Großer Auftritt für die Jugend im Schauspielhaus Düsseldorf
Was für ein Abenteuer! Während theaterbegeisterte Teenager früher allenfalls in der Aula vor Muttis, Opas und Schulfreunden ihr Talent zeigen konnten, haben junge Leute heute in Düsseldorf die Chance auf einen großen Auftritt in der Öffentlichkeit des Schauspielhauses. Das sozialpädagogisch engagierte Stadt:Kollektiv macht es möglich. Zehn Amateurdarsteller*innen zwischen 14 und 20 Jahren zelebrieren mit Leidenschaft „Die Nacht so groß wie wir“ nach einem Jugendroman von Sarah Jäger.
Da sitzen sie nebeneinander auf der Rampe, warten schweigend auf den Beginn und blicken geradeaus in das erwartungsvolle Publikum. Sie müssen verdammt aufgeregt sein. Aber es gibt keinen Grund, sich zu fürchten. Denn unter der professionellen Regie der Berlinerin Salome Dastmalchi wird niemand überfordert. Höchstens mal die Zuschauer. Denn alle Rollen sind doppelt besetzt, widerstreitende Gefühle werden so niemals allein, sondern im Dialog ausgetragen. Jede Figur hat weibliche und männliche sowie charakterlich verschiedene Versionen, die einander mal schubsen und anschreien, mal trösten und umarmen.
Die inneren Ungeheuer
Damit bei dieser Art von Bewusstseinsspaltung keine Verwirrung entsteht, tragen die Zusammengehörenden jeweils ziemlich scheußliche Jogginganzüge in derselben Farbe. Ein Glitzertop unter der Jacke deutet an, dass man sich eigentlich zum Feiern fein gemacht hat. Denn wir haben die Nacht nach der Überreichung der Abi-Zeugnisse. In der Turnhalle ist Party, funkelnde Lichter über quietschendem Boden deuten es an. Die fünf Freunde Maja (Jorid Disteldorf und Adrian Geulen), Tolga (Humam Mohamad und Ecenaz Ökmen), Bo (Amelie Wilkens und Henrik Zuber), Pavlow (Alice Lefebvre und Emir Özdemir) sowie Suse (Julia Manafzadeh und Angelika Titz) wollen sich aber erst einmal dem Ernst des Lebens aussetzen.
„Kapiert ihr nicht? Das ist die Nacht, in der wir sterben müssen. Vom Ungeheuer verschlungen und dann wiedergeboren“, proklamiert Pavlow, der/die eigentlich Bastian heißt. Jede*r soll sein Schlimmstes offenbaren und loswerden. Suse leidet noch unter dem Unfalltod ihres Vaters, Bo muss sich demnächst wegen eines Aneurysmas einer gefährlichen Operation unterziehen, Maja hat eine Abstimmung gefälscht und ihren Freund Tolga als Kind beim Hüttenbau versehentlich verletzt, Tolga empfindet panische Angst vor Aufmerksamkeit.
Frust und Zerstörungswut
Pavlows Kummer lässt sich nicht mit Worten bändigen. Er fühlt sich ungeliebt vom Vater, der eine neue Familie gegründet hat. Die Gruppe steigert sich in gemeinschaftlich blinde Wut, zieht zum Haus des Vaters, verwüstet die Einrichtung und klaut das Auto. Die ziemlich kriminelle Aktion geht zwar gerade noch gut, aber Pavlows Aggression wird noch zu einem weiteren Übergriff führen – und zum Ende freundschaftlicher Beziehungen.
Jede Menge filmreifer Action ist das, die in der gleichbleibenden Szenerie aber nur dramatisch erzählt wird – als genderfluides Kopfkino nah am Roman. Regisseurin Salome Dastmalchi bleibt konsequent bei ihrer psychologisch stilisierten Form. Schulkassen, die das gemeinsam ansehen, werden viel zu interpretieren haben. Vielleicht finden sie ja auch heraus, was das tanztheaterhafte Auf- und Zuschnüren der Turnschuhe zu bedeuten hat. Dass man sich fertigmacht zum Loslaufen in die Welt? Und sich dabei verheddert? Da grübeln die alten Leute und fänden es schön, vom Stadt:Kollektiv, der einstigen Bürgerbühne, auch mal wieder beachtet zu werden.
Die nächsten Vorstellungen
„Die Nacht so groß wie wir“ nach dem Roman von Sarah Jäger in einer Bühnenfassung der Regisseurin Salome Dastmalchi wurde im Kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses uraufgeführt. Die Vorstellung dauert knapp zwei Stunden ohne Pause. Weitere Termine am 1. und 18. November sowie am 14. und 20. Dezember. www.dhaus.de