Kunst für Herz und Verstand: DIE GROSSE in Düsseldorf
„Kunst ist, was bleibt“, wurde der traditionsreichen Düsseldorfer Ausstellung, die heutzutage „DIE GROSSE“ heißt, 2021 auf die Fahnen geschrieben. Ein rührender Gedanke in einer Welt, die derzeit vor allem an der Ankurbelung der Geschäfte interessiert ist. Umso kostbarer scheint dem pandemiemüden Menschen einen Schatz von über 300 Bildern, Fotografien und Skulpturen, womit im Kunstpalast und im NRW-Forum der kreative Spirit von Stadt und Umland gefeiert wird. Michael Kortländer (68), selbst Bildhauer und Hoehme-Meisterschüler, hat die im letzten Jahr wegen Corona ausgefallene Schau auch in der Inszenierung zu professionellen Höhen geführt.
„DIE GROSSE“ im Kleinformat: Es gibt Hunderte erschwinglicher Originale in der Ausstellung (hier im Aufbau).
Es ist ein Vergnügen. Und eine fabelhafte Art der Künstlerförderung. Denn die Beteiligten können durch Verkäufe an das Publikum direkt profitieren. Nicht auf hochgezwirbeltem Kunstmarkt-Niveau, sondern in bürgerlich-kultivierten Maßen. 300 zusätzlich präsentierte Kleinformate sind schon für bis zu 500 Euro zu haben, das allerteuerste verkäufliche Stück im ganzen Katalog ist mit 37.450 Euro eine variable Bambus-Metall-Skulptur der Düsseldorfer Bulgarin Kristina Stoyanova. Peanuts für jene Herrschaften, die im globalen Art-Business agieren …
1000 Bewerbungen gesichtet
Auch die Kuratoren, mächtige Geister der Kunsthallen und Museen, haben hier nichts zu sagen. „Ich muss nur den Grüßonkel machen“, bemerkt vergnügt Hausherr und Kunstpalastdirekor Felix Krämer und fühlt sich damit „ganz entspannt“. Statt um ein Konzept oder einen Namen geht es bei der „Großen“ um die Fülle der Kunst, die in zahlreichen Ateliers tagtäglich entsteht. Viele wollten ihre Arbeit zeigen. Über 1000 Künstler*innen hatten sich dieses Mal beworben. „Wir konnten uns der Flut kaum erwehren“, sagt Michael Kortländer. Unermüdlich hat die siebenköpfige Jury schließlich 167 Positionen mit teilweise mehreren Werken ausgesucht.
„Große“ Bühne (von links): Kulturdezernent Hans-Georg Lohe, Projektleiter Michael Kortländer, Kunstpreisträger Fritz Josef Haubner und der Generaldirektor des Kunstpalastes, Felix Krämer.
Man kann sie unmöglich gerecht würdigen, nur versprechen, dass jede*r beim Bummel durch vier große Saalfluchten am Ehrenhof etwas finden wird, was ihn oder sie berührt, amüsiert, begeistert. Im Erdgeschoss des Kunstpalastes fängt es an mit Fotografie, die der Malerei Konkurrenz macht. Evangelos Koukouwikatis, ein Grieche aus Duisburg, huldigt dem barocken Stillleben mit Früchten, Pflanzen, Knochen, arrangiert in samtiger Dunkelheit. Myriam Hofer zeigt Großaufnahmen von Insektenflügeln, geniale Zeichnungen der Natur. Auch Corina Gertz mit ihrer Serie schwarz verhüllter Frauengestalten zelebriert den subtilen Ausdruck in jeder sanft schimmernden Stofffalte.
Subtilitäten: Fotografien von Insektenflügeln – „wings“ – von Myriam Hofer.
Der Reiter an der Wand
Hinten an der Wand hoppelt ein „Reiter“ auf einem Pferdchen mit Ringelschwanz – zauberhaft-skurrile Erscheinung aus dem Universum der Schwegert-Schülerin Nele Waldert, die mit Gips, Pappmaché und Zweigen arbeitet. Zwischen weiteren Fotografien, die Strukturen von Landschaft und Menschenleben zeigen, hängt eine zweigeteilte Arbeit des jungen Düsseldorfers Julius Brauckmann, der mit trockenem Humor von der pandemischen Isolation und dem Lieferwahn erzählt. Ein Foto zeigt eins der verheißungsvollen Pakete, die jeder regelmäßig bekam, auf dem zweiten steht der Papierkorb mit der aufgerissenen und verknickten Verpackung. Was drin war? Wer weiß? Sicher unnötig, wie das meiste, was man sich so schicken ließ.
