Der Beat von Piet: Mondrians Kunstleben im K20 Düsseldorf
Kennen Sie Mondrian? Natürlich, den kennt ja jeder. Seine Bildidee – schwarze Streifen und rechteckige Farbfelder in Rot, Blau, Gelb auf Weiß – ist unverwechselbar und wurde tausendfach geklaut. Design nach Art von Mondrian gibt’s auf Beuteln, Socken, Wänden, Haute Couture und auf meiner im Internet bestellten Visitenkarte. Alle lieben die heitere Klarheit des variablen Motivs, das der niederländische Künstler erst in mittleren Jahren für sich entdeckte. Eine mitreißende Ausstellung im K20 zeigt die malerische Entwicklung des Piet Mondrian (1872-1944). Und der Esprit der klassischen Moderne swingt dazu.
Musik steckt tatsächlich in der Show, die in Zusammenarbeit mit dem locker gestimmten Kunstmuseum Den Haag und in Koproduktion mit der erfolgsgewohnten Baseler Fondation Beyeler entstand. Mondrian hatte ein Grammophon, liebte den Jazz und lernte noch als älterer Herr das Boogie-Woogie-Tanzen. Im hintersten Raum dürfen die Besucher zum Rhythmus seiner Lieblingsstücke eigene Linien mit Klebestreifen über Boden und Wände ziehen. Oder auch nur mit der Fußspitze wippen nach dem „Beat von Piet“. Fototapeten sorgen für Atelier-Atmosphäre und führen vor, wie sich Mondrian vom braven Lehrerssohn erst zum wildbärtigen Reformkünstler und dann zum eleganten Meister der Reduktion wandelte.
Aus dem Dunkeln befreit
„Wir wollen den Zusammenhängen nachspüren“, sagt Kuratorin Kathrin Beßen. Und deshalb hängt gleich am Eingang ein 1910 in hellblaue Luft gesetzter „Leuchtturm in Westkapelle“ neben einer „Komposition mit Blau und Weiß“ von 1936 und beweist, dass Mondrian auch in der gegenständlichen Phase schon nach Licht und Leichtigkeit suchte. Um die Ecke sieht man dann, wie finster seine Kunst begann. Niemand würde die in dumpfer Stube hockende „Frau mit Spindel“ oder die zaghaften „Zwei Chrysanthemen“ dem Mondrian zuordnen. Nach einem kurzen Studium an der Amsterdamer Rijksakademie malte der junge Mann in den 1890er-Jahren in traditionell niederländischer Manier.
Landschaften sind das Motiv, mit dem er sich als Künstler in Amsterdam profilierte. Idyllen festhalten war die Aufgabe. Aber man sieht schon an der schwerelosen „Oostzijder Mühle am Fluss Gein bei Mondschein“ (um 1903), dass er im neuen Jahrhundert anders arbeiten wollte. Er hatte offenbar die Impressionisten gesehen. Die Tiefe des Raumes interessierte ihn nicht, sondern die Struktur der Dinge – und die Veränderung der Farbe im Verlauf von Tag und Nacht. Rotgolden aufflammen ließ er den Himmel hinter „Fünf Baumsilhouetten entlang des Gein mit Mond“ (um 1907/8).
Mühle bei Sonnenschein
Vorbei war’s 1908 mit der Liebe zur Tradition. Mondrian, beeindruckt von Rudolf Steiner und neuen esoterischen Lehren, erfindet sich neu. Er lässt sich einen Rauschebart wachsen, blickt mit dunklen Augen aus einer Reihe hypnotischer Selbstporträts und malt einerseits eine traurig „Sterbende Sonnenblume“ und andererseits eine rot, gelb und blau glühende „Mühle bei Sonnenschein“ im Geiste des 1890 verstorbenen Vincent van Gogh. Rot, Gelb, Blau und Grün leuchtet eine „Reihe von elf Pappeln“.
Auf nach Paris
1910 gehört Mondrian zu den Gründungsmitgliedern der Vereinigung „Moderne Kunstkring“ und betrachtet sich als niederländische Avantgarde. 1911 zieht er nach Paris, wo Picasso und Braque die Formen zerlegen. 1912 abstrahiert er einen Apfelbaum, die Blätter schweben in freien Stücken, unkenntlich. Konsequent nennt er die Werke der nächsten Jahre „Komposition“ und nummeriert sie. Seine Linien werden gerade. 1914 lassen sie schon die spätere Ordnung ahnen. Aber dann kommt der Erste Weltkrieg.
