Den Menschen nah: Filmkunst von Silke Schönfeld im KIT Düsseldorf
Hoffen kann man ja mal. Dass die Düsseldorfer „Kunst im Tunnel“ (KIT) am Mannesmannsufer bald wieder zugänglich sein wird und die Filme von Silke Schönfeld nicht ungesehen bleiben. Denn sie haben Zeit und Aufmerksamkeit verdient – „Über alles vernünftige Maß hinaus“, wie der Ausstellungstitel aus einer 1956 gehaltenen Rede des Düsseldorfer Kunstvereinsdirektors Hildebrand Gurlitt zitiert. Eigentlich möchte man stundenlang da unten bleiben, im Dunklen und Stillen unter der Rheinpromenade, wo bewegte Bilder besondere Geschichten vom Menschen erzählen.
Bitte Platz nehmen: Silke Schönfelds Filmarbeit „Rhetorics oft he Unknown“ zeigt ein Fenster mit Lockdown-Gefühl.
Wer die große Treppe hinabsteigt, sieht zunächst eine reduzierte Arbeit: ein durch trübes Glas und Folien versperrtes Fenster, das nur gelegentlich einen Blick auf die Welt da draußen freigibt: „Rhetorics of The Unknown“ ist Silke Schönfelds Reaktion auf das Lockdown-Gefühl während der Pandemie, die uns alle in den Hausarrest gesteckt hat. Normalerweise kommt die 1988 geborene Akademieabsolventin und Pädagogin Silke Schönfeld den Menschen sehr nah mit ihrer Kamera und beobachtet sie aufmerksam, auf der Basis von Vertrauen, ohne Bewertung. Allerdings mit künstlerisch-konzeptueller Einordnung.
Bergheimat im Tunnel
So besuchte sie für die Werk-Serie „Invented Traditions“ (Erfundene Traditionen) den Verein „Berg Oybin“ in der Oberlausitz, wo ein Männerchor seit 1990 regelmäßig in den Sommermonaten historisch anmutende Mönchszüge veranstaltet. Die meisten Teilnehmer sind nicht einmal kirchlich gebunden, kleiden sich aber mit großer Feierlichkeit wie die Coelestinermönche, die bis 1547 im romantischen Kloster auf dem Berg Oybin lebten, wandern mit Fackeln und schmettern herzergreifende Lieder von Himmel und Bergheimat.
Weiter im Inneren des Tunnels entdeckt man die „Mönchszüge“ auf dem Berg Oybin.
Auf einer Holzbank kann man die Herren in Ruhe beobachten und den Gesängen lauschen, ein grüner Samtvorhang sorgt für Waldesgefühl. Auf einem Monitor im Rücken allerdings wird die Heimeligkeit subtil in Unbehagen verwandelt. Denn in Oybin ist auch der rechtsradikale Verein „Ein Prozent e.V.“ ansässig. Silke Schönfeld lässt die Demagogen des Vereins bewusst nicht zu Wort kommen, sondern zeigt nur den Versammlungssaal mit seinen scheinheiligen Dekorationen und das Banner über dem Vereinshaus: „Patriotismus statt linker Gewalt“.
Träume sind verschieden
Schlüsse können die Besucher*innen selber ziehen. Anders als ein journalistisch arbeitender Dokumentarfilmer präsentiert Silke Schönfeld keine zielgerichteten Recherchen und Interviews. Sie beobachtet Phänomene. Eine weitere „Invented Tradition“ ist die „Mainacht“ im niederrheinischen Dorf Rurich, Kreis Heinsberg, wo junge Leute (vor Corona) mit ungeheurem Prunk, feinsten Ballroben und der launigen „Versteigerung“ lediger Mädchen an feuchtfröhliche Junggesellen ihren Traum von Glanz und Liebe feiern.
Hinten im letzten Winkel des KIT boxt sich ein junges Mädchen durch: „Die sehen ja nur, die wissen ja nichts“.
Und während die beteiligten Damen ihre Barbie-Kleider zurechtzupfen, enthält sich Silke Schönfeld in ihrem Film jeder Kritik. Genau wie im Fall der 16-jährigen Thai-Boxerin Aleyna Asya Akgün aus Dortmund, die sie auf Fahrten, beim Training und im Kampf filmisch begleitet hat. Man sieht die unterdrückten Tränen des Mädchens nach einer Verletzung, ihren Frust, als eine wichtige Gegnerin nicht antritt, ihren Trotz und ihre Tapferkeit, ihre Geduld und die schnoddrige Art, dem Risiko zu begegnen. Und wie von selbst wird der knapp halbstündige Film zu einem Lehrstück für diese Zeit, durch die wir uns boxen müssen.
Wann und wo?
Für die Kultur-Wunschliste: Sobald die Corona-Beschränkungen gelockert werden, kann die von Gertrud Peters kuratierte Ausstellung „Silke Schönfeld – Über alles vernünftige Maß hinaus“ im KIT am Mannesmannufer 1b besucht werden. Bis 18. Juli, Di.-So. 11 bis 18 Uhr. www.kunst-im-tunnel.de