Skurriler „Reiter“: Wandfigur aus Gips und Pappmaché von Nele Waldert.
Im oberen Stock wurden die geschwungenen und verschachtelten Wände aus der Mack-Ausstellung benutzt, um weitere Fotoarbeiten, Gemälde und Objekte attraktiv auszustellen. Neu-romantisch locken Ahnungen von Landschaft und Meer aus dem „Album“ des Dortmunders Dirk Pleyer. An einer dunkelgrauen Wand sprengt eine wilde Mal- und Materialcollage von Liza Dieckwisch den Rahmen der Zurückhaltung. Die 1989 geborene Meisterschülerin von Katharina Grosse mit ihren Kreationen aus Stoff, Silikon, Pigment und Glitzer bekam den Förderpreis des Vereins zur Veranstaltung von Kunstaustellungen.
Blick in die erste Etage des Kunstpalastes mit einem Relief von Emil Sorge (links) und einer Fotoinstallation von Bärbel Möllmann. Im Hintergrund: Wandobjekte der Förderpreisträgerin Liza Dieckwisch.
Ein Autodidakt wird Preisträger
Um die Ecke öffnet sich das Terrain des Kunstpreisträgers: Fritz Josef Haubner, geboren 1937 in der Oberpfalz, war Landwirt, Mönch, Soldat, Bergmann, Bierfahrer, Bauarbeiter, studierte spät und arbeitete dann 37 Jahre lang als Sozialarbeiter in Duisburg. Als Künstler ist er Autodidakt – und schuf aus gebrauchten Brettern, Farben und Inspiration ein kraftvolles, eigensinniges, hinreißendes Werk. Eine rostige Lochzange wird ihm zur Figur auf einem rauen Kruzifix. Es gibt Schachbrettmuster, einen kleinen blauen Pfeil auf Türkis, vereinfachte Häuser, Karren, Kirchlein. Aus Treibholz und rostigen Nägeln entstanden archaische Köpfe. Die 101 kleinen Formate, die so gut auf eine Halbrund-Wand aus der Mack-Ausstellung passen, hängen normalerweise in Haubners Atelier, sie sind sein ureigener Ausdruck, viele davon würde er niemals hergeben.
Aus dem Vollen schöpfen: Kunstpreisträger Fritz Josef Haubner mit Kleinformaten aus seinem Atelier.
Eigentlich hat man im Kunstpalast schon genug gesehen – aber es gibt noch viel mehr. Draußen im Ehrenhof sind neun Außenskulpturen verteilt. Auf der Wiese vor dem NRW-Forum weisen sechs verrückte Riesen-Maiskolben aus Polyester von Lothar Krüll dem Besucher den Weg. Ein Bassin von Monika Nelles („Wasser ist blau“) leuchtet auf der Ballustrade des Gebäudes. Ja, da geht’s rein – in weitere zwei Säle voller Malerei, Skulpturen und Objekte, die zu beschreiben den Rahmen dieses Berichts sprengen würde. Nur eins: Digitale Konzepte und Videokunst spielen keine Rolle bei der „Großen“. Aber es gibt eine Hüpfburg (von Jonas Hohnke), nicht bunt, sondern ein „White Cube“ für den verspielten Kunstsinn.
Auch im Außenbereich gibt es Skulpturen – wie diese „Maiskolben“ von Lothar Krüll.
Was, wo und wann?
„DIE GROSSE 20/21“, Kunstausstellung NRW, wird am Samstagabend, 19. Juni, um 18 Uhr vor dem NRW-Forum offiziell eröffnet und spielt sowohl im Kunstpalast (Ehrenhof 4) als auch im NRW-Forum (Ehrenhof 2). Die Ausstellung ist vom 20. Juni bis 25. Juli ohne gebuchtes Zeitfenster zugänglich. Es müssen allerdings Masken getragen und Kontaktdaten hinterlassen werden. Geöffnet Di.-So. 11 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Eintritt: 10 Euro, Kinder bis 12 Jahre frei. Die meisten Kunstwerke sind verkäuflich, auf einer Sonderfläche gibt es kleine Formate für bis zu 500 Euro. Der Katalog (mit Preisen) kostet 20 Euro. Ein Künstlerteam führt Samstag und Sonntag jeweils um 15 Uhr durch die Ausstellung (inkl. Eintritt 18 Euro). Alle Informationen gibt es auf der Website www.diegrosse.de