Die Tücke der Objekte: „Subversives Design“ im NRW-Forum Düsseldorf
In den letzten Tagen musste Alain Bieber öfter mal an seine Mutter denken. Die hätte schon in seiner Kindheit festgestellt, er wäre irgendwie sonderbar. Seinen Humor könnte „keiner verstehen“. Zum Glück lebt die kreative Szene vom Sonderbaren, und der künstlerische Leiter des NRW-Forums braucht unbedingt einen Sinn für schrägen Witz. Denn das Institut mit dem altbackenen Namen ist ein Spielplatz für neue Ideen und Werke, überraschend und gern ein bisschen crazy. Nach Erlebnissen in einem digital belebten „Paradies“ gibt’s nun „Subversives Design“. Zur geistigen Erholung sind zugleich die grundseriösen Fotoserien von Matthias Schaller zu sehen.
Gemeinhin geht es im Design um eine Harmonie von Form und Zweck. Ein Ding soll funktionieren und dabei gut aussehen. Bieber interessiert sich mehr für die aufmüpfige Gestaltung, die den praktischen Sinn verachtet. „Kritisches Design“ nennt er, was 19 junge Einzelkämpfer und Gruppen da produziert haben, und wie eine Kunstinstallation wirkt schon die Einrichtung der Schau, eine Art Warenlager mit schlichten Regalen, Pappkartons und blauen Kisten. Man muss schon genauer hinsehen, um den Reiz der Objekte zu erkennen.
Spiel mit dem Absurden
Da wäre zum Beispiel das „Uncomfortable Tea Set“ der Griechin Katerina Kamprani: Kanne und Tasse in einer flachen, langgezogenen Form. Beim Benutzen würde das Geschirr ein großes Schlabbern verursachen, genau wie Katerinas doppeltes Sektglas oder das „dicke Besteck“. Schon schmunzelt man, und das geht so weiter angesichts einer teuren Ledertasche des Luxuslabels Balenciaga, die nach dem Willen des Designers Demna Gvasalia aussieht wie der millionenfach benutzte und bekannte Ikea-Einkaufssack – im leuchtend blauen Knautschlook.
So etwas liebt Alain Bieber: Frechheit, Absurdität, Schelmerei mit kritischem Ansatz. In einem „Pausenraum“ von Max Siedentopf hängt ein Schwert am Messerblock, Bierflaschen verdrehen die Hälse, aus einem alten Handy wurde der Hammer. Der falsche Energy Drink „No Bull“, der von der Gruppe um den Belgier Pieterjan Ginckels in einem Karren aus Autoreifen herumgefahren wird, hat nur als Konzept eine belebende Wirkung. Und der Krabbelanzug mit Handpolstern, den die aus Litauen stammende Künstlerin und Modemacherin Liora Epstein gelegentlich auf allen Vieren selbst vorführt, eignet sich allenfalls für häusliche Performances.
Provokation garantiert
Der amerikanische Kollege Henri Alexander Levy hingegen macht in Los Angeles und Paris tatsächlich gute Geschäfte mit einer punkigen Modekollektion namens „Enfants Riches Déprimés“ (reiche deprimierte Kinder), die besonders bei Rockstars beliebt sein soll. T-Shirts mit Rissen und Brandflecken, ein Pulli mit dem Schriftzug der Amoklauf-Highschool Colombine, eine schwarze Jacke mit gemaltem Putin-Kopf – Provokation garantiert. In der Reha hat Levy angefangen, kreativ zu sein. Und er ist es geblieben, um sich, wie er sagt, auch absolut nüchtern, in „complete sobriety“, zu amüsieren.
Gezielter Schrecken gehört auch zum Konzept des Niederländers Koert van Mensvoort (Next Nature Network), der mit ausgedachten fiesen Produkte für Aufregung im Netz sorgt. So bot er als fiktives Unternehmen „Rayfish Footwear“ stylishe Turnschuhe aus genetisch verändertem Rochenleder an. Weniger verquer sind die subversiven Ideen von Anna van Eck, die einen wippenden Tisch entwarf. Nur ein friedliches Paar, das mit den Beinen die Balance hält, kann daran essen. „Besinnung und die Illusion von Stabilität“ erzeugen auch ihre Kerzenobjekte, die spitze Enden haben wie Kreisel. Man kann sie nur abbrennen, wenn man sie in der Hand hält.
