Bilderrausch: Malerei von Dieter Krieg in der Akademie-Galerie Düsseldorf
Mit dem rheinischen Kunstgeschäft, den Küsschen und Beziehungen wollte Dieter Krieg (1937-2005) nichts zu tun haben. Der Düsseldorfer Akademielehrer war ein stiller, nachdenklicher Mann, der fern von der Kö in dem Kaff Quadrath-Ichendorf lebte. Seine Ex-Studentin Professor Yesim Akdeniz erzählt, dass er bei den Dienstagsbesprechungen in der Klasse immer denselben dunkelgrauen Anzug trug. Bloß nicht auffallen … Dabei schuf Krieg ein malerisches Werk, das einfach überwältigend ist in seiner Kraft, Größe und Unbändigkeit. Zu bewundern in der Akademie-Galerie am Burgplatz und, so der typische Krieg-Titel: „gut für die Aug’n“.
Draußen schwillt der Weihnachtsmarkt an, der große Rummel ist nicht aufzuhalten. Drinnen leitet Vanessa Sondermann eine Oase der Kunst und Klarheit: die 2005 im ehemaligen Einwohnermeldeamt gegründete Galerie der Akademie-Sammlung. In der elegant geschwungenen Saalfolge werden Persönlichkeiten der modernen Hochschulgeschichte gewürdigt, die von den städtischen Instituten oder der Landesgalerie leider vernachlässigt werden. Zum Beispiel Dieter Krieg.
Installation und Ton
Geboren in Lindau am Bodensee, studierte Krieg in Karlsruhe bei HAP Grieshaber, dem naturverbundenen Großmeister des Holzschnitts. Wie sein im Süden der Republik äußerst populärer Professor blieb er dem Gegenständlichen treu, doch Grieshabers Beschaulichkeit war ihm fremd. Dieter Krieg wollte das Irritierende schaffen. 1971, selbst schon Lehrender, zeichnete er mit feinstem Stift eine dunkle Neonröhre auf Wachstuch („4 Watt“) und arrangierte dazu 50 Röhren mit den typischen Anschlüssen, die niemals leuchten können, weil sie aus schwarzem Gummi sind.
Auch mit der Konzeptkunst liebäugelte der junge Dozent und ließ 19 Student*innen und Kolleg*innen in Frankfurt, Baden-Baden und Karlsruhe nach sturer Anweisung alle Namen aus dem 36-bändigen Künstlerlexikon Thieme-Becker auf Tonband sprechen. Ohne Betonung. Gesamtdauer: 147 Stunden und 20 Minuten. Ein monotones Stückchen aus dieser Mordsaktion hört man im Hintergrund der Schau. Und sieht mit Verwunderung den Titel: „Allen Malern herzlichen Dank“. Dabei stehen natürlich auch Bildhauer und Grafiker der Geschichte in dem vorgebeteten Lexikon.
Entdeckt in Venedig
Aber Dieter Krieg war nun mal ein Maler. Mit Leib und Seele. Und er machte sich frei von anderen Bemühungen. Als Kurator Klaus Gallwitz ihn und den Bildhauer Ulrich Rückriem 1978 für den deutschen Pavillon der Biennale in Venedig auswählte, lieferte Krieg monumentale Acrylbilder auf Papier – über fünf Meter breit, über zwei Meter hoch, in wildem Gestus gemalt. Nackte Körper sieht man da, hingestreckt, vielleicht sogar tot, in einer aufgewühlten Umgebung. Eine Taschenlampe, ein treibendes Brett hätten Rettung bringen können. Aber man war abgelenkt – von Jerry Cotton und Flash Gordon.
Krieg malte zwei solcher Hefte wie gefallenes Herbstlaub auf eine der Figuren. Sicher hatte er als Junge solche Trivialitäten geliebt – wie jede*r. Später bevorzugte er schwere Literatur, empfahl auch seinen Schülern, viel zu lesen. Im monumentalen Format schuf er zwei Denkmalereien für seine Lieblingsautoren. Grün leuchtet da der Einband von Becketts „Watt“, dem Vernunftmenschen, der aus der geordneten Welt hinaus in den Wahnsinn treibt. Und aus einem schwarzen Buchdeckel blicken die bebrillten Augen des Avantgardisten und Sprachartisten Arno Schmidt.
