Das Böse im Braven: Schauspiel Düsseldorf zeigt Frischs „Biedermann und die Brandstifter“
Die Welt steht in Flammen. Entzündet von Krieg, Fanatismus und der Klimakatastrophe. Man könnte Max Frischs bewährtes Drama „Biedermann und die Brandstifter“ bleischwer mit Gegenwartsbezügen beladen. Der Theater- und Filmemacher Adrian Figueroa vermeidet das. Er inszeniert das von Oberschülern bis zum Überdruss analysierte Stück im Düsseldorfer Schauspielhaus als zeitlos gültige, finster-witzige Parabel über das Böse, dessen Komplize der vermeintlich brave Bürger ist. Wut und Gier, Feigheit und Heuchelei führen in die Katastrophe. Das Publikum ist gebannt.
Ein Nachspiel in der Hölle, das Max Frisch nach der Züricher Uraufführung 1958 hinzufügte, um – nach einigen Missverständnissen – die Mitschuld des Bürgers deutlicher zu machen, braucht diese konzentrierte Produktion nicht. Figueroa lässt auch zwei Randfiguren verschwinden, das Dienstmädchen und den politisch motivierten Terroristen „Dr. phil“. Auch minimiert er den „Chor“ der Feuerwehrleute auf einen einzigen abgerackerten Mann (Thiemo Schwarz), der im Theaterqualm steht (der hier mal wirklich Sinn macht) und vergeblich in antik anmutenden Versen mahnt: „Nimmer verdient, / Schicksal zu heißen, bloß weil er geschehen: / Der Blödsinn, / Der nimmer zu löschende einst!“
Der bürgerliche Egoismus
Aber wer hört schon auf die Stimme der Vernunft? Nicht Gottlieb Biedermann (herrlich schmierig: Sebastian Tessenow), der Haarwasser-Fabrikant, der am Stammtisch lamentiert, man solle sie „aufhängen“, die Brandstifter, die durch die Stadt ziehen, sich als Hausierer einschleichen und dann Feuer legen. Biedermann redet viel, aber eigentlich kümmert ihn das Unglück der Anderen kaum. Hauptsache, es brennt „nicht bei uns“. Er ist ein Egoist, der gute Bürger, skrupellos hat er seinen Mitarbeiter Knechtling vor die Tür gesetzt, ungerührt bleibt er von dessen Selbstmord. Biedermann betont, dass er „kein Unmensch“ sei, doch er will vor allem seine Ruhe haben.
Das geht nicht gut. Schon das bis in die Details kohlrabenschwarze Haus, das Irina Schicketanz als Kulisse baute, weist darauf hin – alles wird zu Asche werden. Und draußen im Bühnenregen steht ein Kerl, der sich nicht abweisen lässt. Schmitz sei sein Name, so stellt er sich vor, ein ehemaliger Ringer, jetzt arbeits- und obdachlos. Andreas Grothgar in der Rolle ist zwar kein Hüne, aber sein totenbleiches Gesicht und seine mit Drohung und Schmeichelei spielende Stimme sorgen für einen mephistophelischen Auftritt.
Die gespenstische Gattin
Biedermann wagt es nicht, den unheimlichen Gast hinaus zu werfen, er bewirtet ihn und lässt ihn im Dachgeschoss übernachten. Auch Gattin Babette fügt sich, obwohl sie das Frühstück vorsichtshalber mit dem Schlachtermesser serviert. Hanna Werth in steifer Robe mit feuerroter Perücke wirkt bereits wie ein Gespenst. Da ist nichts mehr zu machen. Hilflos sehen die Biedermanns mit an, wie sich eine zweite Person einnistet und Benzinfässer im Dachgeschoss gelagert werden. Die junge Wiener Star-Schauspielerin Sophie Stockinger, eine Bereicherung für das Ensemble, ist Wilma, die junge, weibliche Version von Frischs Brandstifter Eisenring, einem ehemaligen Kellner. Heutzutage wollen/sollen Mädchen ja auch mal die guten bösen Rollen haben. Und, nebenbei bemerkt, die heldenhaften. Im November wird Sophie Stockinger als „Robin Hood“ auf der Düsseldorfer Bühne stehen.
Aber zuerst schikaniert sie, klein und eisern, als Brandstifterin ihre Opfer. Längst weiß Biedermann, dass seine Besucher die Gefürchteten sind. Aber aus Angst und in der irrwitzigen Hoffnung, sie durch Freundlichkeit von ihren Plänen abzuhalten, lädt er sie zum Gänseessen ein und misst zuvor noch mit Wilma die Zündschnur ab, als sei es ein Spaß. Am Ende ist er es sogar, der den Zerstörern der fragilen Zivilisation die Streichhölzer gibt. Ein Witz, aber ein sehr dunkler.
Dämonen der Wirklichkeit
In Figueroas Inszenierung gibt es letztendlich keinen Unterschied zwischen den Tätern und den verantwortungslosen Bürgern, die der Gewalt die Türen der Gesellschaft öffnen, weil sie sich lieber nicht einmischen wollen. Frisch hatte dabei natürlich die nicht lang vergangene Nazi-Zeit im Sinn und auch die kommunistisch geprägten Diktaturen. Er wollte aber keine festgelegten Bezüge. Denn selbst in der schönsten Demokratie gibt es ihn, den gefährlichen Biedermann.
Der Regisseur respektiert diese Offenheit. Alle vier Figuren können als Dämonen einer dunklen Wirklichkeit gesehen werden. Lediglich die ungeschminkten Gesichter der Schauspieler, die gelegentlich auf die Fassade projiziert werden, haben einen menschlichen Ausdruck. Und sympathisch ist nur der einsame Chor-Feuerwehrmann, der vergeblich das Leben eingesetzt hat im Kampf gegen die Flammen: „Weh uns!“
Die nächsten Vorstellungen
„Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch in der Inszenierung von Adrian Figueroa wird im Kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses am Gründgens-Platz gespielt. Die Vorstellung dauert anderthalb Stunden ohne Pause. Derzeit kein Maskenzwang. Termine: 8. und 30. Oktober, 5., 9., 15. und 28. November, 31. Dezember. Tickets und Informationen: www.dhaus.de