Porträts der Abwesenden
Wer ganz verwirrt ist vom Design, das die Erwartungen unterwandert, der wird sich über die Klarheit im gegenüberliegenden Saal freuen. Der renommierte Fotograf Matthias Schaller (56), studierter Anthropologe, zeigt Bilderserien, die ganz ruhig vom Menschen erzählen. In seiner Abwesenheit. Subversiv ist allenfalls der Titel: „Porträt“. Denn da ist niemand zu sehen. Die drei Raumanzüge in einer Fotoinstallation am Eingang sind leere Hüllen, statt Astronauten-Gesichter sieht man die Spiegelung des Mondes auf den Visieren. Sinnbild für die ewige Sehnsucht.
Auch die Kurien-Kardinäle aus der Serie „Purple Desk“ sind woanders. Schaller hat nur ihre Arbeitszimmer fotografiert. Und wenn die Dekoration auch variiert zwischen Protz und Strenge, so wirken doch alle Schreibtische der Kirchenherren wie Riegel der Macht. Menschenleere Räume können viel aussagen. Geradezu gespenstisch wirken die Kinderzimmer neapolitanischer Familien, die für den Fotografen akribisch aufgeräumt wurden.
Was die Dinge erzählen
Das war nicht der Fall bei den berühmten Fotografen-Kollegen Bernd und Hilla Becher, die um 2001 noch in der Einbrunger Mühle im Düsseldorfer Norden wohnten. Sie öffneten die Tür wiederholt für Schaller und ließen die Dinge, wie sie waren – das Bett und die Bücher, zahllose Fotokartons, das benutzte Weinglas neben dem Salzstreuer auf dem Tisch. Es entsteht eine fast intime Bildergeschichte. Geduld, Sorgfalt, Beharrlichkeit sind Tugenden des Fotografen Schaller, wird in der von Linda Conze kuratierten Schau deutlich.
Für den „Lagunen-Walzer“ ließ er eine venezianische Sammlung von Punk-Schallplatten so raffiniert von einer Schreibtischlampe beleuchten, dass die mit Makroobjektiv aufgenommenen Rillen wie Wasser in der Dämmerung wirken. Für die unvollendete, großformatig installierte Serie „Das Meisterstück“ reist Schaller seit Jahren umher, um in Museen und Archiven die hinterlassenen Farbpaletten großer Künstler zu fotografieren. Auf weißem Hintergrund isoliert, verwandeln sich die eingetrockneten Arbeitsplatten selbst in typische Malerei. Man erkennt die stürmischen Gesten des Vincent van Gogh, die schwebenden Farbsterne des Joan Miró, die poetischen Kästchen von Paul Klee. So kann sich das Banale in das Besondere verwandeln.
Was, wann und wo?
Bis zum 22. Mai zeigt das NRW-Forum Düsseldorf, Ehrenhof 2, die Ausstellungen „Subversives Design“ und „Porträt – Fotografien von Matthias Schaller“. Zusätzlich ist bis 13. März in der oberen Etage des Hauses die vierte Schau der kleinen Reihe „Made in Düsseldorf“ mit Neuerwerbungen aus der Sammlung der Stadtsparkasse zu sehen. In Werken von Frauke Dannert, Irmel Kamp, Isa Melsheimer und Arne Schmitt geht es um die Verarbeitung von Architektur-Motiven. Geöffnet Di.-So. 11 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Draußen vor der Tür, im Ehrenhof und im Hofgarten, wurde die AR Biennale (Augmented Reality) mit rein digital erlebbaren Skulpturen und Performances bis zum 24. April verlängert. Die nötige App zum Aufrufen der 35 Arbeiten kann kostenlos heruntergeladen werden, der komplette Zugang kostet 4,99 Euro. www.nrw-forum.de