon 2018 aus Kiew nach Deutschland kam und sich eingelebt hat. Herzzerreißend, dass auch die Russin Viktoria Gershevskaya aus St. Petersburg mitspielt, die sich von ihrem Volk unter Schmerzen und Tränen distanziert. Und dann ist da noch Marta Bezpaliuk aus Irpin, die sich ein paar Tage zurück in die Ukraine wagte, um ihren Bruder zu beerdigen. Jetzt ist sie wieder da und tritt auf – wie ihr süßer elfjähriger Sohn Renat, der an der Seite von Illia Ivliev aus Charkiw einen Schuljungen spielt.
Der verlorene Vater
Denn auch das hat Platz in der eindreiviertel Stunde langen Aufführung: das Leben der Kinder, dazu gedichtet. Illia ist ein ukrainischer Junge, in den sich ein deutsches Mädchen verliebt – gespielt von Alrun Göttmann aus Düsseldorf. Es gibt ein Kichern unter den Teenies und ein Sehnen, ganz, als wäre alles normal. Doch dann kehrt der Junge zurück in die Ukraine, und das geht nicht gut aus. Wie Telemachos, der Sohn des Odysseus, sucht er nach dem verlorenen Vater.
Ach ja, und es gibt noch andere Bezüge zur Original-Odyssee. Deutschsprachige Penelope-Figuren, die Prosecco trinken, wie im Karneval mit Helau von oben Kamelle werfen und plötzlich in Versen zu den Göttern sprechen: „An euch wende ich mich, ihr Allmächtigen!“ Tatsächlich ist die Verbindung zu Homer der leichtere, oft amüsante Teil der Produktion. Schwer wiegen die Kriegsgeschichten der Gegenwart, wie der Frontbericht einer zum Kampf entschlossenen ukrainischen Hundeführerin (vorgetragen von Kristina Karst-El Scheich). Ganz großer, von Herzen kommender Applaus für die Truppe des Wortes.
Nächste Vorstellungen:
Die zweisprachige „Odyssee“, frei nach Homer von Pavlo Arie, inszeniert von Stas Zhyrkow mit Menschen aus der Ukraine und aus Düsseldorf, wird im Kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses gezeigt. Nächste Vorstellungen: 16. und 25. Februar, 12., 16. und 23. März. Der Eintritt für ukrainische Bürger*innen kostet nur einen Euro. www.dhaus.de