Düsseldorf: 5000 Menschen stehen im Hofgarten zur Ukraine
Tag neun des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine: Rund um Kiew fliegen die Raketen auf Schulen und Wohnhäuser. Es gibt Tote und Verletzte. Am Hauptbahnhof Düsseldorf kommen erschöpfte Frauen und Kinder aus der Ukraine an – nach mehrtägiger Flucht vor Russlands Kriegstruppen. Im Hofgarten demonstrieren bis zu 5000 Menschen – so die Polizeischätzung -, gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Die Hälfte von ihnen zieht anschließend durch die Innenstadt von Düsseldorf.
Ventil für Emotionen
Wut, Angst, Trauer und Tränen brauchen so ein Ventil wie die Bühne auf der Wiese beim Ehrenhof. Hierhin tragen sie das hundert Meter lange ukrainische Banner, das mehrere Dutzend Träger halten müssen. Die Plakate. Die Fahnen. Hier sind die Geschichten zu hören, von der zehnjährigen Nichte, die es erst am Morgen herausgeschafft hat aus der Ukraine. Hier am Mikrofon fließen Tränen und eine Frau bricht zusammen, als sie versucht, das Unheil in Worte zu fassen. Ein herzförmiger Aufkleber in den Nationalfarben der Ukraine Blau und Gelb ist begehrt: „Entschuldigung, wo gibt es den?“
Städtepartnerschaft in Anbahnung
Oberbürgermeister Stephan Keller ist der erste in einer langen Liste von Rednern. Er nennt den Angriff auf die Ukraine barbarisch. Dem Stadtrat hat Keller vorgeschlagen, eine Städtepartnerschaft mit der westukrainischen Stadt Czernowitz einzugehen – während die von Amtsvorvorgänger Joachim Erwin etablierte Moskau-Connection erst einmal auf Eis gelegt wurde. Keller dankt ausdrücklich dem SPD-Bundestagsabgeordneten Andreas Rimkus und Stefan Engstfeld von den Grünen „für den Impuls zu dieser Initiative.
Unterkünfte und mehr als 1300 Hilfsangebote
Mit seinem Amtskollegen in Czernowitz, Roman Kalitschuk, habe er am Samstagmorgen telefoniert. Der ehemalige Oberbürgermeister Thomas Geisel reiste 2019 mit einer Düsseldorfer Delegation nach Czernowitz. Düsseldorfs jüdische Gemeinde, die Mahn- und Gedenkstätte, das Heine-Institut und das Albert-Einstein Gymnasium unterhalten bereits Kontakte in die Westukraine. Zudem – sagt Keller – schaffe Düsseldorf zurzeit Unterkünfte für ukrainische Geflüchtete – „die ersten sind bereits angekommen“. Und eine Datenbank liste mehr als 1300 Hilfsangebote aus Düsseldorf.
Scharfe Kritik an pazifistischen Hinweis
Nordrhein-Westfalens stellvertretender Ministerpräsident Joachim Stamp, FDP, ist der nächste auf der Rednerliste. Gleich zu Beginn kanzelt Stamp den Träger eines Plakats aus der Friedensbewegung ab – „Keine Waffenlieferungen in Krisengebiete“ steht da drauf – und das bringt Stamp in Rage. Man müsse endlich verstehen, dass für Freiheit und Demokratie notfalls gekämpft werden müsse, sagt Stamp, der mehrfach von „meinen ukrainischen Geschwistern spricht“.
Appell zur Errichtung einer Flugverbotszone durch die Nato
Nach ihm spricht Linda Mai vom gemeinnützigen Verein „Blau-Gelbes Kreuz“ aus Köln. 2014 wurde die deutsch-ukrainische, als gemeinnützig anerkannte Organisation gegründet. Sie hat unter anderem Ferien für Kinder aus der Ost-Ukraine organisiert – denn dort tobt der Krieg bereits seit acht Jahren. Linda Mai ist bei ihrem Statement den Tränen nah. Mehrfach bittet sie die Politiker und die Nato darum, über der Ukraine eine Flugverbotszone einzurichten. Mai falte ihre Hände über dem Kopf, um deutlich zu machen, dass es einen Schutzschild gegen russische Raketen und Bomber braucht. Dass die Nato diese Verbotszone nicht will, weil sie sie dann durchsetzen und unmittelbar in die Kriegshandlungen eingreifen müsste, lässt Mai nicht gelten: „Wir haben vier große Kernkraftwerke, wenn die explodieren, wirkt sich das bis hierhin nach Düsseldorf und Köln aus.“
Appell zu gutem Miteinander
Die Düsseldorfer FDP-Chefin und Bundestagabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann erinnert auch noch mal daran, dass in der Ukraine bereits seit acht Jahren gekämpft wird – 14.000 Tote stießen bislang in Deutschland eher auf Desinteresse. Nun aber ist der Zorn auf Russland und alles Russische erwacht. „Wenn Kinder mit russischen Namen auf den Schulhöfen Probleme bekommen – und Menschen mit russischen Wurzeln angegangen werden, dann ist das der falsche Weg.“ Nicht das russische Volk führe diesen Krieg, sondern Putin. Strack-Zimmermann äußerte die Hoffnung, dass die Kriegsgegner in Russland weiter demonstrieren.
Bitte keine Altkleider in Polen abkippen
Und so folgen Redner auf Redner. Der SPD-Landtagsabgeordnete Josef Neumann bittet die Deutschen, mit Herz und Verstand zu helfen. Einfach Berge von Säcken voller alter Kleider in Polen abzukippen – das sei der falsche Weg. „Dort brauchen sie Medizinische Hilfe, Zelte, Feldbetten und Stromaggregate“, hat Neumann als Erkenntnis von seiner Reise an die polnisch-ukrainische Grenze mitgebracht.
„Lügner“ gebrandmarkt
Die Grüne Landesvorsitzende Mona Neubaur dankt den Zuhörern für deren Geduld mit den Politikern. Die grüne Bundestagsabgeordnete Sara Nani appelliert, Widersprüche im Gespräch miteinander zu lösen: „Es ist verdammt schwierig.“ Die SPD-Bundestagabgeordnete Zanda Martens schimpft, Putin habe auf Demokratie und Freiheit gepfiffen, er habe gelogen und alle im Westen getäuscht. Der grüne Landtagsabgeordnete Stefan Engstfeld listet Zitate und Urheber aus Russland auf – und brandmarkt sie jeweils als „Lügner“.
Hymne und Erlebnisse
Gemischt werden die Reden mit der urkrainischen Nationalhymne, einem Lied, emotionalen Appellen und Schilderungen. Auch ein Russe kommt zu Wort, der zum Sturz Putins aufruft. Eine Mutter schildert ihre Flucht mit ihrem fünfjährigen Sohn, der nicht auf der Bühne stehen bleiben mag. 90 Minute lang dauert die Kundgebung. Danach beginnt der Demozug.
Stilles Düsseldorf
Durch ein stilles Düsseldorf. Denn wegen mehrerer Demo-Züge sind viele Straßen komplett gesperrt. Busse und Bahnen fahren oftmals nicht. Es könnte ein schöner Samstag sein, der den Frühling erahnen lässt. Doch mit dem Krieg vor den Augen und in den Herzen kommt so etwas wie Leichtigkeit erst gar nicht auf.