Beuys-Ehrung in Düsseldorf: Der Jong vom Niederrhein wird 100
Da soll noch mal einer sagen, die Düsseldorfer Jonges seien ein brünnleinstiftender Männerclub mit konservativem Kunstgeschmack! Am 100. Geburtstag des 1986 verstorbenen Joseph Beuys ehrt der Verein den vielleicht umstrittensten Meister der Nachkriegs-Avantgarde mit zwei bronzenen Gedenktafeln. An der Fassade des Oberkasseler Hauses Drakeplatz 4, wo Beuys lebte, arbeitete und weltberühmt wurde, enthüllten Baas Wolfgang Rolshoven und Oberbürgermeister Dr. Stephan Keller eins dieser „sichtbaren Zeichen zur Stadtgeschichte“. In Abwesenheit von Familie Beuys übrigens, die zurückgezogen um die Ecke wohnt. Eine zweite Tafel hängt an der Haroldstraße 4, neben einem Baum aus Beuys’ Documenta-Aktion „7000 Eichen“.
Eine Gedenktafel für Joseph Beuys stifteten die Düsseldorfer Jonges am Drakeplatz, wo der Künstler seit 1961 lebte und wirkte. Baas Wolfgang Rolshoven (rechts) freut sich mit Oberbürgermeister Dr. Stephan Keller, Foto: Birgit Kölgen.
So viel Gemeinschaftsgefühl – dabei war Joseph Beuys gar kein Düsseldorfer Jong, sondern einer vom Niederrhein. Geboren in Krefeld am 12. Mai 1921 als einziges Kind eines Mehl- und Futtermittelhändlers, wuchs „dat Jüppken“ in ländlicher Umgebung bei Kleve auf. Ein verschrobenes Bürschchen, das die Oberschule lustlos absolvierte und lieber mit dem Hirtenstab durch die Natur streifte, um Pflanzen, Insekten und anderes Getier zu sammeln. Für die Beute, tot oder lebendig, baute er zuhause Zelte und Labyrinthe, was man schon fast als Aktionskunst bezeichnen könnte. Aber es war eine andere Zeit, und der Knabe Beuys fühlte sich schwärmerisch zur Blut- und Bodenideologie der herrschenden Nazis hingezogen.
Die Sache mit der Flamme
Da gibt es nichts zu beschönigen. Wie so viele seiner Zeitgenossen war der junge Beuys ein begeisterter Hitlerjunge. 1936 marschierte er mit dem Klever HJ-„Bann“ zum Nürnberger Reichsparteitag. Auch als er, wie er später erzählte, mit 17 einen Lehmbruck-Katalog fand und darin sein Erweckungserlebnis als Künstler sah, ging das nicht ohne sonderbares Pathos ab. Die Abbildung einer Skulptur hätte zu ihm gesprochen: „Ich hörte: Schütze die Flamme!“ Die Flamme der Kunst und der Erkenntnis? Doch erst einmal loderte das Feuer des Krieges, in den der 20-Jährige 1941 freiwillig zog. Bei der Luftwaffe wurde er zum Bordschützen und Funker ausgebildet.
Der Absturz seines Kampfflugzeugs am 16. März 1944 über der Krim gehört zur allgemein bekannten Erzählung seines Lebens. Der Pilot war sofort tot, Beuys behauptete später, er wäre von nomadisierenden Tataren gefunden und eine magische Zeit lang im Zelt gepflegt, mit Fett gesalbt, mit Filz gewärmt worden. Das heiligte seine späteren Materialien. Doch es kann nicht ganz wahr sein. Denn der Verwundete wurde, wie Forscher herausfanden, schon am nächsten Tag ins Lazarett eingeliefert.
Zeichen der spirituellen Suche: Kleine Kreuzbronzen des Mataré-Schülers Joseph Beuys um 1950: Vitrine in der Akademie-Galerie, Foto: Birgit Kölgen
Von der Krise ins Glück
Wie dem auch sei – der Krieg mit seiner Schuld und seinem Schrecken hinterließ tiefe Spuren im Empfinden des treuen Soldaten Beuys. Es schien alles gut zu werden, als er 1946 an der Düsseldorfer Kunstakademie aufgenommen wurde und in der Klasse des Bildhauers Ewald Mataré zum fleißigen Meisterschüler avancierte. Eine wegen Corona bisher ungesehene Ausstellung in der Akademie-Galerie zeigt, wie tief verbunden er mit dem Professor war, dessen Liebe zur stilisierten Tierfigur er teilte und an dessen kirchlichen Aufträgen er leidenschaftlich mitarbeitete. Es entstanden berückende Zeichnungen und fromme Skulpturen. Doch nach Abschluss des Studiums rutschte Beuys in eine tiefe Krise und Depression, wovon er sich erst als Gast der Bauern-, Lehrer- und Sammlerfamilie van der Grinten erholte.
Ende der 1950er-Jahre stabilisierte sich das Leben des Joseph Beuys. Er fand die Frau seines Lebens, Eva, heiratete und zog mit ihr 1961 in eine Atelierwohnung in Düsseldorf-Oberkassel, Drakeplatz. „Beuys mit seinem Lederkoffer, ich mit einem kleinen Korb meiner Großmutter“, berichtet Eva Beuys später. Der Drakeplatz, blieb sein Fuchsbau, hier entwickelte er Theorien, empfing Besucher, ließ seine Kinder Wenzel (1961) und Jessyka (1964) zwischen Fettecken spielen. Kunst und Leben, das war für ihn kein Unterschied.
Wie ein Geist aus einer versunkenen Kunst-Zeit erscheint Joseph Beuys im Dokumentarfilm „Celtic+“ des Saarländischen Rundfunks 1971, Foto: Birgit Kölgen.
