Wo die Sirenen singen: Festival "Theater der Welt" in Düsseldorf
Noch traut man der Sache nicht ganz. Schließlich war das Festival „Theater der Welt“ im vergangenen Jahr auch schon perfekt durchgeplant, das Programmbuch gedruckt – und dann kam der Lockdown, der große Spielverderber. Kulturelle Depression zog ein. Aber das Schauspiel Düsseldorf versucht’s noch einmal: vom 17. Juni bis 4. Juli 2021. Wenn der Inzidenz-Wert hält, was er verspricht, gibt es 34 Vorstellungen, die meisten davon live, mit 350 Künstler*innen aus 17 Ländern und vor allem – mit Gefühl. „Es braucht große emotionale Aufladung“, weiß Programmdirektor Stefan Schmidtke. Er behielt die Nerven, hat sich, wie er sagt, „durch die Welt gezoomt“ und ist, so Intendant Wilfried Schulz, „der eigentliche Held des Ganzen“.
Die Theaterkasse teilt sich den Pavillon demnächst mit einer Eisdiele.
Immerhin hat die Verschiebung des Festivals einen Vorteil: Die Sanierung des Schauspielhauses ist mittlerweile tatsächlich so gut wie abgeschlossen. Weiß und makellos schimmert die geschwungene Fassade vor dem endlich sommerlichen Himmel, es grünt die Buchenhecke am Ingenhoven-Tal. Der Gründgens-Platz hat keine Baulöcher mehr und wird schon jetzt mit dem „Rheingold“ erfolgreich bespielt. Sogar der Kassen-Pavillon, dessen Rückseite an eine Eisdiele vermietet wurde (das lockt Leute), ist im Prinzip fertig. Die Show kann weitergehen.
Pressekonferenz zum Theater der Welt (von links): Oberbürgermeister Stephan Keller, Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen, Festivaldirektor Stefan Schmidtke und Generalintendant Wilfried Schulz.
Stream aus Kapstadt
Und das ist nicht zu überhören. An jedem Tag des Festivals um 17.30 Uhr wird über dem Theater und in der Umgebung ein Sirenengesang zu hören sein. Die von der Kunstförderung der australischen Regierung geförderte und mit Militärtechnik verwirklichte Klanginstallation „Siren Song“ soll Publikum und Passanten mit vielfältigen Frauenstimmen verzaubern. Etwas Schwebendes wird auch die Eröffnung am Abend des 17. Juni haben. Denn die Uraufführung des Dramas „Leben und Zeit des Michael K.“ nach dem Roman des südafrikanischen Nobelpreisträgers J. M. Coetzee konnte wegen Corona nicht, wie beabsichtigt, von einem gemischten Ensemble aus Düsseldorf und Kapstadt hier am Rhein einstudiert werden. Das Stück kommt nun per Projektion ins Große Haus – live aus dem Baxter Theatre in Kapstadt.
Nur zur Beruhigung aller Aufgeregten, die im politisch stets korrekt agierenden System des Theaters immer noch strukturellen Rassismus vermuten, sei bemerkt, dass „Michael K.“ aus der Perspektive des schwarzen Titelhelden dargestellt wird. Der weiße Erzähler aus dem 1983 erschienenen Roman wurde gestrichen. Solche Details sind wichtig geworden, seit das Ensemble-Mitglied Ron Iyamu sich von Kollegen rassistisch gemobbt fühlte und eine öffentliche Diskussion in Gang setzte. „Wir sind gefordert, neue Lösungen zu finden“, sagt Intendant Schulz, der sich bereits offiziell für unsensible Reaktionen entschuldigt hat.
Bald wird auch das Publikum wieder das Schauspielhaus von innen sehen dürfen.
Eine Reise des Geistes
Nun liegen Offenheit, Toleranz und Interesse in der Natur eines globalen Theaterfestivals. Das bietet vielerlei – von den Reden an und über die afrikanischen Nationen, die der Regisseur, Schauspieler und Dramatiker Étienne Minoungou aus Burkina Faso am 17./18. Juni im Kleinen Haus hält („Spuren – vier Monologe“) bis zum Tanztheater aus Chile. „Malen“ ist eine Choreografie mit 17 Frauen vom Volk der Mapuche, die am 3./4. Juli auf dem Gründgens-Platz zu sehen sein wird. Die Theatermacherin Penda Diouf lebt in Frankreich und hat senegalesische Wurzeln. In ihrem Stück „Pistes“ geht es um Kolonialismus, verdrängte Gräueltaten und das Licht in der Wüste (26./27. Juni). Ein „Spektakel der Vermischungen“ verspricht die deutsch-japanische Produktion „Archipel“ vom 18. bis 20. Juni im Central.
Insgesamt gehören 24 Produktionen zum ambitionierten Programm, das aus dem Vollen schöpfen kann. Stadt, Land und Bund gaben zusammen drei Extra-Millionen Euro, Sponsoren spendeten weitere zwei Millionen. Und nicht nur Erwachsene sollen vom Theater der Welt inspiriert werden, ein Drittel des Angebots richtet sich an Kinder und Jugendliche beziehungsweise die ganze Familie. So geht’s im Jungen Schauspiel am 29./30. Juni in einer furiosen kanadischen Schülerkomödie um „Das Gewicht der Ameisen“. Und draußen auf dem Gründgens-Platz erheben 18 junge Düsseldorfer*innen ihre Stimmen in einer internationalen Produktion: „Ist mein Mikro an?“
Kunst in Corona-Zeiten: Gleich am Eingang des Schauspielhauses gibt es ein kleines Testzentrum.
Tickets gibt es ab sofort
Die Kassen für das „Theater der Welt“ vom 17. Juni bis 4. Juli sind freigeschaltet. Nach bisherigem Stand der Coronaregeln können die Säle und die Außentribüne zu etwa 50 Prozent im Schachbrettmuster genutzt werden – von Geimpften, Genesenen und Getesteten. Die Theatergastronomie „Schillings“ (www.schillings-restaurant.de) hat die Außenterrasse am Hofgarten geöffnet. Programmbücher und Karten gibt es an der Theaterkasse auf dem Gründgens-Platz, Infos und Tickets auch unter www.theaterderwelt.de
Luft holen: Die Hofgartenterrasse des „Schillings im Schauspielhaus“ wurde wieder geöffnet.