Düsseldorf: Demonstration gegen das NRW-Versammlungsgesetz mit unverhältnismäßigem Polizeieinsatz
Das Bündnis "Versammlungsgesetz NRW stoppen – Grundrechte erhalten" hatte mit seinen 170 unterstützenden Organisationen am Samstag (26.6.) zur Demonstration aufgerufen. Rund 6.000 Teilnehmer*innen versammelten sich in verschiedenen Blöcken am Rheinufer, um von dort zum Landtag zu ziehen. Doch dort kamen nur die wenigsten an. Denn auf der Demostrecke wurde der Zug immer wieder von der Polizei gestoppt, die mit einem massiven Aufgebot vor Ort war. Es kam unter anderem zu Pfeffersprayeinsatz und schließlich endete die friedliche Demonstration in einem Polizeikessel an der Breite Straße. Dutzende Demonstrierende wurden von Einsatzkräften der Polizei verletzt, die auch vor Übergriffen auf Pressevertreter nicht zurückschreckten. So wurde ein dpa-Fotograf aus Düsseldorf und mindestens ein weiterer Kollegen von Polizisten mit Schlagstücken verletzt. Dpa-Chefredakteur Sven Gösmann protestierte schriftlich gegen dieses Vorgehen und fordert eine lückenlose Aufklärung. Bis Mitternacht mussten Menschen im Polizeikessel Breite Straße ausharren. Der Versuch von Anwälten, Festgenommene rechtlich zu unterstützen, wurde von der Polizei unterbunden.
Rund 6.000 Menschen versammelten sich auf den Rheinwiesen
Vielschichtiger Protest
Eindrucksvoll füllten sich die Oberkasseler Rheinwiesen am Samstagmittag mit rund 6.000 Demonstrierenden verschiedenster Gruppierungen. Fußballfans, Datenschützer*innen, Politiker*innen, Klimaaktivist*innen, Antifaschist*innen, Antikapitalist*innen, Gewerkschafter*innen, Jurist*innen – ein breites Spektrum quer durch die Gesellschaft versammelte sich, um die Versammlungsfreiheit zu verteidigen und gegen das geplante NRW-Versammlungsgesetz zu protestieren.
Fahnen, Banner und Plakate zeigten das Ziel der Demonstration
Allerdings positionierten sich die Organisatoren deutlich gegen den Versuch der Corona-Rebellen Düsseldorf, sich ebenfalls an der Demonstration zu beteiligen. Die „Querdenker“ wurden von der Polizei von der Versammlung verwiesen.
Die Fans der Fortuna marschierten als Gruppe auf
Lola Münch vom Bündnis: "Unsere Anliegen reichen über die Kritik am Versammlungsgesetz hinaus. Wir wollen mit unserem Protest auch auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen hinweisen, in denen dieses Gesetz verabschiedet werden soll: Hunderte Polizist:innen unter Verdacht der Bildung rechtsextremer Netzwerke, staatlich verursachte und unaufgeklärte Todesfälle wie der von Amed Ahmad oder die fortschreitende Klimakrise, mit angefacht durch die Kohleverstromung in NRW. Die Regierungskoalition von Armin Laschet geht keines dieser Probleme konsequent an. Sie kennt nur den Weg des Grundrechteabbaus und des Ausbaus polizeilicher Befugnisse. Damit muss endlich Schluss sein!"
Starkes Polizeiaufgebot begleitet die Demonstration
Vorgehen der Polizei
Die Polizei zeigte deutlich, wie sie die Versammlungsfreiheit und die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen der Einsatzkräfte sieht. Nachdem der Zeitplan der Demo bereits mit der Überquerung der Oberkasseler Brücke heftig ins Wanken geriet, wurde der Demonstrationszug gegen 16 Uhr von der Polizei gestoppt, weil sich die Demonstrierenden an die Maskenpflicht hielten und einige zusätzlich Sonnenbrillen trugen. Dies reichte zusammen mit dem Umstand, dass einige Transparente, die von mehreren Teilnehmer*innen gemeinsam getragen wurden, offenbar um eine Vermummung anzunehmen. Es kam zu einer ersten Konfrontation mit Einsatz von Pfefferspray. Die verschiedenen Blöcke der Demonstration verhielten sich sofort solidarisch und standen dem betroffenen Block der Antifaschisten bei. Sprechchöre wurden laut, aber es dauerte lange bis die Demonstration weiterziehen konnte.
Manche Blöcke wurde direkt von behelmten Polizist*innen begleitet
Die Banner trugen zum Teil auch deutliche Botschaften an die Polizei
Polizeikessel an der Breite Straße
Weit kam sie allerdings nicht, denn als Rauch aus einem Block aufstieg, war dies der nächste Anlass für polizeiliche Maßnahmen. Ab diesem Zeitpunkt wurde die Demo auch durch Beamte in einem Polizeihubschrauber aus der Luft beobachtet. Schließlich stoppte die Demonstration vorzeitig auf der Breite Straße, weil die Polizei den Antifa-Block in Höhe der Bastionstraße einkesselte. Für einige Hundert Demonstrierende ging es weder vor noch zurück. Die Gruppe der Kölner Fußballfans verabschiedete sich und wurde zum Hauptbahnhof geleitet. Gegen 18 Uhr zogen die Fortuna Fans alleine zum Landtag.