Drei Teddys fürs Herz
1991 entstanden die bezwingenden Buch-Gemälde, da war Krieg schon lange ein etablierter Professor in Düsseldorf. Akademie-Rektor Norbert Kricke, selbst Bildhauer und Schöpfer rein abstrakter Formen, hatte Kriegs wüste Bilder 1978 bei der Biennale gesehen und holte diesen kraftvollen Maler unverzüglich in das Düsseldorfer Kollegium.
Krieg, der Unbekannte, hatte zunächst nur fünf Studenten, darunter Andreas Schulze, der ursprünglich in die Klasse von Gerhard Richter wollte. Die malerische Freiheit, die Krieg mit großen Papierrollen anregen wollte, machte den Schülern offenbar zu schaffen. Also regte der Professor ein Gemeinschaftsprojekt an, etwas Verbindendes, Freundschaftliches. Der alte Teddy von Andreas Schulze war die inspirierende Form. Drei Riesenteddys im Kreise wollte man aufbauen, wie Kinder beim Ringelreihen.
Das Banale als Motiv
Nach einigen Fehlversuchen mit Plüsch hat man sie dann direkt bei der Firma Steiff bestellt: „Drei Teddybären“, 160 Zentimeter hoch, die Tatzen aneinander gelegt, werden bis heute von der Stiftung Krieg bewahrt und stehen jetzt rührend in der Düsseldorfer Schau vor den fetten, frechen, orange triefenden Möhren („gut für die Aug’n“), die Krieg 1994 für das Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel in Karlsruhe malte.
Da hatte er längst das Banale als Lieblingsmotiv entdeckt, „die Dürftigkeit des Erlebten“, wie er einmal schrieb. Dieter Krieg brauchte keine Landschaften und Gesichter, ihm reichte zum Beispiel eine Vorhangstange oder eine Tüte Fritten. Aus allem konnte etwas Vitales, Lustiges und zugleich Furchteinflößendes werden. In der Düsseldorfer Ausstellung hat Vanessa Sondermann zwei prächtige, noch blutig rote Kotelett-Bilder übereinander arrangiert. An einer großen Wand hängt Kriegs berühmtes „Spiegelei“ von 1995, eine fast fünf Meter lange Attraktion mit dem gelb-rot leuchtenden Dotter auf krossem Speckbraun, prächtig wie ein Sonnenuntergang.
Lieber im Bierverlies
Die Farbe ließ der Künstler teilweise so dick auf das am Boden liegende Bild tropfen, dass sich nach dem Trocknen eine Art Relief ergab, bis heute ungebrochen. Er selbst hingegen gab mit zunehmendem Alter die Farben auf und zeichnete Abschied nehmend Wörter, Figuren und Dinge auf geweißtes Papier, zum Teil mit Silikon erhöht. „Schlechte Literatur schöner Tod“ schrieb er mit Kohle harsch unter ein niedliches kleines Skelett.
Den Humor hatte er nicht verloren, setzte einem verbeulten Kopf ein Glas als „Heiligenschein“ auf und krakelte darunter: „Lieber im Bierverlies als im Weinparadies“. Hinter dem Lachen verbarg sich der Schmerz. Im selben Jahr, 2004, starb Kriegs Frau Irene. Dieter Krieg gab sich auf, verschenkte alle Bücher, malte nicht mehr und verschanzte sich zu Hause in Quadrath-Ichendorf. Man fand ihn im November 2005 tot am Tisch neben einer Flasche Wein. Er wurde nur 68 Jahre alt.
Was, wann und wo?
„Dieter Krieg: gut für die Aug’n“. Bis 12. Februar 2023 in der Düsseldorfer Akademie-Galerie am Burgplatz 1. Geöffnet nur Fr.-So. 12 bis 18 Uhr. Der künstlerisch gestaltete, reich bebilderte Katalog mit einer Einführung von Vanessa Sondermann und vielen persönlichen Erinnerungen und Einschätzungen von Kollegen kostet 30 Euro. www.kunstakademie-duesseldorf.de