Witz und Hingabe: Keramiken von Thomas Schütte im Düsseldorfer Hetjens-Museum
Reine Nervensache, in diesen Tagen die Kunst zu suchen. Statt einer Vernissage gab es im Hetjens-Museum eine abendliche „Sonderöffnung“, bei der ordentlich maskierte Besucher einzeln und paarweise vorgelassen wurden und sich nach Plan stets vorwärts, nie zurück bewegen durften. Die atemberaubenden Zwänge der Corona-Krise haben uns alle im Griff. Doch man darf sich nicht abschrecken lassen. Denn die Keramiken des Düsseldorfer Bildhauers Thomas Schütte sind einfach hinreißend und sorgen für Heiterkeit und Seelenruhe
Kunst braucht Geduld: Warteschlange vor dem Hetjens-Museum.
Der gewitzte Künstler, der sich weitgehend unerkannt unter die Leute begeben hatte, wird gemeinhin nicht mit dem zerbrechlichen Kunsthandwerk der Keramiker in Zusammenhang gebracht. Man kennt seine bronzenen Riesen, die er auch „Männer im Matsch“ genannt hat. Die Füße im Sockel versunken, so tragen sie eine Jakobinermütze oder halten eine schlappe Fahne, unerschütterliche Helden einer gescheiterten Revolution. „Sie kämpfen sich durch“, bemerkt der Künstler. Vor dem Malkasten steht derzeit ein „Mann ohne Gesicht“, 4,50 Meter hoch, imponierend und ironisch zugleich.
Das Dritte Tier und seine Kinder
Schütte, 1954 in Oldenburg geborener Schüler von Gerhard Richter und Fritz Schwegler, gehört nicht zu den Glitter-Darlings der Düsseldorfer Kunst-Society. Er macht sein eigenes Ding, hat draußen neben der Raketenstation an der Museumsinsel Hombroich eine Skulpturenhalle für sich und seine Künstlerfreunde gebaut, zeigt seine Kunst in München, Madrid, Landon, Basel, Venedig, Paris. Im letzten Jahr bespielte er mit Vergnügen ein ganzes Kunsthaus in Bregenz am Bodensee, wo seine Vielseitigkeit gewürdigt wurde. Man sah neben den Bronzeriesen seine skulpturalen architektonischen Modelle, neben abstrakten Holzschnitten eine ganze Gruppe glänzend verbogener Frauengestalten aus Stahl oder Aluminium.
Eine neue Art von Würde: Schüttes „Zwei Frauenköpfe, ein Männerkopf“ aus der letzten Zeit.
Draußen vor dem Tor schnaubte sein „Drittes Tier“, ein gewaltiges Drachenpferd, echten Wasserdampf – zu Freude von Kindern und Passanten. Für solch ein Prachtvieh ist natürlich kein Platz im Hetjens-Museum. Aber in der oberen Etage bäumen sich drei kuriose Schweinehunde aus Keramik auf: fast schwarz, weiß und rosa glasiert. Sie sitzen auf ihren Hinterläufen und recken keck die Ringelschwänze. Dicke Bäuche haben sie knubbelige Hälse, erhobene Köpfe. Und hey, es sieht so aus, als hätte der Künstler den kuriosen Tieren ein Grinsen in die Schnauzen geritzt.
Mit dem Daumen denken
„Man kann auch mit dem Daumen denken“, sagt Schütte. Das Bearbeiten der Masse, das Handwerkliche macht ihm großen Spaß. Im Atelier des Kölner Keramikers Nils Dietrich werden seine tönernen Stücke gebrannt und glasiert. Dabei spielt Schütte auch mit den Effekten des Zufalls, hat Freude an überraschenden Farbveränderungen und auch am Experiment mit der noch weichen Masse. Es ist schließlich kein Geschirr, das serienweise gleich sein muss, sondern individuelle Kunst. Die merkwürdige Biegung einer schönen Büste, die nach hinten hängt, hat sich wohl so ergeben, der Titel verrät es mit Humor: „Frauenkopf (implodiert)“. Zwei weitere Köpfe gleich daneben zeigen hingegen stolze Haltung: ein goldener Mann mit Kragen trägt die Nase hoch, eine dunkle schimmernde Dame erinnert mit Kopfputz, hoher Stirn und markanter Nase an ägyptische Pharaonen.
Der Künstler, inkognito, fotografiert seine Keramikhunde im oberen Stock des Hetjens-Museum.
Sie sind zerbrechlich, diese Werke, und doch nicht von dem üblichen Vitrinenglas geschützt. Schütte, der die Räume und Sockel für die Ausstellung selbst gestaltet hat, will die direkte Konfrontation mit dem Betrachter. Man kann alles ganz genau ansehen – und ist fasziniert. Da gibt es kleine „Ceramic Sketches“ wie Skizzen in Ton, verbogene Figürchen oder ein platter Frosch, spontan und witzig. Es gibt wunderbare, fast mannshohe Gefäße, rot, schwarz, gelb, „Urnen“ genannt. Auf der anderen Seite des Kabinetts stehen bunte abstrakte Figuren, die entfernt an Schlemmers „Triadisches Ballett“ erinnern und vom Künstler verschmitzt als „Gartenzwerge“ bezeichnet werden.
Experten treffen Geister
So ist Thomas Schütte: ein leidenschaftlicher Bildhauer, der Gefühle in Form bringt, dem Pathos aber zutiefst misstraut. Glänzende, äußerst dekorative Keramiktafeln kombiniert er zu „Fake Flags“, falschen Flaggen. Entsprechend lächelt der gewaltige Kopf eines ziemlich realistischen „Experten“ mit Haarkranz und buschigen Brauen, während der Kollege „Experte“ auf dem Sockel gegenüber als ausdrucksstarker Klumpen erscheint, Augen und Mund sind nichts als grobe Löcher.
Abstrakte Pracht – die „Gartenzwerge“ von Thomas Schütte.
Liebe und Spottlust vertragen sich gut im Oeuvre von Thomas Schütte. Er präsentiert im Saale edle liegende Masken („You and Me“), huldigt „Anna“ mit einer zauberhaften, in Keramik geritzten Zeichnung und lässt im Treppenhaus drei wolkig verbeulte „Geisterköpfe“ spuken. Diese Schau ist so inspirierend und vergnüglich, dass das kleine Keramik-Museum unter Leitung von Daniela Antonin dem Kunstpalast heftige Konkurrenz macht – einen Sommer lang.
Was, wann und wo?
„Thomas Schütte – Keramik“: bis 23. August im Düsseldorfer Hetjens-Museum, Palais Nesselrode, Schulstr. 4. Geöffnet Di.-So. 11 bis 17 Uhr, Mi. bis 21 Uhr. Eintritt: 5 Euro. Besuch nur nach vorgesehenem Parcours, mit Abstand und Mundnasen-Schutz. Keine Führungen und Sonderveranstaltungen. www.duesseldorf.de/hetjens
Ein lächelnder „Experte“ in Keramik und maskierte Besucher.