Düsseldorf mit einem packenden Ereignis: Kunstpalast erinnert an Christo
Die ruhmreichen Werke? Verschwunden aus der Welt. So wollten es Christo (1935-2020) und seine Liebste Jeanne-Claude. Selbst der Stoff, mit dem sie Bauwerke wie den Berliner Reichstag und ganze Landschaften verhüllten, wurde recycelt. Nichts sollte bleiben als die Erinnerung, sorgfältig dokumentiert. Nur kleinere Kunst-Pakete sind bis heute verschnürt, dem Markt als Objekte überlassen. Und zahlreiche Zeichnungen und Collagen zeugen von den Visionen des Paares, das es schaffte, die Feinheiten einer Skizze in das Überdimensionale zu übertragen. Der Kunstpalast Düsseldorf folgt Christos Spuren in einer klaren, wunderbar leicht zu genießenden Ausstellung: „Grenzenlos“.
Gute Form entsteht auch aus der Reduktion. Mit dem Segen der Christo-Neffen, die den Gral des Vermächtnisses hüten, gelang es dem Kuratoren-Duo Kay Heimer und Sophie-Marie Sümmermann, aus der Fülle des Materials das Typische auszusuchen. Kurze Wandtexte erzählen die Geschichte, Fototapeten markieren ausgesuchte Aktionen. Und dazwischen: Subtilität. Neben Bildern und Objekten aus Christos langer Schaffenszeit werden auch Werke der Zeitgenossen gezeigt, die ihn beeinflussten. Meister der Oberfläche – von Yves Klein, der das Blau feierte, bis zu Fontana, der die Leinwand zerschnitt. Der Kunstpalast weist damit auch auf die eigene Sammlung hin, die derzeit durch den großen Umbau im Verborgenen bleibt.
Vision und Realität
Mit einem Wow-Effekt fängt es an: Wir sehen wandhoch den Pariser Triumphbogen, im Herbst 2021, im Jahr nach Christos Tod, mit schimmerndem Gewebe und roten Schnüren verhüllt. Ein Festgewand für ein Gebäude. Streng nach seinem Konzept. Schon als junger Mann hatte er das Projekt erträumt, im hohen Alter wollte er es endlich wahrmachen. Eine wunderschöne Zeichnung aus der Sammlung Jochheim mit zarten Maß-Notizen und eingefügten Bildern von Christos Leibfotograf Wolfgang Volz verbindet das Visionäre mit der Realität und dem Autoverkehr auf der Avenue des Champs-Élysées. Christos Zeichnungen entstanden immer vor der Aktion, sie sind gewissermaßen unabhängig vom Gelingen. Frei.
Die Freiheit war Christos großes Thema. Um sie zu suchen, war der Sohn eines vom kommunistischen Regime enteigneten Chemiefabrikanten 1957/58 aus Bulgarien über Wien nach Paris geflohen. Dort experimentierte er mit abstrakter Malerei und entdeckte die Risse und Knicke von Verpackungen als reizvolle Inspiration. Für seinen Lebensunterhalt nahm der ehemalige Student der Kunstakademie in Sofia konventionelle Aufträge an. Unter seinem echten Nachnamen Javacheff porträtierte er recht brav die Damen der Gesellschaft. Zum Glück, denn dabei lernte er die aparte Tochter einer französischen Kundin gehen: Jeanne-Claude, die – schicksalhafter Zufall – am selben Tag wie er geboren worden war.
Mauer aus Fässern
Dass sie in Kürze einen anderen heiraten würde, hielt die Amour nicht auf. Sie bekamen 1960 einen Sohn, nachdem Jeanne-Claude sich hatte scheiden lassen. Sie ließ alles hinter sich, um Christos Gefährtin zu sein, im Leben und in der Kunst. Sie war mit Leidenschaft dabei, als Christo beginnt, Dosen, Flaschen und auch unkenntliche Dinge in matte Folie einzupacken und sorgfältig zu verschnüren, um dass Zweckgebundene zur Skulptur zu machen. Zugleich arbeitete er mit rauem, gefundenem Material. Im Juni 1962, nach dem Bau der Berliner Mauer, baute er illegal einen „Eisernen Vorhang“ aus alten Ölfässern quer in die Rue Visconti. Eine Nacht lang dauerte das unzureichend fotografierte Abenteuer – Beginn einer verrückten, fantastischen Serie von wahr gemachten Unmöglichkeiten.