Die Kölner Fans bei der Demo
Doch viele Menschen harrten aus, denn schließlich wollten sie ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen und gegen das NRW-Versammlungsgesetz protestieren. Dies führte zu erneuter Konfrontation mit der Polizei. Insgesamt wurden mehrere Dutzend Menschen nach Pfeffersprayeinsatz behandelt, oder nach Tritten und Schlägen betreut. Darunter auch Journalisten. Äußerst brutal entfernten und zerstörten die Einsatzkräfte die Transparente der Demonstranten. Immer wieder wurde einzelne Menschen festgenommen und abgeführt. Ein Mann wurde dafür in eine Tiefgarage geschleift und zu Boden gebracht. Weder Sanitäter noch eine Anwältin durften zu ihm.
Die Polizei kesselte die Demonstranten ein und dokumentierte alles mit der Kamera
Erst gegen Mitternacht kamen die letzten frei
Es dauerte fast bis Mitternacht, bis die letzten eingekesselten Menschen die polizeiliche Maßnahme auf der Breite Straße verlassen konnten. Dort mussten sie bei heißen Temperaturen seit 18 Uhr ohne Getränke oder Toilette ausharren. Die Polizei nahm die Demonstrierenden einzeln mit zur Feststellung der Personalien, erteilten Platzverweise und informierte, man werde ein Strafverfahren wegen Landfriedensbruch einleiten.
Die Demosanitäter kümmerten sich um zahlreiche Verletzte
„Heute hat die Polizei bereits deutlich ihre Macht demonstriert. Wir müssen Sorge vor dem zukünftigen Missbrauch dieser Macht haben, wenn das Versammlungsgesetz der Landesregierung in NRW beschlossen wird. Damit entsteht ein Machtzuwachs, dessen Ausmaß wir uns nicht ausmalen wollen.“, so Lola Münch, Sprecherin des Bündnisses „Versammlungsgesetz NRW stoppen! Grundrechte erhalten!“. In den sozialen Netzwerken wurde das Vorgehen von verschiedenen Seiten kommentiert. Viele warfen NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und NRW-Innenminister Herbert Reul Versagen vor.
Ein Demonstrant wurde in der Einfahrt einer Hoteltiefgarage brutal auf dem Boden fixiert
Stellungnahme der Polizei
Die Polizei bestätigte noch in der Nacht den Einsatz von Reizgas und des "Einsatzmehrzweckstockes". Dabei sei ein Journalist zwischen die Einsatzkräfte und eine aggressive Störergruppe geraten und habe sich nach eigenen Angaben Verletzungen zugezogen. Eine Strafanzeige wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt gegen einen Polizeibeamten sei angefertigt worden. Weiterhin gab die Polizei die "Separierung" einer Gruppe von etwa 300 Personen zu, deren Identitätsfeststellung erst gegen 23:40 Uhr beendet gewesen sei.
Die Teilnehmerzahl der Demonstration wird von der Polizei mit circa dreitausend Personen angegeben, was deutlich zu niedrig angesetzt ist. Report-D hat die Teilnehmer*innen auf der Oberkasseler Brücke gezählt und kam auf rund 6.000 Teilnehmer*innen. In dieser Zahl sind die Polizeibeamt*Innen nicht enthalten. Die Polizei macht keine Mengenangaben zu ihren Einsatzkräften.
Kritik am NRW-Versammlungsgesetz
Die Liste der Bedenken gegen das neue Versammlungsrecht ist lang. Polizei-Einsatzleiter finden im Gesetzentwurf eine Reihe unbestimmter Rechtsbegriffe, die sie situativ und ganz nach eigenem Gusto auslegen können, wird von Gegnern kritisiert.
Außerdem sollen Störungen, Behinderungen und Vereitelung von Versammlungen verboten werden. Damit würden zum Beispiel Gegendemos bei Neonazi-Aufmärschen erschwert. Selbst wer an einem Blockadetraining teilnehme, müsse mit Strafen rechnen. Zudem werde der Videoeinsatz der Polizei ausgeweitet. Bislang braucht die Polizei einen konkreten Anlass, um Demos komplett abfilmen zu dürfen; künftig reichen „Größe oder Unübersichtlichkeit des Geschehens“ als Begründungen.
Die Anmeldung von Demonstrationen soll lange im Voraus erfolgen; Anmelder sollen für alle Vorkommnisse während einer Demo haftbar gemacht werden können. Die Polizei darf einzelnen Personen die Teilnahme an einer Demo verbieten und sie per Meldeauflage von der Versammlung fern halten.
Das „Militanzverbot“ verbietet Uniformierungen, aber auch Sonnenbrillen, gleiche Kleidung (wie Maleranzüge). An dieser Stelle fühlen sich viele zehntausend Fußballfans angegriffen. Denn bei ihnen gehören gleiche Kleidungsstücke wie Fanschals, Jacken und Hosen in Vereinsfarben zur Grundausstattung.