Wasserfrau: Heine-Institut Düsseldorf entdeckt Ilna Ewers-Wunderwald
Ein braves Fräulein war Karoline Elisabeth Wunderwald nicht: Die Tochter eines Düsseldorfer Handwerkers träumte vom Leben à la Bohème. Sie wollte mitspielen, Künstlerisches schaffen wie ihr Bruder, der an der Akademie studieren durfte, was den Frauen im Kaiserreich verboten war. 1895 ging die 20-Jährige auf eins der wilden Feste des Vereins Malkasten und lernte den jungen Schriftsteller Hanns Heinz Ewers kennen. Sie wurden ein Paar, heirateten 1901. Ilna Ewers-Wunderwald nannte sie sich fortan. Und weil sich Ewers’ Nachlass heute im Heine-Institut befindet, kann man sich dort auf die Spuren der „Rebellin des Jugendstils“ begeben.
Eingerichtet wurde die kleine, aber faszinierende Schau von Sven Krömsel und Hauskurator Martin Willems. Krömsel, ein erfahrener Literaturwissenschaftler, ist Experte für den Ästhetizismus um 1900 im Allgemeinen und das Werk von Hanns Heinz Ewers im Besonderen. Während Ewers’ Bestseller „Alraune“, eine leicht verruchte Fantasy-Erzählung, bis heute gedruckt wird, geriet seine hochtalentierte Frau – wie so viele Künstlerinnen der klassischen Moderne – in Vergessenheit. Bis Krömsel sie wiederentdeckte.
Die Dame war nicht prüde
Der erste Blick fällt auf zwei große Fotoplakate mit Porträts einer brünetten Schönheit der Belle Époque, nachdenklich auf dem einem Bild, keck grinsend auf dem zweiten, wo sie sich an einem Strand die Strümpfe wieder anzieht, mit großem Hut und hochgerutschten Röcken. Die Spitze ihrer Unterwäsche blitzt hervor. Es gibt im Archiv auch Fotos, die sie ganz nackt zeigen, denn Ilna und ihr Hanns waren nicht prüde. Nachdem sie als lockere Stars im Berliner Kabarett „Überbrettl“ aufgetreten waren und Schlager wie „Ringelringelrosenkranz“ gesungen hatten (Tondokumente in der Schau), zogen sie 1902 für zwei Jahre nach Capri, dem damaligen Zentrum der Reformbewegung, die auch dem Nudismus frönte.
Wenn sie nicht gerade nackt in der Sonne lag oder mit dem Gatten tollkühn die Felsen emporkletterte, zeichnete und malte Ilna. Und sie entwarf lockere Gewänder, sogenannte Reformkleider, ohne Korsett und Mieder. „Ich habe mich geschüttelt, habe mir selbst bewiesen, dass in mir ein heißes Leben pulsiert“, so wird sie zitiert. Damals, auf Capri, entdeckte sie ihre Lieblingsmotive – Unterwasser-Welten: Fische, Muscheln, einen fantastischen Wassermann. Immer wieder tauchte sie ein in das Meer der Gedanken: „Es kommt dann eine Unruhe und Sehnsucht über mich, der ich selbst körperlich unterliege.“
Ein fliegender Fisch
Die schnellen Gesten der Avantgarde bleiben ihr allerdings fremd. Mit feinster Feder und dünnsten Pinseln arbeitet sie: „Ein Dutzend abstrakte Bilder könnte ich mit einem dicken Pinsel machen, ehe ich eines in meiner Linienführung fertig bringe“, stellt sie fest. Das Ergebnis ist nicht so plakativ, wie man es vom Jugendstil erwartet, sondern fein und exquisit wie japanische Tuschzeichnungen, beeinflusst aber auch vom Symbolismus mit seinen Geheimnissen. Eine Seeschlange starrt da mit leuchtenden Augen, stille Kämpfe werden ausgefochten zwischen zarten Krebsen und einem Kraken, der einen Fisch im Würgegriff hat. Die Schönheit der Geschöpfe hat etwas Fantastisches, ob es nun eine schaumige „Blaue Qualle“ ist oder ein „Fliegender Fisch“, dessen fedrige Formen den Berliner Bildhauer Kunstschmied Gösta Gablick zu einer filigranen Skulptur aus Stahl, Glas und Blattgold inspirierte.
Das Objekt hängt in der Mitte des Raums, schwebt über dem Boden, losgelöst wie die Sehnsüchte von Ilna Ewers-Wunderwald. Mit ihrem Mann unternimmt sie weite Reisen bis in die Karibik, nach Südamerika, Australien, Japan, China und Singapur. Eine Reihe von Zeichnungen erinnert an eine Indien-Reise 1910, an berauschende Erlebnisse. Das Paar hat nicht viel Geld, weiß sich aber zu helfen. Mit Ilnas fantasievollen Entwürfen für Speisekarten und positiven Kritiken erkaufen sie sich Schiffsreisen. Die Herrschaften an Bord sind begeistert von den Zeichnungen auf dem Menü.
Arbeit als Arznei für alles
Ilnas elegante Illustrationen machen auch die Bücher ihres Mannes zu Kunstobjekten. Sie passen gut zusammen. Aber Ewers ist nicht treu, sie leben oft getrennt. In einem Brief 1908 beklagt sie sich, dass er sie wie ein Wesen ohne Empfindung behandele: „Und ich empfand immer eine gewisse Empörung, wenn ich allzu deutlich auf deine persönlichen Affären stieß.“ Beruflicher Erfolg, Ausstellungen in Berlin und München sowie eine neue Liebe machen ihr Mut, einen Schlusstrich zu ziehen. Sie verlässt Ewers, zieht zu dem Komponisten Gustav Krumbiegel nach Leipzig und lässt sich 1912 scheiden.
Dem neuen Glück bleibt nicht viel Zeit. Krumbiegel fällt 1914 im Ersten Weltkrieg. Ilna Ewers-Wunderwald geht zurück in ihre Heimatstadt Düsseldorf, 1922/23 nimmt sie an Ausstellungen im Kunstpalast teil. „Die Arbeit ist meine einzige Arznei für alles“, schreibt sie. Aber ihre Euphorie ist vorbei. Sie zieht sich weitgehend ins Privatleben zurück, geht auf nostalgische Wanderungen. Als die Nazis an die Macht kommen, flieht sie vor den neuen Verhältnissen bis an den Bodensee, wo auch Kollegen wie Otto Dix und Julius Bissier ihre Ruhe suchen. Dort lebt sie mit ihrer Freundin, der Bildhauerin Ellie Unkelbach, in Allensbach, am äußersten Rand des sogenannten Reichs und arbeitet in der Stille weiter. Tier- und Pflanzenbilder von großer Zartheit und Genauigkeit trotzen den menschlichen Katastrophen. 1957 stirbt Ilna Ewers-Wunderwald.
Was, wann und wo?
„Ilna Ewers-Wunderwald. Rebellin des Jugendstils“: bis 22. Mai im Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf, Bilker Str. 12-14. Di.-Fr. und So. 11 bis 17 Uhr, Sa. 13 bis 17 Uhr. Eintritt: 4 Euro. Führungen und Vorträge. Tel. 0211 / 89-95571. www.duesseldorf.de/heineinstitut