Spieltrieb: „Wonderwalls“ im NRW-Forum Düsseldorf
Eltern können so gemein sein. Als Selim Varol kein ganz kleiner Junge mehr war, entsorgten sie seine Spielsachen, weil sie fanden, er wäre dafür zu alt: „Das war für mich ein Riss in der Kindheit.“ Und hatte zur Folge, dass er fortan umso leidenschaftlicher bunten Kram und Figürchen sammelte, das Taschengeld auf Flohmärkten investierte. Heute, mit knapp 50 Jahren, ist der Düsseldorfer Food-Unternehmer, Burger-Spezialist („What’s Beef?“) und Familienvater Selim Varol immer noch ein Knabe, der seine Baseball-Kappe kaum absetzt. Im NRW-Forum zeigt er seine bunte und schrille Kollektion von Street-Art und Designer Toys: „Wonderwalls“.
Das ist unübersehbar wie die Fotobänder mit lachenden Gesichtern, die ein französischer Künstler mit dem Markennamen „JR“ letzte Woche an das strenge Ehrenhof-Gebäude geklebt hat. Dezenz wäre Schwäche in der Graffiti- und Überraschungskunst, die sich auf den Straßen bemerkbar macht, und erst recht auf dem Markt der Sammelfiguren. Der Bildungsbürger mag sich wundern, ein junges Publikum freut sich über eine dieser Shows, die nur Kurator Alain Bieber mit seinen Beziehungen zur verspielten neuen Kreativszene in die Düsseldorfer Kulturlandschaft setzen kann.
Hip-Hop und Hoffnung
Es wird wirklich Zeit, dass der 1998 ersonnene, stocksteife Name „NRW-Forum Kultur und Wirtschaft“ gegen was Cooleres ausgetauscht wird. Dafür muss man nicht mit dem Kopf durch die Wand wie offenbar der Typ im Kapuzenshirt, der am Eingang für Irritationen sorgt, bis man merkt: Ist nur eine Puppe. Frechheit und subversiver Humor sind Hauptmerkmale der Schau, die dem zarten Geschmack sicher nicht so zusagt. Über und über hängen Bilder und Objekte. Unter Hip-Hop-Rhythmen versucht der irrende Blick, in der Farbe und Fülle das Einzelne zu erkennen.
Und siehe da: Neben dem seriösen Antlitz von Barack Obama, für den der Künstler und Skateboarder Shepard Fairey im US-Wahlkampf 2008 das Poster „Hope“ (Hoffnung) entwarf, gibt’s auch kleine frühe Werke des anonymen, aber berühmten britischen Kunstmarkt-Spötters Banksy. Alles feixte, als er 2018 sein für über eine Million Pfund bei Sotheby’s versteigertes Bild „Girl with Balloon“ noch während der Auktion durch einen Mechanismus schreddern ließ. Das allerdings klappte nur halb, und der Deal wurde nicht zerstört.
Kunst und Belästigung
Geld ist eben doch eine Versuchung, so groß wie der mit Systemkritik gespickte Riesen-Geldschein, den Shepard Fairey schuf, um die „Two Sides of Capitalism“ darzustellen. Zentrales Wort: „Obey“, gehorche. Das genau machen Street-Künstler natürlich nicht, wenn sie mit Spraydose und Schablonen mehr oder weniger Durchdachtes an die Mauern und Wände der Städte sprühen. Die Grenzen zwischen Kunst und Schmiererei schwanken dabei ebenso wie die Reaktionen zwischen Freude und Ärger.
In angemessen wilder Kulisse zeigt die Ausstellung, dass aus der Spontaneität auch engagierte Projekte werden können, wie zum Beispiel die Foto-Installationen des oben erwähnten JR, der riesige Augen und Münder auf die Buden einer Favela in Rio klebte und dem Elendsviertel dadurch Gesichter gab. Und für den ein Iman, ein Pfarrer und ein Rabbi lustige Grimassen schnitten als tolerantes „Heiliges Triptychon“. Mit leichterer Absicht setzte der Amerikaner Brian Donelly, in der Szene als KAWS bekannt, seine geschlängelten Gespenster mit den für ihn typischen X-Augen und Wolkenohren als „Intervention“ auf Werbeplakate.
