Wer bin ich? Der wandelbare Mensch in der Sammlung Philara Düsseldorf
Kuratorensprache ist kein Spaß. Politisch korrekt wird betont, dass es um „plurale Ansätze“ gehe, um „Identitätsverhandlungen“, um „Race, Gender, Intimität“, um „Neuformulierung von Körpererzählungen“ und um die strapazierten „Narrative“. Im Eifer der Absichtsformulierungen kann das Erklären von Kunst schon mal länger dauern als das Betrachten. Aber am Ende kommt Verstehen nur aus dem eigenen Erleben – wie in einer Schau von sechs vorwiegend jungen Künstlerinnen der Düsseldorfer Akademie, die unter dem sperrigen Titel „Attempts to be many“ (Versuche, viele zu sein) in der privaten Sammlung Philara für Inspirationen sorgen.
Wieder einmal wurde der Spiegelsaal der ehemaligen Glasfabrik an der Birkenstraße durch Kunst gänzlich verwandelt. Die 1996 in Düsseldorf geborene Theresa Weber hat die 16 Meter breite Wand raumhoch mit einem Wallpaper tapeziert, das der babylonischen Gottheit Ishtar huldigt. Ishtar, deren Skulptur in ornamentaler Wiederholung abgebildet ist, kann als Mann oder Frau in Erscheinung treten, symbolisiert mit üppiger Brust die weibliche Fruchtbarkeit und zieht mit Bart in Kampf und Krieg. Passt also ausgezeichnet in die aktuelle Debatte um nicht festgelegte Geschlechterzugehörigkeit. Die Künstlerin kombiniert Ishtar mit den Löwen Babylons und einem quergelegten, auf Instagram ulkig veränderten Selbstporträt.
Der Zeitgeist verändert sich
Ja, da staunt der alte Bildungsbürger: Zur „kulturellen Hybridisierung“ (Vermischung zuvor getrennter Systeme) gelangt die 25-jährige Künstlerin auch mit bunten Haarteilen, Brustpolstern, Perlen, Glitzerkram sowie künstlichen Fingernägeln (die sie selbst stolz trägt). All diese Dinge hat Theresa Weber in und an Kunstharzplatten zu einem „Transformation Gate“ verarbeitet und bezieht sich damit provokant auf das Ishtar-Tor im Berliner Pergamon-Museum. Dass die archäologischen Eroberungen der Kaiserzeit inzwischen fragwürdig erscheinen, schwebt genauso in der Luft wie andere Veränderungen des Zeitgeists. Lange Kunstnägel zum Beispiel mögen in Europa als ein bisschen vulgär gelten, in der Karibik seien sie, versichert die Künstlerin, ein Zeichen von Würde und Emanzipation, weil sie nur von Frauen getragen werden, die keine niederen Arbeiten verrichten müssen.
Alles relativ, Herrschaften! Es tut gut, eigene Denkweisen zu hinterfragen. Besonders, wenn die Kunst mit poetischen Ideen gegen die Erstarrung vorgeht. Hinter einem schwarzen Vorhang hat die Koreanerin Nara Bak ein „Trauercafé“ eingerichtet. An silbrig gedeckten Tischen werden dem Publikum in der Dunkelheit gelegentlich selbstgebackene Kuchen serviert, während flache Kerzen mit den Bildern asiatisch aussehender Kommilitoninnen langsam abbrennen. Nara Bak bezieht sich damit auf Diskriminierung und subtile Feindseligkeiten, denen Menschen mit asiatischen Gesichtszügen (verstärkt durch die den Chinesen angelastete Pandemie) ausgesetzt sind. „So westlich, glasig, kalt“, sagt eine sanfte Stimme im Soundtrack. Da kann man sich nur schämen.
Der androgyne Pharao
Im selben Saal ist auch Platz für eine Video-Arbeit von Jana Buch und Arisa Purkpong, die um Verständnis werben für die männermordende Medusa, die nach einer Vergewaltigung durch Meeresgott Poseidon nur aufgrund des Fluchs der eifersüchtigen Athene zum Monster mit Schlangenhaaren wurde. Sehr ungerecht, könnte man sagen. Ein schillerndes Schicksal hat auch die thailändische Sagengestalt Arabimba, die zum Mann wurde, bis ihr Prinz sie erlöste.
Die alten Mythen und Überlieferungen scheinen die jungen Frauen sehr zu faszinieren. Die Fotokünstlerin Donja Nasseri, 1990 in Düsseldorf geboren, hat sich dem ägyptischen Pharao Echnaton gewidmet, dem hübschen, androgyn wirkenden Gatten der berühmten Nofretete. Auf Bildern und in einem sonnigen Foto-Himmel an der Decke sieht man seine weiblich wirkenden Gesichtszüge und den weichen Bauch, den alte Skulpturen offenbaren. Große Nägel sind durch die Teile getrieben, sie erinnern an die groben Halterungen im alten Museum zu Kairo.
Der schwarze Garten wächst
Arisa Purkpong, geboren 1995, fotografierte auf einer Reise durch Thailand, wo sie sich besonders für die feministische Stiftung „Friends of Women“ interessierte. Ihre raumgreifende Collage aus zahlreichen ausgedruckten Aufnahmen offenbart jedoch ganz subjektive Eindrücke: Pflanzen, Schatten, Gläser – ein Wasserfall an Eindrücken. Anys Reimann in den nächsten Räumen zeigt ein kraftvolles, witziges, unübersehbares Werk. Die älteste unter den Künstlerinnen, 1965 in Düsseldorf geboren, hat eine bunte Biografie hinter sich, sie hatte beim Friseur und im Circus Roncalli gearbeitet, als sie mit über 40 ein Akademiestudium begann. Für Architektur, Bildhauerei und Malerei interessiert sie sich und vermischt alles mit Talent und Esprit.
Im weißen Raum, typisch für Kunsthallen, pflanzte Anys Reimann in saftiger Erde einen „Schwarzen Garten“ mit möglichst dunklen Pflanzen, die hier trotzig unter der Neonröhre wachsen sollen: Calla, Purpurglöckchen und Anturien. So schön ist das Fremdartige. Das zeigen auch Reimanns Mal-Collagen – präsente, kraftvolle Figuren. „Die Nacht“ mit schwarzem Kopf, klassischem Akt-Torso und den Beinen von Marlene Dietrich räkelt sich rauchend im Grau. Eine Person mit diversen Brüsten, breiter Hüfte und hohen Absätzen bleckt im verträumten Gesicht ein Gebiss mit Vampirzähnen. Man schmunzelt – und hat sofort Respekt.
Was, wann und wo?
„Attempts to be Many“: Kunst von Nara Bak, Jana Buch, Donja Nasseri, Arisa Purkpong, Anys Reimann, Theresa Weber. Eröffnung am Freitag, 29. Oktober, 16 bis 21 Uhr. Geöffnet bis 23. Januar 2022 in der Sammlung Philara, Birkenstr. 47a. Freitag 14-20 Uhr, Sa./So. 14 bis 18 Uhr. Eintrittspreis: nach Belieben. www.philara.de