Einer genügt: Robert Wilsons „Dorian“ im Schauspiel Düsseldorf
Ganz gleich, was da gespielt wird – es muss was Wunderbares sein, wenn Robert Wilson inszeniert. Das Publikum verehrt den mittlerweile 80-jährigen großen Zauberer der Bühnen, seine Traumbilder, seine Kunstfiguren, seine Freiheit von sozialpädagogischen Absichten. Auch bei der Uraufführung von „Dorian“, einer verschachtelten Prosa-Reflexion über den Dichter Oscar Wilde, den Maler Francis Bacon, ihre Werke und Amouren, waren die Fans im Düsseldorfer Schauspielhaus hingerissen. Ein einzelner Mann, Christian Friedel, ist Wilsons Ensemble: Clown und Dämon, Liebender und Selbstverliebter. Und singen kann er auch.
Mit wechselnden Stimmen schafft es der weiß und puppenäugig geschminkte Friedel, dass man ihm zuhört, jedem Wort lauscht, auch wenn sich der Zusammenhang verwirrt. Anders als in Wildes Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ gibt es hier keine herrlich gruselige Story vom eitlen Schönling, der seine Makellosigkeit bewahrt, während ein Porträt an seiner Stelle altert und die Spuren zügelloser Handlungen zeigt. Auf Wunsch von Wilson kombinierte der amerikanische Essayist Darryl Pinckney im „Dorian“-Text lediglich Bruchstücke aus dem Roman mit anderen Assoziationen. Es verarbeitete unter anderem Zitate aus dem Unzuchtsprozess, der Oscar Wilde (1854-1900) zum Verhängnis wurde, sowie Briefe und Gedichte von Wildes fatalem Geliebten Alfred Douglas.
Den Schatten küssen
Außerdem, kann man im Programmheft nachlesen, geht es um den britischen Maler Francis Bacon (1909-92) und seine verkorkste Liebe zu dem depressiven Einbrecher George Dyer, der sich schließlich das Leben nahm. Aber versuchen Sie bloß nicht, eine klare Handlung zu entschlüsseln! So was braucht Robert Wilson nicht. Sätze interessieren ihn, kuriose Sätze wie: „Er küsste seinen eigenen Schatten.“ Manche Textpassagen werden zu einer Art Refrain, wie in einem Song: „Er konnte einfach nicht unterscheiden zwischen falsch und richtig. Wie ein Straßenkater. Like an alley cat.“ Stammt tatsächlich aus einem alten Song, von Peggy Lee. Es darf auch miaut werden. Wilson liebt kleine kindliche Einlagen. Aber nur, wenn sie absolut diszipliniert ablaufen.
Jede Geste ist sorgsam einstudiert in dieser Produktion. Jedes Detail hat seine ästhetische Bedeutung, auch die Art, wie ein Mantelkragen hochgestellt wird, damit er einen Schatten wirft wie das Cape des Stummfilm-Nosferatu. Christian Friedel folgt dem Formwillen des Meisters, wechselt den Tonfall und das Tempo, tanzt und schleicht und erstarrt wie eine unheimliche Puppe – „immer bereit für eine neue Emotion“. Alles nur eine Frage der Pose, und die Musik einer unsichtbaren Stadt spielt dazu mit Sirenen, Geschrei und dann und wann mit einer kleinen Showeinlage.
Mit sich selbst spazieren
Aber entscheidend sind die Bilder, wie immer sorgsam ausgeleuchtete Installationen und Kompositionen, die den Betrachter geradezu hypnotisieren. Da ist zum Beispiel ein verrücktes Atelier voller schwarz-weißer expressiver Malerei und zerknüllten Versuchen, die von einem rastlosen Künstlergeist zeugen. Der Dorian (oder wer auch immer) im schwarzen Gewand wird einem unkenntlichen Bildnis eine blutrote Wunde reißen. Dann steht er auf und spaziert mit sich selbst („I rise up and I walk with myself“). In einem beleuchteten Spiegel wird er sich vervielfältigen. Vor einer flimmernden Schneelandschaft, in der einsam eine schwarze Hütte steht, wird sich seine Silhouette abheben.
Seine Finger, schwarz, weiß, glitzernd in Handschuhen, führen ein Eigenleben. Der Mann wird sich selbst fremd. Sein Schatten, ein stummer Nebendarsteller, fällt tot um. Er wandert allein über leuchtende Streifen in der Finsternis, bis er irgendwann über einem dunklen Loch schwebt wie ein in der Luft eingefrorener Vogel: „Meine Flügel sind unberührt.“ Und weil im Theater die Toten am Ende sowieso wieder aufstehen, kommt Dorian (oder wer auch immer) noch einmal wieder durch einen roten Vorhang und steppt fast wie Fred Astaire im weißen Frack mit Glitzerrevers und singt – wie ein Straßenkater, „Like an Alley Cat“. Standing ovations!
Schnell ausverkauft
Die nächste Vorstellung von Robert Wilsons „Dorian“ mit Christian Friedel am Samstag, 11. Juni, im Großen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses ist ausverkauft. Für das nächste Wochenende (18. und 19. Juni) gibt es noch Restkarten. www.dhaus.de