Show mit Schatten: „Cabaret“ im Schauspielhaus Düsseldorf
Tusch! Das Leben ist ein Kabarett, Ladies und Gentlemen und alle, die sich irgendwie dazwischen fühlen: „Life is a cabaret, old chum (alter Kumpel), come to the cabaret!“ Die Show geht weiter. Auch wenn die Welt zusammenfällt. Wie das aussieht, hat die hinreißende Liza Minelli vor 50 Jahren gezeigt – in Bob Fosses Verfilmung von Joe Masteroffs Musical „Cabaret“. Es ist nicht leicht, gegen solche Erinnerungen anzutanzen, zumal es im Düsseldorfer Schauspielhaus 1986 noch die legendäre Savary-Inszenierung mit der jungen Ute Lemper gab. Theaterliebling André Kaczmarczyk wagt eine Neuinszenierung – und beschert dem Haus ein rasantes Spektakel mit rührenden Momenten und aktualisierten Absichten.
„Willkommen, bienvenue, welcome, Fremder, étranger, stranger …“. Er selbst, der wandelbare Kaczmarczyk, gibt (natürlich) den Conférencier, jene schillernde Figur, die man nur auf der Bühne des Kit Kat Club erlebt – im Berlin am Ende der verruchten 1920er-Jahre, als sich schon die braunen Horden aus den Schatten erheben. Anders als im Original sieht man hier keine Hakenkreuze, die Nazis treten in schwarzer Kunstlederkluft auf. Sie könnten auch heutige Neo-Nazis sein. Das vergrößert den Ernst der Lage im zweiten Teil, wenn sich die Show deutlich verdüstert und die Musik (unter der bewährten Leitung von Matts Johan Leenders) wie betäubt ausklingt.
Girls mit diversem Charme
Doch obwohl es ganz bewusst kein schmissiges Finale gibt, will das Premierenpublikum nicht beklommen sein, sondern immerzu jubeln und jauchzen. Und, na klar, die Kit-Kat-Revue lässt niemanden kalt. Anstelle der üblichen Riege einheitlicher Girls steppen und swingen und züngeln da abwechslungsreiche Figuren in Miedern und Netzstrumpfhosen: Mann und Weib, mollig und dünn, jung und älter. Besonderen Glamour hat die strahlende Choreografin Bridget Petzold selbst mit ihren langen weißen Haaren. Allen voran stöckelt André Kaczmarczyk als dämonisch lächelnder Revue-König und Conférencier, der am Ende die Federboas ablegt, Frack trägt und sich den neuen Zeiten anpasst.
„The international sensation“ der Show ist, wie man weiß, Miss Sally Bowles. Lou Strenger hat weder Ähnlichkeit mit dem kulleräugigen Weltstar Liza Minnelli noch mit der langbeinigen Blondine Ute Lemper. Sie wirkt wie ein ganz normales Mädchen, das sich mit Katerstiefeln, bunten Karnevalsperücken und einer kräftigen Stimme aus den Realitäten hinaustrotzen will. Eigentlich sehr glaubhaft für das gemischte Milieu, von dem sich der britische Schriftsteller Christopher Isherwood (1904-1986) zu seinen „Berlin Stories“, der Vorlage für „Cabaret“, inspirieren ließ.
Cliff sieht ganz anders aus
Im Musical kommt Isherwoods Alter Ego Clifford Bradshaw nach Berlin um zu schreiben, lässt sich aber vom prickelnden Leben ablenken. Bekanntlich beginnt er ein Techtelmechtel mit Sally, was die Inszenierung aber so nicht stehen lassen will. Denn Isherwood war nach heutiger Kenntnis homosexuell und eher auf der Suche nach männlicher Zuneigung. Trotz (rechtlich verbindlicher) Texttreue lässt die Regie daher einen der hübschen Boys aus dem Kit Kat Club unter Cliffs Bettdecke schlupfen. Durchaus einleuchtend. Allerdings fragt man sich, warum der erwiesenermaßen bleiche Engländer unbedingt von einer schwarzen Person gespielt werden muss. Das neue Ensemble-Mitglied Belendjwa Peter, das sich unter anderem als Performer*in und Sex Worker*in bezeichnet, bemüht sich zwar um eine seriöse Herrendarstellung, aber, sorry, das passt einfach nicht. Ein schwarzer Cliff hätte sicher noch eine viel schlimmere Geschichte mit den Nazis erlebt.
Sehr überzeugend besetzt wurden die Nebenrollen. Rosa Enskat spielt mit schroffem Ton und sehnsüchtiger Gebärde die Zimmervermieterin Fräulein Schneider, die sich in den jüdischen Obsthändler Herrn Schultz (Thomas Wittmann) verliebt. Das zarte späte Glück wird noch mit einer Verlobung gefeiert, und „das Erdgeschoss wird zum Märchenschloss“, als die Nazi-Schläger anrücken und die Unbefangenheit zerstören. Das Fräulein will das Geschäft nicht gefährden und trennt sich von ihrem Liebsten wie der Kit Kat Club sich von der Freiheit trennt. Am Ende stehen die Figuren am Rand der Drehbühne wie auf einer gespenstischen Spieluhr. Das Leben ist eben doch kein Kabarett. Bei aller Liebe zur Show macht die Inszenierung das unmissverständlich klar. Bravo!
Fast schon ausverkauft
Ganz Düsseldorf will ins „Cabaret“. André Kaczmarczyk hat das Musical von Joe Masteroff mit Songs von John Kander und Fred Ebb für das Düsseldorfer Schauspielhaus neu in Szene gesetzt. Die Vorstellungen im November und Dezember sind bis auf Restkarten bereits ausverkauft. Frühbucher können Plätze für das nächste Jahr reservieren. Die Besetzung kann allerdings wechseln. Neben Lou Strenger spielt auch Inga Krischke die Sally Bowles, der Conférencier wird mal von André Kaczmarczyk, mal von Rob Pelzer gegeben. www.dhaus.de