100 Jahre Beuys: Mit einer Aktionsschau im K20 Düsseldorf startet das Jubeljahr
Ach, Beuys, was hätte er wohl dazu gesagt? Zu Abstandsregeln, Maskenpflicht, Zeitfenstern und Zoom-Konferenzen? Hätte er das ausgehalten, der große Narr, der unermüdliche Kämpfer für eine befreite, verrückte Kunst, die sich seiner Ansicht nach im Leben selbst manifestieren sollte – als „Soziale Plastik“? Womöglich wäre der Kerl ja mit den Corona-Rebellen marschiert. Joseph Beuys (1921-1986) suchte und brauchte die Nähe der Menschen, trug seine esoterisch bewegten Botschaften unbeirrt in die Menge, pfiff auf den Segen der Obrigkeit. Der akademische Diskurs, der jetzt, im Jahr seines 100. Geburtstags, pflichtgemäß anschwillt, war für ihn viel weniger wichtig als der schlichte Satz: „Jeder Mensch ist ein Künstler“, der zum Titel für eine erstaunlich frische Schau im Düsseldorfer K20 wurde.
„Professor bellt ins Mikrofon“: So berichtete der Express über ein Beuys-Happening an der Kunstakademie 1967.
Es muss dem feministisch engagierten, super-genderkorrekten Team um Direktorin Susanne Gaensheimer geradezu wehtun, dass der Rheinländer Beuys nie von Künstler*innen sprach. Er war halt ein Macho der alten Schule, umgeben von vorwiegend männlichen Schülern und Jüngern, und wir Mädels aus der alten Frauenbewegung hatte noch andere Sorgen als Wortendungen. Das hat sich gründlich geändert, und deshalb nehmen Gaensheimer und die Kurator*innen Isabelle Malz, Catherine Nichols und Eugen Blume dem Beuys gegenüber „eine fragende und diskursive Haltung“ ein.
Schau mir in die Augen …
Das heißt: Sie huldigen dem großen Manitou der Nachkriegs-Avantgarde nicht mit der üblichen Schau seiner Skizzen, Skulpturen und Installationen in Fett und Filz, wie es Gaensheimers Vorgängerin Marion Ackermann vor zehn Jahren getan hat. „Das könnten wir nicht toppen“, meint die Chefin. Stattdessen machen sie jetzt „Kosmopolitische Übungen mit Joseph Beuys“, reflektieren mit Aktionsfilmen „die performativen Potenziale seiner Kunst“ und präsentieren 34 neuere Positionen von Künstler*innen, die sich laut Kuratorin Malz gar nicht „explizit auf Beuys beziehen“. Aber sie treten mit dem Geist des Jubilars in einen, so heißt es, „vielschichtigen, transkulturellen Dialog“. Da kann man nur hoffen, dass das Publikum dieser schwierigen Beschwörung überhaupt noch folgen kann, bevor die Museen wegen steigender Inzidenz wieder geschlossen werden.
Vorne guckt Joseph Beuys aus einem Kurzfilm von Lutz Mommartz („Soziale Plastik“, 1969), hinten geht es um eine Politaktion von Suzanne Lacy.
Vergessen ist Beuys nicht. Bis heute wissen zumindest ältere Düsseldorfer noch genau, wie er aussah, der hagere, aufrechte Mann, der seinen Filzhut wie eine Krone trug und die Akademie-Kollegen durch Missachtung des Aufnahmeverfahrens so lange reizte, bis der damalige NRW-Wissenschaftsminister Johannes Rau ihn 1972 vor die Tür setzte. Am Anfang der Schau kann man dem aufsässigen Professor erst mal lange in die strengen Augen sehen. Lutz Mommartz filmte 1969 über elf Minuten lang das Gesicht des Kunstrebellen, um der Idee „Soziale Plastik“ Nachdruck zu verleihen. Darüber steht an der Wand ein markantes Beuys-Zitat: „Jeder Mensch … ist ein Künstler, ob er nun bei der Müllabfuhr ist, Krankenpfleger, Arzt, Ingenieur oder Landwirt. Da, wo er seine Fähigkeiten entfaltet, ist er Künstler.“
Der alte Held im Heute
Und so passt letztendlich alles Mögliche ins Beuys-Konzept: Nicht nur Kunst, auch Bürgerinitiativen, Talkshows, politisch-ökologische Veranstaltungen. Das Kuratorenteam hat viel gegrübelt, in aller Welt nach dem erweiterten Kunstbegriff gesucht und zahlreiche Videos sowie einige Objekte gefunden, die Ansichten und Aktionen aus der Laufbahn des Joseph Beuys auf eine aktuelle Art auffrischen – und mit moderner Technik ergänzen. Statt der üblichen Heiligenverehrung kommt hier zusammen, was ursprünglich nicht zusammen gehört, aber die Sache ein bisschen prickelnder und kontroverser macht.
Der spanische Aktionskünstler Santiago Sierra ließ die Buchstaben des Wortes „Kapitalism“ in wütenden Aktionen zerstören – von Flammen, Hämmern und Schweinen.
