Düsseldorf – Theater der Welt: Ekstase im „Archipel“
Mal ehrlich: Das war gepfuscht. Das „Spektakel der Vermischungen“ hat zwar international aussehende Mitwirkende, es wurde aber nebenan in Köln produziert, wo sowohl das alternative Musik-Ensemble Garage als auch die interdisziplinäre Tanzcompagnie Mouvoir mit ihren Chefinnen Stephanie Thiersch (Choreografie) und Brigitta Muntendorf (Komposition) zu Hause sind. War also nicht wirklich weit zum Düsseldorfer „Theater der Welt“, wo die ekstatische Performance „Archipel“ im Central von nervenstarken Fans bejubelt wurde.
Darunter befand sich Landeskulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen, die dafür gesorgt hatte, dass das ursprünglich für die ausgefallene Ruhrtriennale 2020 geplante, von der Kunststiftung geförderte Projekt ins Festivalprogramm aufgenommen wurde. Wie alle wartete sie geduldig vor dem schmuddeligen Eingang des bahnhofsnahen Theater-Ausweichquartiers auf Einlass in letzter Minute. Die sonst als Gastronomie und Foyer genutzte Brücke blieb geschlossen. Das hoch erhitzte Publikum wurde dann gleich in den Saal geleitet, der sich im Verlauf der schweißtreibenden Ereignisse als stickige Schwitzbude erwies. Manche Maske wurde zwischendurch gelupft. Man kann nur hoffen, dass sich die Delta-Virus-Variante nicht in den aufwallenden Aerosolen verbarg. Ein negatives Testergebnis musste man ja nicht mehr vorweisen.
Neue provokante Verbindung
Immerhin arbeitet das Ensemble, wie der Programmzettel versichert, unter einem „umfangreichen PCR-Testregime“. Das ist auch nötig angesichts eines massiven Körpereinsatzes ohne jede Abstandsregel. Fast agieren die Männer, Frauen, Mädchen wie ein Organismus, wie Schlingpflanzen, die wachsen, wuchern, sich verwickeln, auseinanderfallen. Tatsächlich ist die Idee der sprachlosen Show, dass Menschen und Pflanzen, so das Konzept, „eine neue provokante Verbindung“ eingehen. Die tapferen Musiker*innen und Tänzer*innen tragen deshalb weißliche Trikots, aus denen wenig vorteilhaft allerlei Wülste, Stängel, Tentakeln ragen. Sie befinden sich auf einem Archipel aus runden, verschieden hohen Flächen, die an Seerosenblätter erinnern. Der japanische Architekt Sou Fujimoto hat die aparte Konstruktion ersonnen.
Voller Körpereinsatz mit Musik und Bewegung: die Performance „Archipel“, Foto: Martin Rottenkolber
Dort blitzen Lichter, seltsame Klänge sind zu hören: ein Schnalzen, ein Kreischen. Bald wird getrommelt, Streichinstrumente quietschen, Bläser spielen auf, Gesänge erheben sich wie Naturgeräusche. Der Archipel erwacht, die Menschenpflanzen strecken und winden sich im Rhythmus der anschwellenden Musik, schlagen um sich, hüpfen, nicken und zucken ohne Unterlass, lassen die Haare flattern.
Die Erregung wallt auf und ab
Wir ahnen es schon: Das wird wild, eine barbarische Selbsterfahrung für die Truppe, die sich im monotonen Rhythmus in eine Art Trance steigert, angetrieben auch von den Stimmen des Norwegian Soloists’ Choir, der aus Corona-Gründen in Norwegen bleiben muss, aber sich für eine Videoprojektion mit passenden Trikots und Zweiglein-Geweihen verkleidet hat.
„He“, „ha“, „ho“ ruft es. Auf und ab wallt die Erregung. Mal verwickelt man sich, dann trennt man sich, alles rennet, rettet, flüchtet. Gegen Ende gibt’s eine trügerische Ruhe. Die Compagnie verkriecht sich ins Innere des Archipels, kommt aber hervor mit mehr Wülsten und lustigen Perücken, um zu schmissiger Musik nochmal richtig abzurocken, bis kein Faden am Leib mehr trocken bleibt. In Ringelreihen verbandelt man sich innig, es gibt auch ein Pas de Deux mit Verhauen. Die Beteiligten haben nach dieser Anstrengung sicher ein paar Kilos verloren. Das robuste Publikum hat anderthalb Stunden lang still gehalten und belohnt die erfreute Truppe mit heftigem Applaus. www.theaterderwelt.de