Spock als Spielzeugriese
Die seltsamen Männlein von KAWS gibt es auch als Sammelfiguren. Etliche davon, in Plüsch und Plastik, zieren den rosaroten Nachbau des Arbeitszimmers des kindgebliebenen Sammlers Varol. Ja, da staunen die Vertreter einer minimalistischen Ästhetik. Selim Varol hat noch viel mehr solcher Schätzchen gehortet, insgesamt sind es sicher 10.000 Stücke. Auf Regalen, gegenüber einer Wand voll bunt gestalteter Skateboards, stehen „Be@rbricks“ stramm (ja, mit @), das sind roboterhaft wirkende Bären, die ein japanischer Spielzeugfabrikant in tausendfacher Variation in die Welt gesetzt hat.
So etwas will nicht jeder haben, aber es ist in der exakten Anordnung der Ausstellung durchaus beeindruckend. Kommt ja immer darauf an, wie man die Dinge sieht. Das Publikum amüsiert sich jedenfalls gut und hält Ausschau nach bekannten Details. Da wären zum Beispiel die Gesichter der Filmhelden Mr. Spock, Rambo, Bruce Lee sowie des Pop-Art-Meisters Andy Warhol in ihrer Erscheinung als schlecht bemalte Sammelpuppen. Das Berliner Künstlerpaar Daniel & Geo Fuchs hat Exemplare aus der Sammlung Varol wie Menschen fotografiert und präsentiert die Gesichter überdimensional groß als „Toy Giants“. Irgendwie unheimlich.
Der Blick von Astroboy
Andere Figuren machen erst so richtig Eindruck, wenn man sie in Truppenstärke zusammenstellt und dann erst fotografiert, wie die birnenköpfigen Typen, die zum Gruppenbild der aus Star Wars bekannten „Lars Family“ wurden, oder die „KAWS Family“ mit lauter X-Augen-Typen in verschiedenen Formaten. Diese Art der Aufstellung, fällt einem ein, machen auch Kinder gern mit ihren Puppen und Figuren. Ein Paralleluniversum, genau wie das schon in den 1950er-Jahren entstandene japanische Manga-Märchen von Astroboy, dem kleinen Jungen mit den großen Augen, der nicht weiß, dass er ein Roboter ist. Nach rührenden, pinocchiohaften Anfängen wird er mit Superheldenkräften ausgestattet und kann fortan serienweise gegen das Böse kämpfen.
Es gibt Astroboy in Comics, Trickfilmen, als Figur in vielen Größen. Sammler Selim Varol ist davon begeistert. Und er hat auch das Gegenbild zu bieten. Ein Porträt, das der spanische Pop-Künstler Javier Calleja von Klein-Astroboy gemalt hat. Da guckt er aus glänzenden Blubberaugen und trägt ein T-Shirt mit der krakeligen Aufschrift: „No More Heroes“. Keine Helden mehr. Das denkt man langsam auch, erschöpft vom optischen Overkill der Schau. Man verlässt den Saal, vorbei an einem riesigen Bronze-Bambi aus der „Heimat“-Kollektion des Offenburger Bildhauers Stefan Strumbel. In den Zehlein hält das Rehlein eine Uhr und eine Tröte: Kitsch als Mahnung – die Zeit für den Waldfrieden läuft ab. Oder so. Jetzt braucht der Mensch erst mal geistig-ästhetische Erholung und einen Cappuccino im Museumscafé Pong.
Was, wann und wo?
„Wonderwalls. Street Art und Designer Toys“: bis 5. Februar im NRW-Forum Düsseldorf, Ehrenhof 2. Geöffnet Di.-So. 11 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Eintritt: 9 Euro. Der reich bebilderte, lebhaft gestaltete Katalog aus dem Verlag Kettler kostet 29,80 Euro. www.nrw-forum.de