Die Wucht von Shakespeare: Macbeth im Schauspiel Düsseldorf
Was uns zermürbt, ist diese tägliche Sorge – Corona und die Regeln und die Bedenken und die ewigen TV-Debatten. Da braucht der Geist mal was Anderes: die Wucht einer Shakespeare-Tragödie! Der auf deutschsprachigen Bühnen gefeierte russische Regisseur Evgeny Titov, selbst Schauspieler, hat keine Angst vor großen Gefühlen. Er schickt den Attentäter „Macbeth“ am Düsseldorfer Schauspielhaus mit blutiger Konsequenz in sein Verhängnis. Pausenlos verdichtet sich in rund zwei Stunden das düstere Drama. Das Publikum, geimpft, maskiert, ist gebannt – und hingerissen.
Denn dieser Macbeth kommt nicht als der übliche Berserker daher. Er wird gespielt vom sensiblen Star des Ensembles, André Kaczmarczyk (35), der seiner schmalen Silhouette allerdings beachtliche Muskeln antrainiert hat. Schon zu Beginn, als siegreicher Rächer seines Königs, ist der schottische Krieger von Ängsten und Unsicherheit geplagt, aus der Fassung geraten. Verschmutzt sein schmuckes Renaissance-Wams, die nackten Beine mit Theaterblut beschmiert. Den Dolch, den Macbeth trägt, wird er nicht mehr ablegen, als sei die tödliche Klinge ein Teil seiner Hand. Ängste und Ahnungen, die ihn umtreiben, nehmen Gestalt an: Die drei Hexen kriechen hervor.
Hexen aus dem Inneren
Es sind junge Frauen, Talente des Schauspielstudios Düsseldorf, die jene seltsamen Schwestern („weird sisters“) hier verkörpern, in dunklen Trikots, glatzköpfig, auf allen Vieren, geschmeidig wie Spinnen. „Wann werden wir drei uns wiedersehen“, zischeln sie in der angenehm klaren Übersetzung von Thomas Brasch, es ist der Beginn ihres berühmten Auftritts: „When shall we three meet again?“ Und man spürt schon: Sie werden immer da sein, um den Macbeth anzustacheln und zu quälen, sie sind „Dunst im Nebel“, der über die Bühne wallt, doch sie kommen in Wahrheit von innen.
Ein Geräusch liegt in der Luft wie eine Anspannung. Nur eine kurze Finsternis trennt die Akte. Es gibt kein Entrinnen in der Szenerie, die Etienne Pluss auf der Drehbühne gebaut hat. Da gibt es eine abstrahierte Felsenlandschaft aus stählernen Keilen und einen weißen Saal mit rissigen Wänden im Schloss des Macbeth, wo die fatale Lady auf einem Stuhl thront. Sie, die ehrgeizige Gattin, ist nicht zufrieden mit der Beförderung des Mannes zum Than von Cawdor. Sie will, dass er König von Schottland wird und den amtierenden Duncan, der als Gast erwartet wird, im Schlaf erdolcht. Der Druck auf den zaudernden Macbeth ist groß. Denn diese Lady ist dem jungen Mann eher eine tollwütige Mutter als eine Geliebte.
Die Lady als böse Mutter
Manuela Alphons (75), sehr schön mit weißem Haar und schwarzen Kleidern, hat einen Auftritt, zum Fürchten stark. „Du wärst gern groß, doch fehlt Gemeinheit“, stellt sie mit rauer Stimme fest, und füllt sich, so lässt Shakespeare sie sagen, „völlig aus mit Grausamkeit, der kältesten“. Macbeth, der gehorsame Knabe, kann dieser bösen Übermutter nichts entgegensetzen. Kaum hat er sich hadernd und zögernd in einer Wanne das Blut des Anfangs abgewaschen, da wird er sich neu besudeln – indem er seinen gnädigen König (Rainer Philippi als klapprige alte Majestät) meuchelt. Das ist nicht das Ende des Mordens. Einige könnten dem neuen König Macbeth gefährlich werden. Der alte Freund und General Banquo und der Rivale Macduff nebst einer Lady und Kindern. Sie sollen alle sterben.
Denn „Blut will Blut“, fluchen die Hexen. Und es klebt zäh am Mörder. „Wasch dich!“ befiehlt die Lady, als sei er ein Kind, doch Macbeth kann nie mehr sauber werden, so sehr er sich bemüht. Kaczmarczyk zeigt seine Qual in einer Art pantomimischem Tanz. Er sieht Gespenster, die unter Titovs Regie nicht mit bleichen Gesichtern am Tisch sitzen müssen, um erschreckend präsent zu sein.
Das Leben ein Schattenspiel
Reduktion sorgt für Konzentration in der auch textlich gestrafften Inszenierung – bis zum bitteren Ende, wenn Macbeth den eigenen abgeschlagenen Kopf aus der Grube zieht. Dass er die wahnsinnig gewordene Lady geschändet und sich mit Blut aus ihrem Mutterschoße eingerieben hat (dezenter anzusehen, als es klingt), kann diesen Mann nicht von sich selbst befreien. Nur der Tod.
„Das Leben ist ein Schatten, und der wandert, ein armer Spieler nur, der seine Stunde auf einer Bühne auf- und abgeht und sich quält, und dann ist er verscholl’n“, sagt uns der leidgeprüfte Shakespeare noch zum Schluss. Das Theater war seine Lieblingsmetapher für das flüchtige Erdendasein. Und trotzdem fühlen wir uns nach der Vorstellung lebendiger als zuvor. Die unsterbliche Kraft der Sprache und der Kunst trägt uns durch die Gegenwart.
Die nächsten Vorstellungen
Falls uns nicht wieder der Lockdown trifft, werden die nächsten Vorstellungen von Shakespeares „Macbeth“ in der Inszenierung von Evgeny Titov am 30. November sowie am 5., 19. und 28. Dezember sein. Zutritt nur für Geimpfte und Genesene mit medizinischer Maske. www.dhaus.de