„Reich des Todes“ im Schauspiel Düsseldorf: Ein gutes Publikum muss leiden können
Natürlich ist das Schauspielhaus kein Ohnsorg-Theater. Das Publikum meint es ernst mit seiner Bühne, es will auf Gedanken gebracht werden, auch Finsteres fühlen und sich zwischendurch vielleicht mal amüsieren. Im „Reich des Todes“ von Rainald Goetz muss es allerdings konsequent leiden. Der im Stakkato vorgetragene Text des 67-jährigen Büchner-Preisträgers handelt von den Details moderner Folterpraktiken und wird in der gnadenlosen Regie von Stefan Bachmann zu einer Tortur mit sieben topfitten Schauspielerinnen, die dem Monster Mensch wechselnde Gestalt verleihen.
Spätestens gegen Ende, als Melanie Kretschmann („Hallo, Düsseldorf!“) dem Spiel eine Art Publikumsbeschimpfung hinzufügt und schreiend den Primitivismus der Gesellschaft beklagt, hätten genervte Abonnenten im vorigen Jahrhundert türenschlagend den Saal verlassen. Jetzt wird ausgehalten. Weiter zugehört, still gesessen, mit Atemschutzmaske. Die Zumutungen der Pandemie haben die Belastbarkeit offensichtlich erhöht. Vielleicht auch die Schicksalsergebenheit. Nach zweieinhalb Stunden pausenloser Anspannung gibt es bei der Premiere überraschend großen Beifall.
Unvergesslich blutiger Auftritt
Auch der Autor selbst, Rainald Goetz, applaudierte äußerst heftig aus Reihe 8. Die Inszenierung scheint ihm zu gefallen. Literatur soll wehtun, das hat der promovierte Arzt und Historiker schon 1983 überdeutlich gemacht, als er sich im Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt während seiner Lesung mit einer Rasierklinge die Stirn aufschlitzte und eine unvergessliche Blutperformance daraus machte. Er bekam keinen Preis, aber Aufmerksamkeit.
Und die erzwingt der kompromisslose Intellektuelle auch mit seinem neuen Theaterstück. Es spielt in den Zentralen der Macht, in Folterkellern und in einer Unterwelt, wo sich schlimme Taten ewig wiederholen müssen. Bewacht wird das niemals schweigende Reich des Todes von schrillen Herrschaften in Rokoko-Gewändern aus der Zeit des großen Revolutions-Massakers. Die Verfluchten, die da antanzen, sind Politiker und Diplomaten in steifen Herrenanzügen, Soldaten und Generäle in Sado-Maso-Kostümierung.
Kein Rosengarten in Aussicht
Gefangen sind sie alle in einem gewaltigen Drahtgeflecht (Bühne: Olaf Altmann), dessen Linien von einer brillanten Lichtregie in verschiedene abstrakte Räume verwandelt werden. Perfekt gesetzt ist auch die Live-Musik von Sven Kaiser und seiner Band, die den qualvollen Textschwall rhythmisch vorwärtstreiben wie in einer irren Sprechoper. Gesungen wird auch einmal, von Rosa Enskat, die mit zartem Schnauzbart den einen oder anderen Präsidenten und Diktator gibt und plötzlich einen abgenudelten Hit von Lynn Anderson anstimmt: „I beg your pardon, I never promised you a rose garden.“
In der Tat befinden wir uns nicht im Rosengarten, sondern in der Hölle der menschlichen Bosheit, die sich explosionsartig mehrt, als am 11. September 2001 die Türme des World Trade Centers und die Selbstsicherheit des Westens in sich zusammenfallen. „Es war ein Angriff ohne Beispiel“, so lautet der Refrain des Klagens, und es war der Anlass für Vergeltungsmaßnahmen außerhalb des demokratischen Rechtsverständnisses. Stichworte: Guantanamo, Irak-Krieg, Abu Ghraib.
Der Triumph des Bösen
20 Jahre danach taucht Goetz mit seinem Stück tief ein in die Sphären von Machtmissbrauch und Menschenrechtsverletzungen – nicht ohne immer wieder Parallelen zum Nationalsozialismus zu ziehen. In atemlosen Szenen werden Foltermethoden wie Schlaf- und Nahrungsentzug, Schein-Exekutionen und Missbrauch, Torturen mit Fäkalien ausführlich beschrieben. Auch Häftlinge kommen zu Wort in langen Berichten über ihre Angst vor dem nächsten Schmerz. Zugleich geht es um die brutale Freude der Wärter an der Demütigung von Mitmenschen. Das schreckliche Lachen. Den Triumph des Bösen.
Zur Hölle damit – das hat man schon nach einer Viertelstunde verstanden. Aber die Schilderungen gehen weiter, in rasender Schnelligkeit, mit verzerrten, manchmal hallenden Stimmen, denen zu folgen einfach nur anstrengend ist. Die Schauspielerinnen, meist in Männerrollen, zeigen den totalen Einsatz. Und führen das Publikum tief hinein in ein Unbehagen, an die Grenze des Zumutbaren. Muss man das haben in dieser Zeit, die uns ohnehin so viel abverlangt? Ich finde: Nein!
Die nächsten Vorstellungen
Das „Reich des Todes“ von Rainald Goetz in der Regie von Stefan Bachmann ist eine Koproduktion mit dem Schauspiel Köln und steht am 2., 17. und 23. Oktober wieder auf dem Spielplan des Düsseldorfer Schauspielhauses, Großes Haus. www.dhaus.de