Wenn die Akrobaten tanzen: „Humans 2.0“ aus Australien beim Düsseldorf Festival
Das Gelingen von Kulturereignissen ist heutzutage auch immer eine Frage der Diplomatie. Unermüdlich hält Christiane Oxenfort, Co-Intendantin und Tausendsassa des Düsseldorf Festivals, ihre Gönner und Sponsoren bei Laune. Sie macht Reklame für spendable Firmen, dankt dem Oberbürgermeister für seine Gunst, singt mit ihrer Schwester Barbara ein Liedchen für die Versicherung, die Betriebsfest im Theaterzelt feiert. Aber auch das unbekannte Publikum ist ihr verbunden – und dankbar für das Fest der Ereignisse, die den Corona-Blues vertreiben. Wie zum Beispiel die „Humans 2.0“ von Yaron Lipschitz.
Der australische Regisseur hat mit seiner Truppe „Circa“ eine neue Art von Zirkus entwickelt – ohne Glitzerkostüme, dressierte Tiere und Tamtam. Die Manege ist eine Bodenscheibe, auf der elf junge Leute ein atemberaubendes Programm zeigen. Nur mit Muskelkraft, Geschmeidigkeit und einem bedingungslosen Vertrauen zueinander. Sind sie Turner? Akrobaten? Tänzer? Alles zugleich.
Die Angst ist überwunden
Und sie bewegen sich fließend in einer von Lipschitz entwickelten Choreografie, die man hochgespannt verfolgt. Denn bei der kleinsten Unsicherheit drohen Hals- und Beinbruch. Ganz zu schweigen von Bandscheibenvorfall und ausgekugelten Gelenken, die der unzulänglich trainierte Zuschauer schon am eigenen furchtsamen Leibe zu spüren glaubt. Fran und Marty, Nancy, Sam, Hamish, Daniel, Kimberley, Jarrod, Luke, Georgia und Christina haben die Angst überwunden. Sie beherrschen ihre Körper perfekt und gleiten scheinbar mühelos von einer spektakulären Übung in die nächste, so schnell, dass man es manchmal kaum wahrnimmt.
Ein Wandern über die Schultern der Anderen ist nur ein kleines Warm-Up für eine Pyramide aus sechs Menschen. Man klettert und springt aufeinander, übereinander, man wirft sich ins Leere und fängt einander auf. Auch die Mädchen stemmen männliche Kollegen. Sie sind kleiner, aber besonders stark. Es gibt überhaupt keine Geschlechterklischees bei den „Humans 2.0“. Männlein wie Weiblein tragen zunächst lässig-bequeme Klamotten und am Ende transparent-schwarze Ganzkörper-Trikots, durch die man die Muskeln sieht.
Wie ein einziger Organismus
Zum dienenden Rhythmus der Musik von Ori Lichtik lässt die Truppe sich vorwärtstreiben. Zwischendurch wird mal eben auf Händen gelaufen und aus dem Nichts ein Mehrfach-Salto gesprungen. Eine junge Frau verdreht sich in zwei von oben herabhängenden Schlaufen wie eine Fliege, die sich aus dem Spinnennetz befreit. Ein Trapez wird später von der ganzen Truppe in harmonischer Abfolge benutzt. Manchmal kommen die einzelnen Artisten so eng zusammen, dass sie wie ein einziger, bewegter Organismus wirken. Oder wie eine perfekt geölte Maschine, die auch durch kleine Störungen – zuckende Bewegungen deuten es an – nicht aus der Balance gerät.
Beinahe hätten die Düsseldorfer selbst mit der „Circa“-Truppe ein bisschen tanzen und springen dürfen. Auf den Rheinwiesen war das Spektakel „Bounce“ geplant. In einem silbernen Blasenzelt sollten nach der Show die Matten für Mutige freigegeben werden. Die Konstruktion, eine Art skulpturaler Hüpfburg, zeigte bei der Premiere allerdings Mängel. Wie man hört, hatte die Herstellerfirma pandemiebedingt Zuliefer- und Kontrollprobleme. Weitere Vorstellungen wurden abgesagt. Aber vielleicht gibt es im nächsten Jahr eine neue Chance.
Das Düsseldorf Festival geht weiter
Kurz Entschlossene können den Neuen Zirkus Circa mit „Humans 2.0“ von Yaron Lipschitz noch heute und morgen Abend, 18. und 19. September, jeweils 20 Uhr, im Theaterzelt auf dem Burgplatz erleben. Bis zum 27. September bietet das Düsseldorf Festival ein vielfältiges, innovatives Programm mit Musik, Tanz, Theater und Akrobatik. Zutritt für Geimpfte, Genesene und frisch Getestete. Informationen und Tickets an der Kasse im Theaterzelt (ab 11 Uhr) und über www.duesseldorf-festival.de