K20 Düsseldorf: Thomas Ruff und die geklauten Fotografien
Er war ein braver Student, versichert Thomas Ruff (62). In der Akademie-Klasse des legendären Professoren-Paars Bernd und Hilla Becher folgte er vor über 40 Jahren dem, was er „das Dogma“ nennt, und produzierte dokumentarische Schwarz-Weiß-Fotografie nach dem Geschmack der Meister. Innenräume waren sein Thema. Doch dann knipste er nebenbei für 50 Mark Honorar die Objekte von Bildhauerkollegen, wunschgemäß in Farbe. Das gefiel ihm. Er traute sich, auch für die Interieurs einen Colorfilm zu nutzen. Bernd Becher gab ihm den Segen, und Ruff entwickelte seine eigenen, eigenwilligen Konzepte, die jetzt im K20 präsentiert werden.
Der Künstler scherzt vor seinen „Tableaux chinois“ (von links): Thomas Ruff, Hausherrin Susanne Gaensheimer, Direktorin der Kunstsammlung NRW, und Kurator Falk Wolf.
Eine Serie von Gesichtern hat ihn berühmt gemacht. In den 1980er-Jahren fotografierte Thomas Ruff seine Freunde und Kollegen, junge Männer und Frauen, in der immer gleichen starren Pose, ernst geradeaus blickend, vor weißem Hintergrund. Monumental große Abzüge sorgten dafür, dass jeder Pickel, jedes Härchen deutlich zu sehen war. Von Beschönigung konnte keine Rede sein. Und doch oder gerade deshalb wurden die stummen Riesen und Riesinnen von zahllosen Menschen in aller Welt fasziniert betrachtet. Wer jetzt ein Beispiel aus dieser Serie sehen will, muss allerdings in die Parallel-Ausstellung „Technology Transformation“ mit gemischten Fotos und Videos aus der Sammlung wechseln. Die große Ruff-Schau ist nur den Konzepten der letzten 20 Jahre gewidmet.
Ein paar Beispiele für Thomas Ruffs frühe „Portraits“ gibt es in der Parallelausstellung „Technology Transformation“.
Der Computer verändert alles
Fans des künstlerischen Lichtbildes werden enttäuscht sein. Denn Thomas Ruff drückt kaum noch auf den Auslöser. Ihm geht es nicht mehr um die Fotografie, sondern, wie er sagt, „um die Auswirkung von Fotografie auf unser Bewusstsein“. Das ist es, was er untersuchen möchte, seit er begriffen hat, dass sogar seine strengen Porträts nicht die lebendige Wahrheit, sondern nur eine „arrangierte Realität“ zeigen. Von ihm arrangiert. Hintergrund, Kleidung, Haltung der Abgebildeten – alles war ja von ihm bestimmt. Lügt und manipuliert die Fotografie etwa immer? Wie besessen begann Ruff, fremde Bilder zu sammeln. Negative, Archivmaterial, Bildbände, Zeitungsausschnitte wurden am Computer zu seinem Spielmaterial. Alles nur geklaut, aber in ein neues Licht gesetzt.
Schöne Frauenbilder aus Archiven amerikanischer Magazine nutzt Ruff seit 2015 für die Serie „press++“.
Gleich im Eingangsbereich lächeln hübsche Starlets aus amerikanischen Magazinarchiven der 1930er- bis 80er-Jahre, als die Redaktionen noch mit Papierabzügen arbeiteten. Eigenartige Striche, Stempel, Schriftzüge irritieren den Blick. Das könnten zeichnerische Eingriffe des Künstlers sein, sind’s aber nicht. Ruff hat einfach die Informationen und Gebrauchsspuren von den Rückseiten der Fotos gescannt und digital über die Gesichter gelegt. Ein visueller Gag, der mehr Bedeutung vorgaukelt, als ihm innewohnt.
Keine Botschaften, bitte!