Nach einem Besuch bei seinem alten Vater darf Mondrian nicht mehr zurück nach Paris. Vorübergehend liebäugelt er in seiner Heimat noch einmal mit den vertrauten Sujets. 1916 malt er einen „Bauernhof bei Duivendrecht“ in wechselndem Licht, 1917 eine „Mühle am Abend“. Einige Bilder zeugen davon – er hat’s nicht verlernt. Aber die Abstraktion ist nicht aufzuhalten, Mondrian gehört zu den Stars der neuen Gruppe „De Stijl“, die auch den Alltag neu gestalten will. Nach dem Chaos der Schlachten feiert die Kunst die Loslösung vom pathetischen Gegenstand.
Mondrian, jetzt ein strenger Herr im Anzug, kehrt 1919 zurück nach Paris, wo sein Atelier an der Rue du Départ, der Straße des Aufbruchs, eine viel besuchte und fotografierte Leitstelle eines progressiven Lebensstils ist. Die Wände sind, wie Fotos zeigen, mit Streifen und Farbrechtecken gestaltet: Mondrians neuer Stil. Eine Fülle der typischen Kompositionen entsteht in den 1920er-Jahren. Die möglichen Variationen sind endlos, die Struktur verändert sich mit den schwarzen Konturen. Manchmal prägt ein großes rotes Quadrat die Fläche, manchmal verdrücken sich die Farben in die Ecken. Und da alles mit der Hand gemalt ist und nie vollkommen exakt, lebt und vibriert die Geometrie dieser Arbeiten.
77 Jahre verkehrt herum
Doch in Deutschland schwillt die Nazi-Katastrophe an, bald droht ein weiterer Krieg. 1938 flieht Mondrian, zunächst nach London. 1940 emigriert er nach New York, wo er bei den „American Abstracts“ willkommen geheißen wird. Obwohl schon Ende 60, fühlt sich der Europäer belebt und inspiriert – vom Tempo der Stadt und vom Boogie Woogie, dem er sogar seine Arbeit widmet. Technisch probiert er etwas Neues und experimentiert mit Klebebändern, die gerade auf den Markt gekommen waren. Ruckzuck lässt sich damit eine Komposition erschaffen.
Hallo, Herr Schmalenbach
Eines dieser verrückten Bilder, „New York City I“ von 1941, gehört der Kunstsammlung NRW, Gründungsdirektor Werner Schmalenbach hat es 1980 erworben. Es scheint in Lust und Eile entstanden zu sein, man sieht, dass Mondrian die Streifen am Rand abgerissen, hier und da mit Reißzwecken befestigt und ausgebessert hat. Mehr Entwurf als Vollendung. Als Mondrian 1944 an einer Lungenentzündung gestorben war, hing das geklebte „New York“ immer noch in seinem Atelier. Allerdings anders herum, mit den dichten Streifen oben, wie ein erst seit kurzer Zeit beachtetes Foto aus einem historischen Modemagazin beweist. Kuratorin Susanne Meyer-Büser hält es für wahrscheinlich, dass Mondrians spätes Werk tatsächlich aus Versehen auf den Kopf gedreht wurde – und zwar schon bei einer ersten Ausstellung 1945 in New York. Weitere Indizien sind der Verlauf der Klebebänder sowie die Komposition einer gemalten Version, die im Centre Pompidou hängt. Und nun? Auch ein Irrtum kann Kunstgeschichte werden, finden die Kuratorinnen. Da das Bild seit 77 Jahren falsch herum hängt, soll es auch so bleiben. Piet Mondrian fände das womöglich amüsant. Boogie Woogie.
Was, wann und wo:
Die Ausstellung „Mondrian. Evolution“ im K20 der Kunstsammlung NRW, Düsseldorf, Grabbeplatz 5, wird am Freitagabend, 28. Oktober, um 19 Uhr eröffnet und ist dann bis zum 12. Februar 2023 zu sehen. Di.-Fr. 10 bis 18 Uhr, Sa./So. 11 bis 18 Uhr. Eintritt: 12 Euro, am KPMG-Kunstabend jeden 1. Mittwoch im Monat von 16 bis 22 Uhr ist der Eintritt frei. Der Katalog hat 264 Seiten und kostet 44 Euro. Informationen und Beiprogramm unter www.kunstsammlung.de