Schweres Gerät: Reinhard Mucha in beiden Düsseldorfer Landesgalerien
Könnte sein, dass man bei Gang durch die Ausstellung an einem Freitagvormittag nur die Aufsicht trifft. Das wuchtige, rätselhafte Lebenswerk des Düsseldorfer Konzept-Bildhauers Reinhard Mucha (heute 72) ist nicht gerade ein Lockmittel. Aber Susanne Gaensheimer, ambitionierte Chefin der Kunstsammlung NRW, verachtet die Popularität. Sie will das Publikum intellektuell herausfordern. Es soll gefälligst verstehen, dass Mucha „international einer der wichtigsten Künstler der 80er-Jahre“ war und den „Denkraum für das, was Bildhauerei ist, grundlegend erweitert“ habe. Nur: Will da einer hingucken?
Fangen wir mal mit dem Sperrigsten an. Das sogenannte „Deutschlandgerät“, benannt nach einer hydraulischen Vorrichtung zum Wiederaufstellen entgleister Schienenfahrzeuge, wurde 1990 von Mucha für den deutschen Pavillon der Biennale in Venedig ersonnen. Raumgreifend. Vor 20 Jahren rekonstruierte er das komplizierte Gefüge im 2. Stock der modernen Landesgalerie K21 und ergänzte es um Video und einen Sound, der seither auf nervige Art vor sich hin brummt und wummert. Als Gaensheimers Vorgängerin Marion Ackermann fand, das könnte mal abgeräumt werden, schlug ihr ein Sturm der Expertenentrüstung entgegen.
Kunst und Handwerk
Für die große Show mit dem koketten Untertitel „Der Mucha. Ein Anfangsverdacht“ durfte der Künstler nun neue Flachbildschirme an die alten klobigen Monitore hängen, man sieht darauf unter anderem Videos vom Biennale-Pavillon. Um einen offenen Raum mit Travertin-Wänden, 27 Schaukästen mit braunen Querstreifen und dem Dielenboden aus dem Atelier des Künstlers gruppieren sich 38 säulenartige Vitrinen, in denen verkeilte Fußbänkchen stecken – Muchas Lieblingsteile. Was ihm die zusammengesuchten Möbel bedeuten, weiß nur er, sie erzeugen immerhin so etwas wie gekipptes Wohlbefinden.
Die Konstruktion der Vitrinen ist übrigens perfekt. Typisch Mucha. Er braucht eine feste Form für seine skurrilen Fund- und Sammelstücke sowie zahllose Papiere, Fotografien und Dokumente, die mit ihm und dem jeweiligen Zeitgeist zu tun haben. Exakte Alurahmen, scharf geschnittener Filz, minutiös lackierte Linien hinter spiegelndem Glas sind für ihn eine Selbstverständlichkeit. Er ist auch ein Handwerker, hat vor dem akademischen Kunststudium an der Düsseldorfer Akademie (bei Klaus Rinke) eine Lehre als Schmied gemacht.
Rätsel im Wartesaal
Stahlwinkelprofile, Blechregale, Greifösen, Lenkrollen, Spanndraht – das alles ist für Mucha skulpturales Material. In seinem „Wartesaal“ hat er daraus gewaltige Vitrinenobjekte gebaut, in denen Dachstützen eines abgerissenen Regionalbahnhofs querliegen. Auch Fußbänke sind in dem Raum wieder zu sehen, Filzdecken (Papa Beuys lässt grüßen), Leuchtstoffröhren, Sockel, Kabel, ein Bürotisch und ein Büffetschrank wie aus Großmutters Esszimmer, Bahnhofsschilder. Kassel zum Beispiel.
Aus „Bonn“ machte er 1983 ein Leuchtobjekt, arrangiert neben „Baden-Baden“, das im Wesentlichen aus umgekippten Waschbecken und diversen Stapeln von Stühlen besteht. Leicht beklommen schleicht man durch die schweren Installationen – und fühlt die „Schuld“ im Titel eines Reliefs mit Modelleisenbahnschienen. Auschwitz ist vermutlich gemeint. Aber der Mann hat auch einen skurrilen Humor, spottet mit einer strengen Aktenordner-Collage der „German Leitz-Kultur“ (2021) und dokumentierte 1981 die Missachtung eines Pakets Zwieback, das er als Material für eine Ausstellung „Junger Deutsche Kunst“ an den Badischen Kunstverein geschickt hatte.
