Orpheus macht schlapp: Erste Premiere im Schauspiel Düsseldorf
Man muss ja nicht alles verstehen. Während beim Düsseldorf Festival ohne Abstand fast wie früher das Tanz- und Theaterleben gefeiert wird, sitzt das geimpfte Publikum im Schauspielhaus immer noch halbiert und maskiert in zugiger Belüftung. Die großen Düsseldorfer Bühnen wollen weiter Vorsicht walten lassen, das kulturelle Hochgefühl bleibt aus. Mit gebremster Leidenschaft ging nun auch die erste Premiere über die Bühne des Großen Hauses: „Orpheus steigt herab“ von Tennessee Williams.
Es ist so eine Sache mit den Dramen des großen amerikanischen Realisten. Das Kino hat einfach mehr Kraft an der Endstation Sehnsucht. Nicht ohne Grund lieferte Tennessee Williams den Stoff für einige Hollywood-Klassiker. Sein „Orpheus“ in der Kleinstadt-Hölle hieß bei Sidney Lumet 1960 „Der Mann in der Schlangenhaut“ und wurde vom prachtvollen Marlon Brando gespielt. Die italienische Tragödin Anna Magnani war seine Geliebte. Sorry, eine ähnliche Intensität kann im Theater kaum erreicht werden. Da nützen auch die gelegentlichen Videos von gruseligen Gesichtern und Details nichts, die Regisseur David Bösch während der Umbau-Phasen riesenhaft projizieren lässt.
Klatschweiber in der Unterwelt
Die Story ist so brisant wie eh und je: Auf der Suche nach Erlösung erscheint der verkrachte Musiker Val Xavier in einem Südstaatennest, wo Bigotterie und Gewaltbereitschaft lauern. Er nimmt einen Aushilfsjob im Laden des todkranken Jabe an und verliebt sich in dessen Frau Lady. Doch alles Fremde ist unerwünscht und wird ausgelöscht. Ladys Vater, ein italienischer Einwanderer, der es gewagt hatte, seinen Selbstgebrannten an Schwarze zu verkaufen, kam vor Jahren in einem Feuer um, das die Rassisten des Ortes gelegt hatten. Sie selbst verlor dabei ein Kind der Liebe zu einem treulosen Mann und heiratete ahnungslos einen der Rädelsführer, Jabe, der sie seither tyrannisiert.
Wie Gevatter Tod, bleich, mit schwarzem Mund, hockt Thomas Wittmann als Chef-Bösewicht Jabe im Rollstuhl – eine der stärkeren Figuren im Spiel und, um in dem etwas krampfhaften Orpheus-Bild zu bleiben, der Chef der County-Unterwelt. Das boshafte Lachen der Klatschweiber Dolly und Beulah soll wohl dämonisch wirken, doch sie bleiben steife Figuren im ungenauen 50er-Jahre-Look – genau wie der sadistische Sheriff Talbott mit seiner Knarre.
Die Lady ist ein Monteur
Sein Opfer Val setzt ihm nicht viel entgegen. Sebastian Tessenow trägt zwar eine auf Schlange gestylte Lederjacke, aber er da ist so gar nichts Wildes an dem großen Mann, der eher zaghaft die Gitarre zupft. Ein Anti-Brando, ein Softie ist das, fast unscheinbar. Man versteht nicht ganz, warum ihm sowohl Carol, die verachtete Sünderin der Gegend, als auch die schöne Chefin Lady hinterherlaufen. Immerhin sind beide Frauenrollen ambitioniert besetzt. Lou Strenger („Alice im Wunderland“) gibt die Carol als kleines Show-Luder im Tüllröckchen und moderiert das kommende Unheil. Sonja Beißwenger als liebende Lady muss mit dem Bohrer arbeiten, Kisten schleppen und in Monteurskluft eine betont männliche Tatkraft zeigen.
Offenbar möchte die Regie jede Ähnlichkeit mit dem alten Film vermeiden, eine distanzierte, neue Position einnehmen und doch irgendwie realistisch bleiben. Auch das nach oben offene Bühnenbild mit leeren Regalen vor schäbiger Tapete zeigt den Willen zu einer behutsamen Abstrahierung. Das Drama ist weder in seiner Zeit verortet noch mit der Gegenwart verbunden. Man geht ungerührt nach Hause.
Die nächsten Vorstellungen
Urteilen Sie selbst! Die nächsten Vorstellungen von Tennessee Williams’ Drama „Orpheus steigt herab“ in der Inszenierung von David Bösch sind am 15. und 25. September, 19.30 Uhr, im Großen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses. www.dhaus.de