1963 mischten sich die beiden unter die kreative Avantgarde der deutschen Künstlerstadt Düsseldorf, wo nicht nur ein Mann namens Beuys von sich reden machte. In der jungen Galerie Schmela wickelten sie einen neuen VW-Käfer ein, den sein Besitzer, ein Freund des Werbers Charles Wilp, allerdings gleich wiederhaben wollte. Das gelb eingewickelte Vehikel, das jetzt im Kunstpalast steht, ist Christos Replik aus dem Jahr 2014.
Vom Winde zerfetzt
Was soll das, fragte nur zu oft der praktisch veranlagte Bürgersinn. Nichts, es ist vollkommen „useless“, nutzlos, so freute sich der Künstler immer wieder. Weil sie sich im kosmopolitischen Amerika mehr Verständnis für das Unbegrenzte erhofften, zogen Jeanne-Claude 1964 nach New York, wo sie am liebsten einige Wolkenkratzer eingepackt hätten. Das wurde ebenso wenig realisiert wie die Verhüllung des Kölner Doms. Dafür gab es in den 1970er-Jahren den „Valley Curtain“ in den Rocky Mountains, bevor er vom Winde zerfetzt wurde, und den „Running Fence“, einen 40 Kilometer langer Flatterzaun in der kalifornischen Wüste. 1983 legten sie pinkfarbene Säume um elf unbewohnte Inseln vor Miami und verzauberten das Lebensgefühl in der Metropole von Florida. Es war Jeanne-Claudes Idee.
Längst hatten sie den stillen Winkel der Kennerszene verlassen. Die Massenmedien machten das Paar auch in kulturfernen Kreisen bekannt. So sollte es auch sein, als sie 1985 den Pont Neuf in Paris verhüllten und 1995 endlich, nach zwei Jahrzehnten der Absicht und ungeheuer zähen Verhandlungen mit Politik und Gesetz, den Reichstag von Berlin. Die Aktion ist so etwas wie der Mittelpunkt der Schau. Ein raumhohes Foto zeigt den spektakulären Gesamteindruck, den jede*r im Kopf hat – als sei aus dem wuchtigen Parlament der schimmernde Palast der Schneekönigin geworden. Darum geht es: Verwandlung. Neuer Blick.
Unvergänglicher Gedanke
Zahllose Zeitungsartikel und ein ausführlicher Dokumentarfilm belegen Kampf und Triumph. Nach großer Polemik („Sowas tut man nicht!“) stimmte der Bundestag mit 295 zu 226 Stimmen für die Verhüllung, und die ganze Welt bestaunte Deutschlands neue demokratische Gelassenheit. Nach zwei Wochen war alles vorbei und blieb doch, als unvergänglicher Gedanke.
Als Jeanne-Claude 2009 an einem Aneurysma starb, dachten viele, Christo würde den Mut verlieren. Aber er zauberte weiter: „Jeanne-Claude ist immer bei mir.“ Auf seine „Floating Piers“ (2016), drei Kilometer lange, mit leuchtend gelbem Stoff bespannte schwimmende Stege auf dem italienischen Iseo-See, geht die Ausstellung allerdings nicht ausführlich ein. Sie endet in einem schwarzen Raum mit einer Hommage an ein kühnes Projekt, das bisher nicht verwirklicht wurde. Aus 410 000 Ölfässern wollten Jeanne-Claude und Christo schon seit 1977 eine „Mastaba“ bauen, eine altägyptische Grabmalform. In den Wüstensand von Abu Dhabi wollten sie das Werk setzen – eine Wucht, höher als die Cheops-Pyramide. Ein Modell steht in der Mitte. Und an der Wand hängt ein Foto von Jeanne-Claude im flatternden Gewand, wie sie ihrem Christo über eine Düne folgt. Unbeirrbar.
Was, wann und wo:
„Christo und Jeanne-Claude: Paris. New York. Grenzenlos“. Bis 22. Januar 2023 im Kunstpalast Düsseldorf, Ehrenhof 4-5. Geöffnet Di.-So. 11 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Eintritt: 12 Euro. Der Katalog aus dem Kettler Verlag kostet 38 Euro. www.kunstpalast.de