Mal anders: Dieter Nuhr als malender Fotograf im Hetjens Museum Düsseldorf
Der Kabarettist ist auch ein ganz Anderer. Dieter Nuhr (61), der mit seinen scharfsinnigen Monologen große Hallen und Sendereihen füllt, hat, wie er sagt, „viele Identitäten“. Seine Fans lieben ihn für die Erlösung von dem Bösen durch Humor, doch er will nicht nur der Mann sein, „der im Fernsehen Witze erzählt“. Er sieht sich als Reisender, der Bilder und Begegnungen sammelt, und er sieht sich vor allem als Maler und Fotograf. Unter dem Titel „Reisezeit – Zeitreisen“ präsentiert Nuhr im Düsseldorfer Hetjens Museum 30 neue Bilder, die von der Weltensehnsucht handeln.
Nun kennt man einige Darsteller, die gerne mal was malen. Bei Nuhr gibt es dafür eine solide Basis. Der in Wesel geborene und in Düsseldorf aufgewachsene Beamtensohn studierte Kunst und Geschichte an der Essener Gesamthochschule – auf Lehramt. Seinem Vater zuliebe machte er ein ordentliches Staatsexamen, wollte aber immer nur als Maler leben: „Ich habe Terpentin geatmet.“ Das mit der „Bühne“, wie er es nennt, war eigentlich nur so ein „Hobbyprojekt“. Sein Talent fürs Kabarett, das er zunächst mit dem Düsseldorfer Kollegen Frank Küster und seit den 1990er-Jahren solo betrieb, führte ihn jedoch an die Spitze der Branche.
Von Patagonien bis Nordkorea
Das Showgeschäft läuft bestens. Und es erlaubt ihm, seiner Leidenschaft zu folgen: der Reiselust. Bis Corona uns alle stoppte, war er fünf bis sechs Mal Jahr mit der Kamera unterwegs, „von Patagonien bis Nordkorea“, um sich ganz losgelöst inspirieren zu lassen. Seit gut zehn Jahren zeigt Nuhr seine künstlerischen Fotografien in Galerien zwischen seinem Wohnort Ratingen und Spanien oder China, wobei er sich besonders freut, in Ländern geschätzt zu werden, die ihn überhaupt nicht als Bühnenstar kennen.
Die Pandemie hat die Bedingungen geändert. Statt etwas Neues zu fotografieren, arbeitete Nuhr mit Archivmaterial und entdeckte die unendlichen Möglichkeiten der digitalen Bearbeitung. Das Tablet wurde seine Leinwand, erlaubte die Schichtung von Bildern, das Experimentieren mit Zeichnung und Farbe. Seinen „digitalen Pinsel“, so Nuhr, habe er selbst programmiert. Es gab ja Muße genug für den Künstler, der nicht reisen durfte und sich auf das bereits Erlebte besann, vom Trip nach Norwegen 1976 bis zur großen Asientour 2019. „Auch eine Zeitreise“, sagt er, sei das gewesen.
Die Idee der Zeitreise
Und zur Idee der Zeitreise passen für ihn die Exponate des Hetjens Museums. Zerbrechliche Schätze, deren Wert er erst unter Führung der temperamentvollen Direktorin Daniela Antonin erkannte. In den Gefäßen und Objekten aus Keramik und Porzellan sah er „10 000 Jahre menschlicher Geschichte“, Kreativität und Erfindungsreichtum. Viele Stücke stammen aus fernen Regionen, die Nuhr bereist hat. Er hat einige davon fotografiert, die Ergebnisse bearbeitet, als seien es geheimnisvolle Landschaften oder Skulpturen. Entsprechend gut passen die Dinge zusammen.
Zu entdecken ist Nuhrs „Reisezeit“ nun im Erdgeschoss des Museums. Sehr fern von prallen Katalogansichten. Rot ist der Himmel über den Bergen von Urubamba (Peru), auch auf den golden schimmernden Fluss hat der Künstler ein paar Tropfen Rot getupft, fast wie Blut. Die schillernde, aufstrebende Stadt Shanghai liegt da an den Ufern des Huangpu unter einer rotgelben ungleichmäßigen Schraffur, die wirkt wie Zersetzungsspuren auf einem alten Negativ. Das vordere Ufer ist schwarz, eine große dunkle Dschunke treibt vorbei. Alles ist angehalten, zum Schweigen gebracht vom Künstler. Ein ruhiges Abenteuer des Schauens.
Landschaften und Linien
Was genau man sieht, spielt keine Rolle. Aber raten darf man mal. Über eine zweieinhalb Meter breite Aufnahme des Flusses Li Jiang, die vor einigen Jahren entstanden ist, hat Nuhr das Foto einer brüchigen Betonwand gelegt. Woanders meint man, Gewebe oder Tapete zu erkennen. Manchmal sind es auch freie Linien, die Nuhr digital eingezeichnet hat.
Die Kombination der Motive hat keine völkerkundlichen, sondern ästhetische Gründe. Zu einem kugeligen Becher mit Männerkopf aus dem alten Peru, den Nuhr wie ein Denkmal fotografiert und unter eine fleckig-transparente Farbschicht gesetzt hat, passen die Wasserfälle des Agua Azul in Mexiko, deren blaue Farbe sich in Grau, Gelb und einen Hauch von Rostrot verwandelt hat. Eine einfache Schale aus dem Iran erscheint wie ein Weihegefäß auf einem zwei mal zwei Meter großen Bild, das ganz in der Nähe einer drei Meter langen Nordsee-Landschaft hängt. Die Wolken von „Sylt“ hängen gelblich über dem Wasser, die Dünen sind fast verschwunden unter Schlieren. Überall droht der Zerfall, und der Schmerz darüber ist sichtbar in der Schönheit, die Dieter Nuhr zelebriert. Ganz im Ernst.
Ein bisschen Geduld noch
Die Ausstellung „Reisezeit – Zeitreisen“ mit 30 neuen Bildern von Dieter Nuhr wird erst nächste Woche, am Dienstag, 15. März, für das Publikum geöffnet. Zu sehen ist sie dann bis 31. Juli im Hetjens, dem Düsseldorfer Keramikmuseum in der Altstadt, Schulstr. 4. Geöffnet Di. So. 11 bis 17 Uhr, Mi. bis 21 Uhr. Eintritt: werktags 5 Euro, sonntags frei. Führungen und Rahmenprogramm: www.duesseldorf.de/hetjens