Ruff will keine Botschaften verbreiten. Im Gegenteil: Er löst seine Vorlagen von ihren Botschaften und sorgt so für Irritationen. Schon die Zeitungsfotos, die er in den 1990er-Jahren reproduzieren und in doppelter Größe abziehen ließ, werden ohne ihre Texte zu verschwommenen Rätseln. Da spielt Hitler mit seinem Schäferhund, da fliegt eine Lufthansa-Maschine – aber keiner weiß, was ursprünglich damit illustriert wurde. Das Bild soll an sich wirken. Das gilt auch für die mit Rauch und Nebel verschleierten, digital verpixelten Landschaften der „jpeg“-Serie und für die „nudes“, unscharfe Standbilder aus frei zugänglichen Porno-Portalen, die Ruff in erstaunlich malerische Szenen verwandelte. Man denkt dabei an die von Fotografien inspirierten Geisterbilder des großen Gerhard Richter.
Rätselhafte Landschaften: Aus Postkarten und Bildbänden schuf Ruff die Serie „jpeg“.
Solche Vergleiche würden Ruff vermutlich nicht gefallen. Er will sein eigenes Ding machen, weiter ausprobieren, was er noch finden und verändern kann. Manchmal hat er einfach Spaß an einer ästhetischen Übung. So kolorierte er schwarz-weiße Installationsaufnahmen von Ausstellungen in London und New York aus den 40er- und 50er-Jahren. Für die Serie „Tripe“ bearbeitete und vergrößerte er stark beschädigte Papiernegative, die bei der fotografischen Burma-Expedition eines britischen Captains um 1860 entstanden waren. Andere historische Fotografien wandelte er digital in blaue Negativbilder um.
Ahnung vom anderen Stern
Das ist ziemlich schön und macht was her – wie auch die mit einem 3-D-Programm entwickelten, historischen Experimenten nachempfundenen, repräsentativ vergrößerten „Fotogramme“. Kleine Gegenstände werden da virtuell direkt belichtet. Mit einer ähnlichen Technik, bei der er allerdings eigene echte Blumenfotos verwendet, entstehen die schwebenden „flower.s“. Ganz offenbar lebt da auch ein Romantiker in Thomas Ruff – neben einem Spielkind. Für die Betrachtung riesiger dreidimensionaler Bilder vom anderen Stern („ma.r.s“) werden altmodische 3-D-Brillen aus Pappe und Folie verteilt.
Historischen Experimenten nachempfunden sind die großen digitalen „Fotogramme“.
Im Zentrum der Schau geht’s bunter zu. Die neueste Serie „Tableaux chinois“ zeigt den Großen Vorsitzenden Mao, seine allzeit fröhlichen Soldaten, Fahnenschwenker und glücklichen Genossinnen. Thomas Ruff fand die Vorlagen in Bildbänden aus der Mao-Zeit und in der weltweit von der Kommunistischen Volkspartei Chinas verbreiteten Propaganda-Zeitschrift „La Chine“. Die inszenierten Szenen, in denen die Bedeutung des Führers und die Glückseligkeit der Massen gefeiert werden, sind dermaßen kitschig, dass man lachen muss. „Ich finde Bilder, die so offensichtlich lügen, faszinierend“, sagt der Künstler – und ruiniert die Perfektion der Vorlage durch Sichtbarmachung des Offset-Rasters. So erzittert optisch der sozialistische Realismus. Das ist witzig, doch man würde gerne mal wieder ganz eigene Fotografien von Thomas Ruff sehen. Immerhin beteuert er: „Ich kann’s noch.“
Fast romantisch: Thomas Ruffs im Digitalen schwebende „flower.s“.
Was, wann und wo?
Die Ausstellung „Thomas Ruff“ im Klee-Saal des K20 Düsseldorf, Grabbeplatz, hat wegen Corona keine Vernissage, sondern kann am Samstag, 12. September, von 11 bis 20 Uhr mit Abstand und Atemschutzmasken besucht werden. Dauer der Ausstellung: bis 7. Februar 2021. Der Katalog aus dem Prestel-Verlag kostet 34 Euro. Zugleich eröffnet wird eine Parallelschau in der Grabbe-Halle mit Fotografie und Video aus der Kunstsammlung NRW: „Technology Transformation“ (bis 24. Januar). Geöffnet Di.-Fr. 10 bis 18 Uhr, So. 11-18 Uhr. Eintritt: 12 Euro. Für die Ruff-Schau braucht man ein Zeitfensterticket. Führungen nur nach Anmeldung. www.kunstsammlung.de