Gemischte Kunst: „Die Große“ am Ehrenhof Düsseldorf
Die „GROSSE“ ist die Wundertüte unter den Düsseldorfer Ausstellungen: bunt, überraschend, nie ganz überzeugend. Aber irgendetwas mag man bestimmt.120 Jahre nach der ersten Schau, die ein eigens gegründeter Verein mit dem sperrigen Titel „zur Veranstaltungen von Kunstausstellungen“ im damals neuen Kunstpalast organisierte, gibt es das beliebte Sammelsurium immer noch. Und gäbe es die Große nicht, so Museumsdirektor Felix Krämer, „müsste man sie erfinden“. Unbeeinflusst vom kuratorischen Gedanken präsentieren 185 Künstler*innen am Ehrenhof in direkter Frische über 300 Werke.
Die siebenköpfige Jury unter Leitung des Vorsitzenden Michael Kortländer (69) hatte viel zu sichten und zu entscheiden. Denn es waren 900 Bewerbungen eingegangen. Die Pandemie hat die Kreativität keineswegs erstickt. Im Gegenteil: In der Ruhe der Ateliers und auf einsamen Gängen scheint besonders viel entstanden zu sein – introvertierter vielleicht als in früheren Jahren. Nicht nur im beliebten kleinen Format, das dem Publikum für ein paar hundert Euro angeboten wird, gibt es stille Motive wie Pflanzen, Tiere, isolierte Figuren. Lilla von Puttkamer, in Düsseldorf geborene Wahl-Berlinerin, hat die Dinge des Pandemie-Lebens in Keramiken verwandelt und eine melancholisch-poetische Bodeninstallation daraus gelegt: Masken und Einweghandschuhe, Pumps und Pinsel, Zollstock und Socken, Brille, Ascher, tote Maus. Alles modelliert und hübsch glasiert. „Hannahs Höhlengleichnis“ nennt sie die Sache, mit Anspielung auf die Philosophin Hannah Arendt und Urdenker Platon.
Teppich aus Scherben
Beate Höing hat eine Menge Geschirr zerschlagen. Und im Pandemie-Jahr 2020 daraus Kunst gemacht. In liebevoller Kleinarbeit schuf sie aus groben Scherben von Tassen und Tellern ein beeindruckendes Bodenobjekt mit ornamentalem Teppichmuster. Viele Werke feiern auf ihre Art die Schönheit. Das fängt an mit den erstaunlich heiteren Porträts, die der heute 90-jährige Fotograf Walter Vogel 1968 von Pina Bausch als junger Tänzerin aufgenommen hat und geht weiter über die strengen Blumenstücke von Barbara Christin, den Schatten des Rehs im goldgelben Wald von Ralf Thiesen, die weißen Blüten der Wandarbeit „Tulip No.4“, die Hiroyuki Masuyama aus Transparentpapier geschnitten hat, Daniel Schuberts schwebende Abstraktion aus der Serie „Shimmer“.
Auch die Kunstpreisträgerin des Vereins, Norika Nienstedt, fast 70, aber von mädchenhafter Grazie, schafft das Schöne – das immer auch ein bisschen verstörend ist. In der Nachfolge der alten Surrealisten sammelt sie Magazine, Drucke, eigene Skizzen, um daraus herrlich rätselhafte Collagen zu komponieren, voller Ironie und Eleganz. Von ihr stammen die becircenden Plakatmotive, die bestimmt nicht übersehen werden. Auf dem einen blickt ein langhalsiges Geschöpf mit riesigen blauen Augen durch eine Maske aus Bodhibaum-Blättern. Auf dem anderen verschwindet das Gesicht einer Frau hinter einer abstrakten Farbkomposition („Make Tutorial“). Nienstedt, die in einem Atelier in Flingern lebt und arbeitet, wurde bei der Aktion „Kunstpunkte“ von Michael Kortländer entdeckt. Sie hält sich eher für eine Außenseiterin des Kunstbetriebs und freut sich umso mehr über die Auszeichnung.
Eine Schau, zwei Häuser
Auch die junge Generation darf sich bei der Großen profilieren. Diesmal ist die Akademie-Klasse der Bühnenbildnerin Lena Newton dabei und präsentiert sich als Gruppe in einem dunkelgrauen Raum mit Videos, Stoffbildern und Objekten, die zur Eröffnung fertig arrangiert sein werden. Der Titel steht schon an der Wand: „Wenn ich nicht zurück will, muss ich da jetzt durch“. Klingt so anstrengend wie das Leben selbst in diesen schwierigen Zeiten. Das langsame Betrachten von Kunst kann da nur zur Entspannung beitragen. Ein kleiner Spaziergang durch den Ehrenhof gehört übrigens dazu. Wie schon im letzten Jahr breitet sich die „GROSSE“ bis ins NRW-Forum aus – unübersehbar.
Denn draußen auf dem Parkweg zur Tonhalle hat Clemens Botho Goldbach aus Kanthölzern und Schalbrettern ein hohes Tor mit Säulen und Bögen gebaut, das einem seltsam bekannt vorkommt. Es ist das ausgedachte Architekturmotiv auf dem 100-Euro-Schein, in die Welt gesetzt. Innen im zweiten Ausstellungshaus geht es unspektakulärer zu. Im linken Saal des NRW-Forums gibt es abstrakte Malerei: markante Farbkompositionen von Dejan Sarić setzen sich optisch durch gegen die zarten Wachsschichten auf den Bildern von Sybille Pattscheck, die 2018 den Kunstpreis bekam.
Der Raum wird Skulptur
Der junge Bildhauer Emil Walde, vor 31 Jahren als Sohn eines Schmieds in München geboren, und Absolvent der Düsseldorfer Kunstakademie, hat den mit 5000 Euro dotierten Förderpreis der Großen bekommen und zeigt, was er kann: Räume skulptural verändern. Er hat das hintere Kabinett im rechten Saal mit einer Tür aus Eisenblech und Gitterfenstern verschlossen – aber man darf gerne eintreten. Drinnen schluckt ein dicker heller Teppich den Schall, es ist seltsam gemütlich. Das Licht, das durch die Gitter fällt, zeichnet Muster auf den Boden.
Walde liebt solche subtilen Effekte. Schräg in die Mitte des ansonsten leeren Raums hängte er eine verspiegelte Jalousie, die eine Wolke aus Licht und Schatten in die Ecke zaubert. Auf die Vorderseite der Jalousie projiziert er ein Video. Man sieht Eigenheime, Gärten und unterirdische Anlagen. Tatsächlich hat der Künstler das Material bei Firmen gefunden, die Bunker für besorgte Privatleute bauen. Als er vor einem Jahr das Konzept machte, fand er das noch völlig verrückt. Jetzt, mit dem Krieg im Hintergrund, bekommt das Geschäft mit der Angst eine andere Dimension. Und ja: Kunst darf und soll auch mal beunruhigend sein.
Was, wann und wo?
„DIE GROSSE“ – Kunstausstellung NRW – wird am Samstag, 11. Juni, um 16 Uhr eröffnet und ist bis zum 17. Juli im Kunstpalast Düsseldorf und im NRW-Forum sowie auf Rasenflächen am Ehrenhof zu sehen. Geöffnet 11 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr. Eintritt: 10 Euro, Kinder bis 12 Jahre frei. Der Katalog kostet 10 Euro. Führungen und Sonderprogramm unter www.diegrosse.de