Schön brav sein
Achtung! Alles kann bei Mucha Kunst werden. Auch seine alten Schulhefte, die er 1980 für die Collagen-Serie „Kopfdiktate“ mit Schwarzweiß-Fotografien aus seinem eigenen Leben kombinierte. Ein Bild des Säuglings Reinhard erscheint da an schön geschriebenen „Dingwörtern“ wie Mann, Mond, Sonntagmorgen. Der Knabe im Wald steht neben der gruseligen Nachkriegswarnung: „Wenn wir eine Bombe oder Granate finden, dürfen wir nicht damit spielen.“ Und der junge Mann Mucha, mit einem prächtigen Auto posierend, passt zur Strafarbeit: „Ich muss mich nach dem Schellen aufstellen.“
Offensichtlich war der Junge nicht so folgsam, es gibt viele Sätze wie diesen: „Ich muss leise sein.“ Es ist durchaus Absicht, dass sich die Betrachter im glänzenden Glas der Schaukästen spiegeln und gewissermaßen für eine weitere Bildschicht sorgen. Wer recht brav ist, läuft oder radelt gleich weiter zum anderen Teil der Ausstellung – im K20 am Grabbeplatz. Unterwegs, am Graf-Adolf-Platz, sieht man auf einem der Großplakate den jungen Mucha, ein blondes Kerlchen mit John-Lennon-Brille und schwerem Motorrad. Schon damals entschlossen aufzufallen.
Blick nach nebenan
Im Tempel der klassischen Moderne, große Halle links, durfte sich der immer noch sehr aktive Mucha auch noch ausbreiten. Es gibt den Nachbau einer Stockholmer Ausstellung, „Schnee von gestern“ mit Papieren und Porträts aus seiner Zeit als Hilfspfleger in der Psychiatrie sowie den sogenannten „Frankfurter Block“ mit endlosen Reihen von Fotografien, Dokumenten und Briefstapeln aus seiner künstlerischen Laufbahn. Das betrachten nur entschlossene Jünger im Detail. Unübersehbar und prägend sind die riesigen Installationen in der Mitte des hohen Saals: „Das Figur-Grund Problem in der Architektur des Barock“, in Form eines stillstehenden Riesenrads aus 14 Leitern, 28 Neonröhren und 28 Stühlen sowie eine „Todeswand“ aus 24 gekippten Bürotischen.
Wer sich nach dieser Kirmes eines Künstler-Egos geistig erholen will, geht schnurstracks über den Platz in die Kunsthalle, wo eine ältere Dame aus Wien, Martha Jungwirth (82), in jugendlicher Frische ihre gestische Malerei zeigt. Da schweben, meistens auf bräunlichem Packpapier, crazy Tiere und Figuren wie Lady Gaga oder Goyas Maja, wild skizziert in Farben mit Gefühl. Pink oder Schwarz, je nach Stimmung. Die Linie folgt bei ihr der Emotion und muss nicht erklärt werden: „Ein Fleck ist ein Fleck …, sonst nichts“, sagt sie. Doch selbst das „Corona-Gefängnis“ ist bei ihr ein leuchtend gelbes Ding, gegenüber einem Strauß von lila Tulpenklecksen. Und das sieht man doch gern.
Besuch in drei Häusern
Die Doppelausstellung „Der Mucha. Ein Anfangsverdacht“ ist bis zum 22. Januar im K20, Grabbeplatz 5, und im K21, Ständehausstr. 1, zu sehen. Di.-Fr- 10 bis 18 Uhr, Sa./So. 11 bis 18 Uhr, jeden ersten Mittwoch im Monat Kunstabend bis 22 Uhr. Eintritt für beide Teile: 12 Euro. In der Kunsthalle am Grabbeplatz 4 wird bis zum 20. November die Malerei der Wienerin Martha Jungwirth gewürdigt. Di.-So. 11 bis 18 Uhr. www.kunstsammlung.de www.kunsthalle-duesseldorf.de