Der Professor als Provokateur
Der Zeitgeist wurde wilder, und als Joseph Beuys 1961 selbst einen Lehrstuhl für Bildhauerei an seiner alten Akademie bekam, war abzusehen, dass dieser Mann kein ordnungsgemäßer Professor sein würde. Beim „Festum Fluxorum Fluxus“ 1963 in der Aula wurde der Wahnsinn mit Methode und „Antimusik“ gefeiert, zur Eröffnung der Galerie von Alfred Schmela 1965 zeigte ein goldglänzender Beuys dem staunenden Publikum, „Wie man dem toten Hasen die Kunst erklärt“. Ab 1966 wurden in öffentlichen „Ringgesprächen“ in einer anschwellenden Jüngerschar krause Theorien diskutiert. Und da Beuys die Ansicht vertrat, dass jeder ernsthaft Schaffende ein Künstler wäre, schwoll seine Klasse gegen jede Regel auf Hunderte von Studenten an.
Eine Provokation – die im Oktober 1972 in der fristlosen Entlassung des Joseph Beuys aus dem Lehramt endete. Bis 1980 dauerte der Rechtsstreit, danach durfte Beuys sein verwaistes Atelier „Raum 3“ bis zum Pensionsalter wieder benutzen. Doch da war er längst ein Weltstar der Kunst, spätestens, seit der bärenhafte Schüler und Gefährte Anatol 1973 ihn in einem selbstgeschnitzten Einbaum von Oberkassel quer über den Rhein gepaddelt hatte. „Die Heimholung des Joseph Beuys“ war ein Medienereignis.
Kleidung als Skulptur: Vanessa Sondermann, die Kuratorin der Akademie-Galerie, zeigt den 1970 entstandenen „Filzanzug“ von Joseph Beuys, Foto: Birgit Kölgen.
Auch Politik kann eine Kunst sein
Fortan kannte und erkannte jedes Kind in Düsseldorf den hageren Kunsthäuptling Beuys bei seinen Auftritten mit Filzhut und Anglerweste. Gewiss, es wurde viel gespottet – zum Beispiel über die mit Pflastern und Fett verklebte Objekt-Wanne, die 1973 bei einer Feier des SPD-Ortsvereins im Schloss Morsbroich blankgeputzt und zum Gläserspülen benutzt worden war. Doch niemand ignorierte Beuys, es wurde diskutiert und gestritten, was ihm ganz recht war. Vom zurückgezogenen Künstlerleben hielt er nichts. Er wollte inspirieren und motivieren. Seine berühmte „Honigpumpe“, die er auf der Documenta in Kassel 1977 installieren ließ, diente ihm als Bühnenbild für 100 Tage Diskussion einer „Free University“, seiner Freien Internationalen Hochschule für Kreativität und interdisziplinäre Forschung“.
Alles war Kunst für ihn – auch die Politik: 1979 gehörte Beuys zu den EU-Kandidaten der Grünen, ein Kumpel von Petra Kelly. Anfang 1980 war er beim Gründungsparteitag dabei und erst, als er beim Bundestagswahlkampf 1983 keinen der vorderen Listenplätze bekam, zog er sich gekränkt zurück. Beuys war ein Anführer, kein Teamplayer. Unterstützt von einer Schar meist männlicher Adoranten arbeitete er wie besessen an Installationen und Konzepten. 1979 traf er in der Galerie von Hans Mayer auf US-Star Andy Warhol, der ihn poppig porträtierte. Die Schickeria war entflammt. Der Wert Beuys’scher Werke wuchs in sechsstellige Bereiche, damals ungeheuerlich. Das Guggenheim-Museum in New York ehrte den Denker vom Rhein 1980 mit einer Einzelausstellung.
Hommage an den Meister: Beuys-Schüler Jörg Immendorff malte 2006 die titellose Silhouette seines verehrten Lehrers, er selbst identifizierte sich mit dem kleinen Affen. Exponat in der Akademie-Galerie, Foto: Birgit Kölgen.
Als er 1982 auf der Documenta die langjährige Aktion „7000 Eichen“ mit alten Basaltsteinen und jungen Bäumen startete, beeindruckte Joseph Beuys auch seine beharrlichsten Kritiker. Sein Ruhm wuchs, seine Gesundheit litt. Lunge und Herz machten nicht mehr mit. Kurz nach Verleihung des Lehmbruck-Preises starb der Jong vom Niederrhein am 23. Januar 1986 in seinem Düsseldorfer Atelier.
Mehr Beuys: Der Fachliteratur werden in diesem Gedenkjahr allerlei Publikationen hinzugefügt, Foto: Birgit Kölgen.
Auf den Spuren von Beuys
Sollten die Inzidenz-Zahlen es erlauben, können in Düsseldorf zwei fertige Beuys-Ausstellungen besucht werden. Noch bis 15. August gibt es im K20 am Grabbeplatz „Kosmopolitische Übungen mit Joseph Beuys“ unter dem Titel: „Jeder Mensch ist ein Künstler“. In der Akademie-Galerie am Burgplatz 1 zeigt Vanessa Sondermann noch bis zum 20. Juni eine sensible und aufschlussreiche Schau über „Mataré+Beuys+Immendorff – Begegnungen der Werke von Lehrer und Schüler“. Viele Zeichnungen des jüngeren Beuys und Fotografien aus seiner Wirkungszeit sind dort zu sehen. Beide Institute bieten Publikationen zu ihren Ausstellungen an. Informationen über mögliche Öffnungen und die Corona-Regeln unter www.kunstsammlung.de und www.kunstakademie-duesseldorf.de