Widerspruch oder Ärger sind durchaus vorgesehen in der Inszenierung, für das „raumlaborberlin“ eine markante Ausstellungsarchitektur mit Treppen, Bänken und Gerüsten gebaut hat – zum Verweilen nach Lust und Interesse, falls das erlaubt sein wird. Da sieht man Beuys 1970 im Luchsfellmantel („Transsibirische Eisenbahn“), wie er Bilder im Lousiana Museum Kopenhagen umgekehrt an die Wand nagelt, um endgültig die Malerei zu überwinden, und gegenüber dokumentieren Fotos und Videos eine Politaktion der Amerikanerin Suzanne Lacy 2018 in Irland, wo sie Einwohner mit Worten und gelber Farbe die schicksalhafte Grenze zwischen den Landesteilen reflektieren ließ.
Ein Künstler als Kämpfer
Alles hängt hier mit allem zusammen. Der buddhistische Lehrer und Mönch Thich Nhat Hanh empfiehlt der US-Talkqueen Ophra Winfrey, zum Atmen zurückkehren und „to be in that moment deeply“, tief im Moment zu sein, während sich Beuys um die Ecke bei einem „Boxkampf für direkte Demokratie durch Volksabstimmung“ bei der Documenta 1972 mit Abraham David Christian-Moebuss schlägt. „Ich bin überhaupt kämpferisch“ ist das zugeordnete Zitat. Als Ringrichter agiert übrigens sein Mitstreiter Anatol, jener bärenstarke Künstler, Handwerker und Polizist, der den verehrten Meister ein Jahr später im selbstgeschnitzten Einbaum quer über den Rhein ruderte und noch berühmter machte.
Kein Werk von Beuys, sondern eine Installation der Britin Phyllida Barlow: „STREET Untitled: banners“ von 2010.
Ein gewaltiges Feld von Zementblöcken, mit bunten Stoffen beflaggt, erinnert an eine Demo für Ungewisses („Street“) und sehr entfernt auch an Basaltsteine, die Beuys verteilt hat. Die Tapisserie der polnischen Konzeptkünstlerin Goshka Macuga zeigt Leute im Kostüm bedrohter Tiere im kahlen Wald, denn Beuys, der sich früh für die Grünen engagierte und sogar für die neue Partei kandidierte, wäre heute gewiss ganz vorn in der Umweltbewegung.
Wie sich die Botschaften ändern
Dabei kannte er noch nichts von den heiklen politischen Korrektheiten der Gegenwart. Heute würden Tierschützer vermutlich ausflippen, weil Beuys ohne Gedöns Pelze trug, dem toten Hasen 1965 in der Galerie Schmela die Kunst erklärte und sich in der New Yorker Galerie von René Block 1974 mit einem sichtlich irritierten Coyoten einschließen ließ. Die Freiheit der Kunst, kommt einem in den Sinn, war damals irgendwie noch freier. Beuys ließ sich bei der Documenta 1977 eine raumreifende Honigpumpe konstruieren, um an diesem sonderbaren Gerät 100 Tage lang über „Erkenntnisgüter“ und die Transformation des Kapitals in Kreativität zu philosophieren. Heute muss die Botschaft eindeutiger sein – wie bei der kindlichen Aktivistin Greta Thunberg, die dem Staatschefs beim Klimagipfel 2019 in New York entgegenschleuderte: „How dare you“, wie könnt ihr es wagen, über Geld und Wirtschaft zu reden, während ganze Ökosysteme kollabieren?
In einem der historischen Filme (von Werner Krüger) erklärt Joseph Beuys die Honigpumpe, die er 1977 für die Documenta konstruieren ließ.
Professor Beuys hingegen machte viel, was kraus und unverständlich wirkte, wenn’s ihm nur passte. Er schwamm 1971 durchs Eindhovener Moor (mit Hut), er knurrte, grunzte und skandierte Unverständliches beim Konzert „Coyote III“ in Tokio 1984 mit Nam June Paik am Flügel. Man sieht den wackligen Film dieses Events mit nostalgischer Freude am . Aber es lohnt sich auch, für ganz andere Beiträge die Corona-Schutzhüllen über die Kopfhörer zu streifen und reinzuhören. Richtigen Spaß macht es, wie die alte Punk-Sängerin und Malerin Patti Smith 2019 in New York mit 250 begeisterten, dicht gedrängten Fans im Chor einen ihren Politsongs schmettert: „People Have the Power“, das Volk hat die Macht. Man möchte mitsingen. Aber das ist ja verboten, wegen der Aerosole. Was würde Beuys wohl dazu sagen?
Patti Smith, Punk-Sängerin und Poetin, bei einer Songperformance 2019 in New York: „People Have the Power“, das Volk hat die Macht.
Wann und wo kann man Beuys sehen?
Die Ausstellung „Jeder Mensch ist ein Künstler – Kosmopolitische Übungen mit Joseph Beuys“ im Düsseldorfer K20 am Grabbeplatz wird an diesem Wochenende unter Corona-Bedingungen eröffnet und soll bis 15. August zu sehen sein. Der Katalog erscheint im Hatje Cantz Verlag und kostet 48 Euro. Wegen der großen Nachfrage sind alle Zeitfenster für Samstag/Sonntag (27. und 28. März) bereits ausgebucht. Wenn die Museen nicht wieder geschlossen werden, gelten danach normale Öffnungszeiten. Di-Fr. 10 bis 18 Uhr, Sa./So. 11 bis 18 Uhr. Zeitfenster müssen unabhängig vom Ticket einzeln online gebucht werden. www.kunstsammlung.de