„Blackbird“ beim Düsseldorf Festival: Matthias Brandt liest zum Klavier
Es ist schon bewundernswert, mit welch tapferer Fröhlichkeit das Intendanten-Duo Christian Oxenfort und Andreas Dahmen das Düsseldorf Festival vorantreibt. Dabei darf es in diesem verflixten Corona-Jahr kein Theaterzelt am Rhein geben, nur ein Mini-Ding für einzelne Zuschauer steht da und erinnert an bessere Zeiten. Alle wichtigen Vorstellungen finden in der hygienisch aufgerüsteten Mitsubishi Electric Halle statt. Im Schachbrettmuster hocken die durchgängig maskierten Besucher und müssen kein Superspreading befürchten. Aber selbst die musikalisch inszenierten Lesungen des umschwärmten Schauspielers und Autors Matthias Brandt waren nicht ausverkauft.
Zum Glück machen Profis wie Brandt und Jens Thomas, der singende Mann am Klavier, überall ihr Ding. Die beiden Freunde in ihren Alltagsklamotten würden wahrscheinlich noch an viel ungemütlicheren Orten dieses Gefühl gehobener Intimität herstellen. Thomas beginnt mit einem eigenen Song: „Freitag / Stille im Garten / Alle Bäume aus Glas …“. Er hat nicht nur musikalischen, sondern auch poetischen Ehrgeiz. Und die Stimme ist neben dem Flügel sein zweites Instrument. Der Berliner Singer/Songwriter kann damit aufdrehen wie ein Rockstar, kicksen, gurren und effektvoll flüstern, dass es manchmal schon zu viel der Show ist.
Der Junge im Mann
Matthias Brandt kennt keine Übertreibung. Er hockt auf seinem Stuhl, macht allenfalls mal eine Geste mit der rechten Hand, spricht vollkommen ruhig und lässt seinen Roman „Blackbird“ dabei lebendig werden. Im letzten Sommer erschien die Ich-Erzählung über den 16-jährigen Morten, genannt Motte, und die Katastrophen und Offenbarungen des Heranwachsens in den 1970er-Jahren, als es noch keine Handys gab, sondern direkte Begegnungen und Konflikte. Für die Lesung hat Brandt den Text ein wenig neu sortiert und beginnt mit Mottes Bericht aus der Psychoklinik, wo er behandelt wird, weil er kein Wort mehr sagen will. Nur innen ist er reich an Sprache, der „Klapsmüller“, wie ihn seine Freundin Steffi nennt.
Es ist wohl der Tod seines besten Freundes Bogi, der Motte hat durchdrehen lassen. Ein jäher Lymphdrüsenkrebs – so etwas gehört einfach nicht in die Welt von Teenagern, die heimlich Amselfelder trinken, ihre Unsicherheit mit Furz-Witzen betäuben und sich fragen, wie das mit dem Küssen funktioniert. Bei der Beerdigung hatte Steffi peinlicherweise einen Rekorder mit einem Lieblingssong von Bogi laufen lassen: „Horse with No Name“ von America, eigentlich Mädchengeschmack, aber Bogi hatte so was gemocht, und dann kamen die Tränen auch bei Motte.
Zwischen Witz und Trauer
Man sieht die Geschichte vor sich wie einen Film mit Bildern aus der eigenen Erinnerung. Sie ist zutiefst traurig, hat aber auch Frechheit und Witz. Man kichert über Kleinigkeiten wie die beigen Cordschlappen mit zahnfleischfarbener Sohle, die Bogis Vater trägt. Hat nicht jede(r) wie Motte trotzig versucht, cool zu bleiben, bei allem Schmerz und aller Sehnsucht? Und wenn dann Jens Thomas mal wieder so pathetisch aufdreht – „without you“ – dann ist es das wie der Klang dieser alten, vergrabenen Gefühle. Begeisterter Applaus.
Informationen
Bis Ende September geht das Programm des Düsseldorf-Festivals weiter, der für November geplante Nachklang in der Johanneskirche mit dem Beethoven-Programm „O Ihr Menschen“ muss wegen Corona auf das Frühjahr verschoben werden. Die Face-to-Face-Vorstellungen für einzelne Zuschauer im Minizelt auf dem Burgplatz waren schnell ausverkauft. In der Mitsubishi-Electric-Halle gibt es am 23., 24. und 25. September noch ein artistisches Tanzspektakel mit „Tabula Rasa feat. Urbanatix“. Information und Tickets: www.duesseldorf-festival.de