„Tomodachi to“: Die Kunsthalle Düsseldorf feiert die deutsch-japanische Freundschaft
Jeder Mensch ist ein Künstler, das hat der alte Beuys uns beigebracht. Nur zu! Gleich am Eingang der Düsseldorfer Kunsthalle können die Klamotten zur temporären Skulptur werden. Zehn gläserne Garderobenschränke dienen nach dem Konzept von Karin Sander als Kreativräume. Ein bewusst aufgehängter Mantel und der abgelegte Rucksack zum Beispiel ergeben eine Art temporäres Selbstporträt. Sanders japanischer Kollege Takeoka Yuji hat neben einem akkuraten Jackett seine tadellos geputzten schwarzen Lederschuhe hier gelassen – in Japan betritt man Innenräume barfuß. Um Kommunikation zwischen den Kulturen geht es in der japanisch inspirierten Ausstellung „Tomodachi to: Mit Freund*innen“. Eine Freude.
Irgendwas mit Japan wollte Direktor Gregor Jansen machen. Schließlich haben wir hier mit 8400 Japanern die drittgrößte Nippon-Community Europas (früher war es mal die größte, jetzt sind London und Paris vorn). Und in diesem Jahr wird die deutsch-japanische Freundschaft offiziell 160 Jahre alt, anno 1861 wurde das erste Handelsabkommen zwischen Japan und den Preußen abgeschlossen. Obgleich in dieser verflixten Corona-Zeit kein unkompliziertes Reisen möglich ist, gibt es doch Verbindungen. Viele asiatische Talente studieren und reüssieren an der Düsseldorfer Akademie. Jansen und seine Kuratorin Alicia Holthausen suchten fünf bekannte japanische Künstler*innen (mit korrektem Gender-Sternchen) für die Schau aus und ließen diese wiederum fünf befreundete Kolleg*innen dazu einladen.
Gegensätze ziehen sich an
Was dabei entstand, ist eine überaus reizvolle Mischung. Gleich und gleich gesellt sich gern? Von wegen! Wie eine gewaltige Welle erhebt sich die zwei Etagen hohe, gestische Wandmalerei „Der Riss“ von Anca Muresan über den feenhaft zarten Pastellbildern ihrer Freundin Murase Kyoko. Die beiden Frauen studierten gemeinsam vor über 20 Jahren bei Konrad Klapheck an der hiesigen Akademie. Und obgleich die gebürtige Rumänin Muresan mit einem ganz anderen Temperament arbeitet und riesige Säle spontan mit ihren Farbschlägen, Wortskizzen und eingefügten Objekten erobert, hat Murase Kyoko sie eingeladen, die eigenen haarfeinen Figurationen zu ergänzen.
Gerade diese Art von Spannung erzeugt Aufmerksamkeit – genau wie andere Paarungen, die man einander nicht so ohne weiteres zuordnen würde. Ein riesiger „Gartenzaun“, schnörkelig geformt, neongelb lackiert, hängen mit offenen Törchen an der Wand und umschließt das weiße Nichts wie eine Verheißung. Der Zaun wurde von der Bildhauerin Ando Yukako geschaffen und spiegelt sich in einem monumentalen Folienobjekt ihrer ehemaligen Akademie-Professorin Magdalena Jetelová. Die 75-jährige Tschechin lässt die Spiegelfläche von den Bässen einer John-Cage-Komposition irritierend vibrieren, nur ein aufgedruckter Satz scheint stillzustehen: „essential is no longer visible“, das Wesentliche ist nicht mehr sichtbar.
Wo die bösen Kinder lauern
Sehr sichtbar sind die, so Jansen, „bösen Kinder“ des Penck-Schülers und Interim-Kölners Nara Yoshitomo (62), der in seiner Heimat zu einem Pop-Art-Superstar geworden ist. Auf einem Bild aus seiner deutschen Zeit schneidet ein garstiges Mädchen mit einer Säge ein Blümchen ab („Dead Flower“), es blutet ein bisschen. Gemein. Ein neueres Bild zeigt eine niedliche Figur mit verpflastertem Auge. Nach einer Schlägerei? Viel Aufsässigkeit steckt in den scheinbar harmlosen, comichaften Gestalten, fern der japanischen Höflichkeit und Zurückhaltung.
Auch Nakahara Masao, der von Yoshitomo eingeladen wurde, arbeitet so ganz anders, als man gemeinhin von Japanern erwartet. Er hat in den 1980er-Jahren in seiner Wahlheimat Düsseldorf unter anderem bei Dieter Krieg studiert, dem Meister einer kraftvoll ungestümen Malerei. Damals entstand ein wildes Bild seiner „Eltern“ als gesichtslose Erscheinungen. Masao wäre sicher schnell bekannt geworden. Aber er gründete eine Familie und, so schmunzelt er: „Ich musste Geld verdienen.“ Erst heute, im reiferen Alter, konzentriert sich der 65-Jährige wieder auf Kunst, soweit das zu Hause möglich ist. In der oberen Etage der Kunsthalle präsentiert er witzig-poetische Kopfbilder sowie kleine Skulpturen aus Pappmaché und Wachs, von denen nicht nur Jansen begeistert ist: „Eine Entdeckung!“
Das Strenge und das Üppige
Gegenüber an der Wand verbreitet die Minimal Art von Takeoka Yuji stille und strenge Ästhetik. Auch die Abtrennung mit Pfosten aus vergoldetem Stahl ist eine Skulptur, sie darf zwar umgangen werden, schafft aber eine gewisse innere Distanz. Der 1946 in Kyoto geborene und bis heute in Düsseldorf lebende Heerich-Schüler Yuji (der Karin Sander einlud) entwirft sachliche Abstraktionen mit dem gewissen Kick. Unter einem transparenten Acylglaskasten („Site Case“) soll nach seinem Plan ganz akkurat die Wand des jeweiligen Ausstellungsraums aufgeschnitten werden. Was zum Vorschein kommt, wird so zum Bild. In der Kunsthalle ist es eine silbern glänzende Alufoliendämmung. Das war dem Künstler absolut recht. Und der Betrachter ist beeindruckt.
Der junge Kinoshita Ryo, der erst 2018 seinen Akademie-Abschluss machte, arbeitet ganz anders – fantasievoll, ohne Angst vor Kitsch. Mit Perlen, Nieten und zuckergussartigen Farbsträngen zaubert er dekorative Reliefs, auf denen viel zu entdecken ist: Katzen, Schattenfiguren, verschlungene Wege. Außerdem konstruiert er verspielte Skulpturen mit Holzklötzchen und Plastikköpfen. Sein Freund Arakawa Soya, den Ryo zur Schau einlud, verwirklicht sich ganz anders. In einer Installation mit Erinnerungsstücken und einem textreichen Video von Aktionen am Rheinufer präsentiert der Sohn eines japanischen Töpfers und Schüler von Rita McBride „Das Zentraal Theater“ seines Lebens.
Was, wann und wo?
Die Ausstellung „Tomodachi to: Mit Freund*innen“ ist bis zum 24. Oktober in der Kunsthalle Düsseldorf am Grabbeplatz 4 zu sehen. Di.-So. 11 bis 18 Uhr. Eintritt: 6 Euro. Masken- und Abstandspflicht. www.kunsthalle-duesseldorf.de