Weg mit den Alten! „Das Tribunal“ am Schauspielhaus Düsseldorf
Manche Premiere gleicht einer Familienfeier. Geprägt von Wohlwollen. Klar, wenn mein Kind da vorne mitspielen würde, hätte ich auch gejubelt. Zwölf Düsseldorfer Jugendliche hantieren mal nicht mit dem Handy, sondern zeigen Begeisterung, Talent und Disziplin im Amateurtheater des Düsseldorfer Schauspielhauses, der zum „Stadt:Kollektiv“ umbenannten Bürgerbühne. Zusammen mit dem sozial engagierten Regisseur Adrian Figueroa entwickelten sie im Kleinen Haus die Uraufführung eines drastischen Stücks zum Thema Klimawandel: „Das Tribunal“ der kessen Londoner Autorin Dawn King verurteilt die saumseligen Alten kurzerhand zum Tode. Mutter muss weg! Die schadet dem Öko-System.
Nun, da sollten wir nochmal drüber reden. Die Vorstellung, dass man die nervenden Eltern einfach beseitigt und unter sich bleibt, ist in den wütenden Phasen der Pubertät sicher reizvoll. Und Dawn King hat ihre Preise in der jungen Londoner Szene nicht durch Zimperlichkeit erworben. Aber hier stellt sich doch die Frage, ob es sinnvoll ist, die Spaltung der Generationen und Gewaltfantasien noch zu bestärken. Regisseur Figueroa bleibt da keineswegs im Abstrakten. Er lässt die schuldig gesprochenen Angeklagten am Ende des Verhandlungstags mal eben abknallen. Auf Knien, Kapuzen über dem Kopf. „Ohne dieses Ende ginge die Dringlichkeit der ganzen Debatte verloren“, glaubt er.
Jeder Mensch ist ein Sünder
Der Schuss könnte leider auch nach hinten losgehen und die dringliche Debatte ruinieren. Denn die selbstgerechten Kinder im Spiel sind von der Rigorosität der Vorgänge nicht besonders irritiert. Sie haben die Sache ja kurz diskutiert und eine Mehrheit für die Schuldsprüche gefunden. Das genügt in der nahen Zukunft, die Dawn heraufbeschwört. Der Klimawandel hat den Planeten schon erheblich verwüstet, es ist zu heiß, die Ressourcen werden knapp. Flugreisen sind verboten, vegane Ernährung ist vorgeschrieben. Ein unsichtbares Regime, das weder erklärt noch hinterfragt wird, setzt zweiwöchige Tribunale ein, in denen Jurys von jeweils zwölf Kids im Viertelstundentakt den Lebensstil von ganz normalen Mitmenschen aburteilen, die seit 2018 „als Volljährige mit überdurchschnittlichem Einkommen angemessene persönliche CO2-Grenzwerte überschritten haben“.
Und das, logisch, ist natürlich jede*r im bürgerlichen Publikum, auch, wenn das Einkommen tiefer liegt. Wir haben uns alle versündigt mit unseren Reisen und Autos und Grillabenden und verwöhnten Kindern, die jetzt alles besser wissen. Wir sind Energieverschwender. Im Stück wäre das allemal genug für ein Todesurteil. Die schlimmeren Sünder, wie die Jet-Setter und Politiker und Manager, wurden bereits liquidiert, auch „die Papas“ eines Jury-Mitglieds, zwei Erfolgsanwälte. Jetzt geht es allen Anderen an den Kragen: einem dreifachen Vater aus der Werbebranche, der den Konsum angeheizt hat, einem wohlmeinenden Autor, der als „Heuchler“ entlarvt wird, und schließlich einer Expertin für nachhaltige Energie in einem Öl-Konzern. „Green-Washing“ gesteht sie, hätte sie betrieben.
Es gibt kein Erbarmen
Tja, da hilft keine Reue: Kopf ab! Selbst die eigene Tochter, die 13-jährige Jury-Vorsitzende Lynn, mit eifriger Entschiedenheit gespielt von Ayla Tatu Burnaz, will es so. In der Debatte hat der verständnisvolle Mohammad (Ji-Hun Park) keine Chance gegen die gnadenlosen Girls. Skrupel kennen die Kinder dieser Dystopie nicht, nur Überzeugungen. Das ist kaum auszuhalten, wird aber nicht vertieft, sondern lustig überspielt. Das Gericht tagt nämlich in einem ehemaligen Theater. Zur Entspannung lassen die Kids die Bühne rauf- und runterfahren, tanzen im Kunstschnee. Vor einem alten Landschaftsprospekt träumen sie vom Fliegen. Es gibt ein paar Projektionen, aber kein eigenes Bühnenbild. Die Produktion, erklärt das Programmheft, sollte selbst so nachhaltig wie möglich sein.
Doch die gute Absicht heiligt nicht den verkorksten Inhalt. Aggressivität kann keine Lösung sein in dieser Gegenwart, die sich wie Science-Fiction anfühlt. Wer hätte sich vor ein paar Jahren vorstellen können, dass wir nur mit Atemschutzmaske und Kontrolle unseres Impfstatus ins Theater dürfen? Dass nur ein Glas trinken darf, wer mit Booster- oder Testbescheinigung ein gelbes Bändchen erwirbt? Dass alle draußen bleiben, die das nicht mitmachen wollen? Dass der Abstand zwischen Menschen sich vergrößert? Theater sollte da kein Tribunal veranstalten, sondern die Versöhnung suchen.
Die nächsten Termine
„Das Tribunal“ von Dawn King mit zwölf Düsseldorfer Jugendlichen aus dem „Stadt:Kollektiv“ steht am 28. Januar (20 Uhr), am 6. Februar (Sonntag, 16 Uhr) und am 25. Februar (20 Uhr, Einführung 19.15 Uhr) auf dem Programm im Kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses am Gründgens-Platz. Besuch mit 2G-Nachweis und medizinischer Maske. Karten und Informationen: www.dhaus.de